Ehemalige Frauenklinik Dr. Ernst Schaefer


Die ehemalige Frauenklinik Dr. Ernst Schaefer ist ein denkmalgeschütztes Gebäude in der Gagarinstraße 19 in Gera in Thüringen. Das Kulturdenkmal wurde 1929 nach einem Entwurf von Thilo Schoder im Stil des Neuen Bauens errichtet.[1]
Geschichte
In den politisch und wirtschaftlich unruhigen Zeiten des Jahres 1929 erwarb der Geraer Frauenarzt Dr. med. Ernst Schaefer (1886–1966) das Eckgrundstücke Goethe-/Gagarinstraße (damals Agnesstraße). Schaefer gehörte zum Freundes- und Bekanntenkreis des Architekten Thilo Schoder (1888–1979) und beauftragte ihn mit der Errichtung einer Privatklinik. Als Meisterschüler Henry van de Veldes avancierte Schoder in den 1920er Jahren zum bedeutendsten Vertreter des Neuen Bauens im Osten Thüringens. Das Gebäude ist der letzte reine Ziegelbau im Schaffen des Architekten in Deutschland vor seiner aus wirtschaftlichen Gründen erfolgten Übersiedelung Ende 1932 nach Kristiansand in Norwegen.

Anlässlich der am 30. Mai 1929 erfolgten Grundsteinlegung sprach Schaefer – seine Vision vorwegnehmend – Folgendes zu den Anwesenden: „Mögen in ihm viele Kinder geboren werden, gesund an Seele und Leib. Der Arztberuf ist schwer und verantwortungsvoll. Er verlangt, dass wir uns als Diener der Menschheit fühlen. Möge auf diesem Hause Segen ruhen und immer ein froher Geist darin herrschen.“[2]


Um den werdenden Müttern den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, waren die Zimmer der Klinik entweder nach Osten oder Westen ausgerichtet. Es gab Platz für 70 Patientinnen sowie zwei Operationssäle für gynäkologische Eingriffe. Viele Kinder Geras und Umgebung erblickten hier das Licht der Welt. Auch Woizlawa-Feodora, Prinzessin Reuß Jüngere Linie, gebar in der Klinik zwei Kinder.[3] Fast autark versorgte sich die Klinik; Schweine und Hühner wurden gehalten. Wo sich heute im Keller die Herrengesellschaft Schlaraffia Geraha zum geistigen Austausch trifft, befanden sich einst Küche, Vorratsräume und Speiseaufzug. Die Wäscherei lieferte gebügelte Wäsche und Kleidung. Unter dem Dach befand sich das eigene Labor.

Mit Geschick, Diplomatie und eisernem Willen schaffte es der Arzt Schaefer, die Klinik über die Nazi- und die spätere DDR-Zeit zu retten. Während der Bombenangriffe auf Gera im Zweiten Weltkrieg zerbarsten nur die Fensterscheiben. Wahrscheinlich half das aufgemalte rote Kreuz auf dem Flachdach, dass keine Granate gezielt das Haus traf.
Es war weiterhin geplant, ein baugleiches Gebäude in Erweiterung des Haupthauses in Richtung Goethestraße zu errichten. Die erforderliche Baugrube ist vorhanden und dient heute als Stellplatz für PKWs der Mitarbeiter des Bürogebäudes. Der Zweite Weltkrieg machte allerdings jegliche weitere Planung der Umsetzung zunichte.
Im Alter von 75 Jahren übersiedelte Schaefer im Mai 1961 vor dem Mauerbau nach Westdeutschland in seine Geburtsstadt Marburg, wo er 1966 verstarb. Ab 1961 wurde die private Frauenklinik als 2. Gynäkologische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Gera weitergenutzt. Schließlich erfolgte 1964 der Umzug der Hals,- Nasen,- Ohrenheilkunde-Klinik aus dem Gebäude der Schiller-Schule, die während des Zweiten Weltkrieges als Lazarett genutzt worden war, in die Schaefersche Klinik. Dr. med. Gisela Roßbach, geborene Schaefer, arbeitete von 1945 noch bis 1963 als Frauenärztin in dieser Klinik.[4]
Durch Beschluss des Rates des Kreises Gera-Stadt vom 17. März 1982 wurde das Denkmal auf die Kreisdenkmalliste aufgenommen.[5]
Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurde 1991 durch die Fusionierung des Bezirkskrankenhauses Gera mit dem Wismut-Krankenhaus Gera nahezu alle Außenstellen entbehrlich. Nach dem Auszug der Hals,- Nasen,- Ohrenheilkunde-Klinik begann eine aufwändige Sanierung. Aus den ehemaligen Operationssälen entstanden Büroräume. Ein neuer Fahrstuhl wurde eingebaut, das Dach erneuert, die Fassade abgewaschen. Sämtliche Türen mit den dazugehörigen Beschlägen sind noch original, die Farben des rotbraunen Fußbodens im Treppenhaus und das Gelb an den Wänden wurden wiederhergestellt. Die vorbildliche und detailgetreue Restaurierung wurde 1992 mit dem ersten Denkmalpreis der Stadt Gera gewürdigt.[6]
Die ehemalige Schaefersche Klinik wird heute als Bürogebäude genutzt. Im Eingangsbereich sind zwei Erinnerungstafeln angebracht; sie gedenken Ernst Schaefer und Thilo Schoder. Thilo Schoders Söhne mit ihren Familien besuchten mehrfach das Haus.
Baubeschreibung
Das Gebäude ist ein von der Straße zurückgesetzter, dreigeschossiger Klinkerbau unter Flachdach mit einem leicht eingezogenen viergeschossigen Turm an der Südseite. Es ist einer der schlichtesten kubischen Bauten von Thilo Schoder.
Die Klinik wird vom Turm dominiert, der Treppenhaus und Fahrstuhl aufnimmt. Die straßenseitige Ostfassade zeigt das typische Schodersche Fassadenelement einer großen rechteckigen Öffnung, die horizontal durch Betonbänder gegliedert wird.
Das über der durch Klinkerstreifen plastisch hervorgehobene, die Eingangszone weit auskragende, elegant über die Turmecke geführte Vordach scheint dadurch förmlich zu schweben.
Ebenso prägnant verklammert die geschossweise an der Südostecke des Seitentraktes zwischen den schmalen Fensterpaaren angeordneten Betonbändern die unterschiedlich hohen Baumassen miteinander, die vornehmlich horizontal ausgerichtet sind.
Das vertikale Fensterband an der nördlichen Stirnseite des Seitentraktes dient zur Belichtung des dahinterliegenden Mittelganges, von dem in jeder Etage pragmatisch die Behandlungs- und Krankenzimmer erschlossen werden. Die geplante einheitliche Öffnungsstruktur wurde zugunsten von unterschiedlich großen Fensterformaten – als Folge der verschiedenen Nutzungsanforderungen – bereits zur Bauausführung aufgegeben.
An der West- und straßenseitigen Ostfassade durchbrechen regelmäßig angeordnete Rechteckfenster die kontrastreiche, durch leicht unterschiedlich, farbigen Buca-Klinker gefügten Wandfläche. Dunklere blaurote Buca-Klinker kamen am Turm und hohen Sockel des Seitentraktes zur Verwendung.
Repräsentativer Schwerpunkt der Klinik ist im Inneren das Treppenhaus, dessen Läufe sich um den verglasten Aufzug legen. Die bauzeitliche wandfeste Ausstattung konnte hier bewahrt werden. In unmittelbarer Nähe zum Treppenhaus waren entlang des Mittelganges Sprechzimmer sowie Schwestern-, Büro-, Funktions- oder Warteräume angeordnet.
Das Kellergeschoss nahm Versorgungs- und technische Räume auf.[7][8][9][10][11][12]
Galerie
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Straßenseitige Ansicht (2025) -
Haupteingang, Seitenansicht (2025) -
Treppenhaus, Innenansicht (2025)
Weblinks
- https://www.gera.de/tourismus-freizeit-kultur/stadt-erleben/sehenswertes/bauhaus-und-moderne-in-gera
- https://www.tag-des-offenen-denkmals.de/denkmal/cmd5jzb13000yi8041woi26du/frauenklinik-dr-ernst-schaefer
- https://cubenuovo.com/2020/01/24/wenn-die-architektur-unaufgeregt-in-den-hintergrund-tritt/
- https://romy-picht.de/portfolios/frauenklinik-dr-ernst-schaefer/
- https://modernism-in-architecture.org/buildings/frauenklinik-gynaecology-clinic/
- https://vogtland-zauber.de/auf-den-spuren-des-bauhaus-und-des-neuen-bauen-in-gera/
- https://deu.archinform.net/projekte/7296.htm
- https://blog.interface.com/de/081-bauhaus-aufbruch-der-moderne-thilo-schoder-gera/
- https://schoenesgera.com/entdeckertour/bauhaustour/
- https://www.otz.de/regionen/gera/article219099343/Bauhaus-Architekt-Schoder-mit-grossem-Erbe-Doch-zum-125-Geburtstag-faellt-Gera-fast-nichts-ein.html
Einzelnachweise
- ↑ Die Bau- und Werkkunst IV. Jahrgang, Heft 6: Monatsschrift für alle Gebiete der Architektur und Angewandten Kunst, Seite 111, 1929
- ↑ Festrede Dr. med. Ernst Schaefer, anlässlich der Grundsteinlegung am 30. Mai 1929, Archiv Dr. Gisela Rossbach
- ↑ Aufzeichnungen Archiv Dr. Gisela Rossbach
- ↑ Ilona Berger: Wohnen in Gera in Häusern aus der Bauhauszeit. 27. Februar 2019, abgerufen am 26. August 2025.
- ↑ Beschlussurkunde des Rates des Kreises der Gera-Stadt vom 17. März 1982, Archiv Dr. Gisela Rossbach
- ↑ Denkmalpflegepreise der Stadt Gera. Abgerufen am 26. August 2025.
- ↑ Thilo Schoder, ein Architekt im Spannungsfeld der Moderne: Leben und Werk in Deutschland (1888–1936), Ulrike Lorenz, 2001
- ↑ Begründung zur Verleihung des Denkmalpreises der Stadt Gera für das Jahr 1992 an Dipl.-Ing. Architekt Volker Regel
- ↑ Dehio – Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Thüringen II, 1995
- ↑ Thilo Schoder, Neue Werk Kunst, Friedrich Ernst Hübsch Verlag, 1929
- ↑ Expressionismus in Thüringen, Facetten eines kulturellen Aufbruchs Cornelia Nowak, Kai Uwe Schierz, Justus H. Ulbricht, 1999
- ↑ Thilo Schoder, Architektur und Design 1888 – 1975, Ulrike Rüdiger, 1997
Koordinaten: 50° 52′ 55,2″ N, 12° 5′ 7,9″ O