E-Gruppe

Die zentrale Gran Plaza von Calakmul, beispielhaft für eine E-Gruppe, eingezeichnet ebenfalls die lang angenommene astronomische Nutzung.

Als E-Gruppe wird eine Siedlungsbauweise der antiken Maya bezeichnet, die vor allem bei den Tiefland-Maya verbreitet war. Sie regelte den Aufbau des Kerns der Siedlung um einen Platz, der das spirituelle und soziale Zentrum des jeweiligen Ortes war und hatte astronomische wie kalendarische Bedeutung. E-Gruppen entstanden aus früheren Bauplänen als solitäre Bauweise ab ungefähr 1000 v. u. Z. und blieben bis zum Ende der antiken Maya-Kultur über fast 2000 Jahre ein integraler Teil ihres Siedlungsbaus.

Definition

Der Begriff definiert einen Typ der Anlage der zentralen Plaza eines Ortes. An deren westlicher Seite steht in der Regel eine Pyramide, östlich ihr gegenüber eine längliche Plattform oder später ein dreigeteilter Komplex von Bauten, der von Norden nach Süden verläuft.[1] Wesentlichstes Element ist der östliche Teil, gelegentliche Varianten entfernten die westliche Pyramide später im Zuge von Umbauten oder lassen sie von Beginn an entfallen.[2] In der Forschung gelten solche Anlagen meist nicht mehr als E-Gruppen[3], nach Guderjan werden sie „Pseudo-E-Gruppen“ genannt[4]. Wenn die östliche Gruppe aus drei einzeln stehenden Pyramiden ohne verbindende Plattform besteht und eine westliche Pyramide fehlt, spricht man hingegen von einer Eastern Triadic Assemblage (ETA), diese finden sich vor allem in Belize.[5] Die Bedeutung des östlichen Teils unterstreichen auch die häufig dort zu findenden Depots oder Gräber. Oft finden sich am Nord- und Südende der Plazas ebenfalls noch Bauten von Bedeutung für das Gemeinwesen.[1]

Geschichte

Die westliche Pyramide von Ceibal, Teil der ältesten bekannten E-Gruppe

E-Gruppen gelten als „Schlüsselelemente“ in der Entwicklung früher Siedlungen der Maya,[2] sie blieben durchgängig in Gebrauch bis zum Ende der antiken Maya-Kultur in der Terminalen Klassik. Im Verlauf dessen wandelte sich sowohl ihre Architektur wie ihre soziale, politische und spirituelle Bedeutung und ermöglicht so Rückschlüsse auf die Geschichte der Maya-Zivilisation.[3]

Die älteste bekannte E-Gruppe ist die der Anlage von Ceibal, die ungefähr um 950 v. u. Z. errichtet wurde. Es wird allerdings weder angenommen, dass in Ceibal die E-Gruppe erfunden wurde noch dass sie eine Erfindung der Tiefland-Maya selbst war, sondern dass sie kulturübergreifend im Austausch zwischen der südlichen Golfküste und der südlichen Pazifikküste entstand. Als Vorläufer gilt der sogenannte Middle Formative Chiapas (MFC)-Komplex,[6] ein bereits von den Olmeken genutztes, standardisiertes Anlageformat, das aus einem entlang einer Nord-Süd-Achse ausgerichteten Komplex aus regelmäßig angeordneten pyramidalen Plattformen und Plazas besteht und im Kern auch regelmäßig E-Gruppen als West-Ost-Ensembles einschloss.[7] Solche E-Gruppen finden sich bereits in Orten wie Aguada Fénix oder San Lorenzo.[8]

Die E-Gruppe der zentralen Plaza A von Xunantunich von Süden nach Norden gesehen. Mittig die westliche Pyramide, rechts die östliche Triadengruppe. Im Norden die Residenz des Herrschers, Aussichtspunkt ist die südliche Tempelpyramide.

In Zentral-Chiapas um die Flüsse Río Grijalva und Río La Pasión entstand dann vermutlich im Austausch zwischen Olmeken und Maya aus dem MFC um 1000 v. u. Z. in Verbindung mit der Entstehung höherer Bauten und rituellen Praktiken wie Depots von Äxten aus Grünstein (darunter Jade) die E-Gruppe als eigenständige Form. Ab 800 v. u. Z. entstanden zunehmend reine E-Gruppen ohne Einbettung in MFC-Komplexe im zentralen Tiefland, so z. B. in Cival und in Tikal, den nach Ceibal ältesten bekannten Funden. In Tikal wurden auch erstmals die benötigten Hochpunkte nicht mehr wie bisher als Mound aus Erde aufgeschüttet und höchstens mit Steinen verkleidet, sondern aufgemauert. In der Folge entwickelten sich die Plazas der E-Gruppen zum zentralen Ort, an dem die jeweiligen Gemeinschaften ihr gemeinsames Selbstverständnis entwickelten und zelebrierten.[6] Dementsprechend wurden die entsprechenden Plazas auch bevorzugte Orte zur Aufstellung von Stelen.[1] Ihre frühe Ausbreitung erfolgte entlang damals bestehender kultureller und Handelsnetzwerke, die von Ceibal bis ins westliche Belize reichten (Cahal Pech, Blackman Eddy) und das Kernland der frühesten Maya-Zivilisation bilden.[2]

Um 400-350 v. u. Z. kollabierten, verfielen oder schrumpften zahlreiche der Stadtstaaten an der Golf- und Pazifikküste sowie in Chiapas, diese Entwicklung führte auch zur weitgehenden Aufgabe der Tradition von E-Gruppen und ihrer Bedeutung in den entsprechenden Regionen. Von nun an waren die Tiefland-Maya, insbesondere im Süden, die wesentlichen Träger der E-Gruppen. Insbesondere im nordöstlichen Petén und im Südosten von Campeche wurde der Typ so häufig, dass Mayanisten später zeitweise annahmen, der Typ sei dort entstanden. Hier wurde auch damit begonnen, die ursprünglich langgezogenen Plattformen ohne größere Aufbauten im Osten gegenüber der Pyramide im Westen ebenfalls hochzubauen.[6] Dabei entstanden neue Formen – während die Aufbauten in der Späten Frühklassik noch eine erhöhte mittlere Pyramide begleitet von zwei deutlich kleineren, oft länglicher Bauten zu ihrer Seite aufwiesen, die auf einer 90 bis 170 Meter langen Plattform standen (der sogenannte Cenote-Stil), entstanden in der Frühen Klassik daraus drei hohe, auf einer gemeinsamen, nur noch um die 70 Meter langen Plattform stehende Bauten, deren mittlerer sich architektonisch weniger stark von den Flügelbauten unterschied (der sogenannte Uaxactun-Stil), bestehende Cenote-Gruppen wurden oft entsprechend umgebaut.[2] Es wird vermutet, dass diese Bauten symbolisch die Berge ersetzten, die in der Ursprungsregion an der Pazifikküste vor den östlichen Plattformen als landschaftliche Referenzpunkte funktionierten.[6]

Funktion

Frans Blom interpretierte E-Gruppen noch als Observatorien, welche die Daten der Sommer- und Wintersonnenwende sowie der Tagundnachtgleiche genau bestimmen und so die optimalen Daten für Aussaat und Ernte bestimmen könnten.[1] Dies wird aber seit dem späten 20. und frühen 21. Jahrhundert zunehmend in Frage gestellt,[1] da viele E-Gruppen so starke Abweichungen in ihrer Ausrichtung aufweisen, dass sie nicht als Observatorien dienen konnten. Daher gilt die unbestrittene Verbindung mit dem Sonnenverlauf inzwischen eher als symbolisch bzw. kultisch.[3] Neben ihrer astronomisch hergeleiteten Bedeutung bildeten E-Gruppen in ihrer Architektur auch kalendarische Zyklen des Tzolkin-Kalenders ab.[8] Neben dieser Ausrichtung auf himmlische Elemente der Maya-Religion involvierten die E-Gruppen auch starke Bezüge zur Erde und Unterwelt. Insbesondere die frühen Plattformen verkörperten diese, später wurden Wasserreservoire in ihrer unmittelbaren Nähe angelegt und in Depots finden sich häufig Wasser- und Erdsymbole.[3]

Ihre zentrale Lage und die Häufung von Stelen, Gräbern und Depots in E-Gruppen unterstreicht ihre Bedeutung als spirituelle und kosmologische Zentren der jeweiligen Gemeinschaft. Anfangs dienten sie noch als deren räumliche wie identitäre Zentren, zu dieser Zeit fanden sie sich auch in kleinen Siedlungen. Spätere E-Gruppen finden sich hingegen nur noch in größeren Städten und bilden zunehmend eine Verschiebung ihrer sozialen Funktion von der Integration der Gemeinschaft hin zur Konsolidierung von Herrschaft ab. Zugleich illustrieren sie die zunehmende Bedeutung der Ahnenverehrung in politischer Hinsicht.[3] Inwiefern die anfangs öffentliche Abhaltung von Zeremonien religiöser Bedeutung dabei erhalten blieb, durch Zugangsbeschränkungen verloren ging oder durch „politisch-theatralische“ Ereignisse ersetzt wurde, wird noch diskutiert.[1]

Forschungsgeschichte

Gruppe E in Uaxactun, Namensgeberin der E-Gruppen. Blick von der westlichen Pyramide auf die östliche Plattform mit drei Pyramiden.

Die Bezeichnung leitet sich ab von der ersten Entdeckung einer solchen Anlagestruktur in der Gruppe E der Ruinenstätte von Uaxactún 1924 durch Frans Blom. Blom lieferte auch die erste Interpretation als Observatorien zur Bestimmung des Sonnenverlaufs.[1]

1940 wies dann Karl Ruppert nach, dass diese Bauweise in zahlreichen weiteren Anlagen ebenfalls zu finden sei. E-Gruppen oder Varianten davon wurden bis 2006 in rund 60 Ruinenstätten beschrieben, hauptsächlich im zentralen und südlichen Tiefland.[1] Spätere Studien erhöhten die Zahl signifikant: so waren im südöstlichen Peten 2008 rund 170 E-Gruppen und anhand von Lidar-Aufnahmen auch unausgegrabener Stätten 2023 an der südlichen Golfküste mehr als 100 E-Gruppen nachgewiesen.[8]

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h Grant R. Aylesworth: E-Group Arrangements. In: Handbook of Archaeoastronomy and Ethnoastronomy. Springer, New York, NY 2015, ISBN 978-1-4614-6140-1, S. 783–791.
  2. a b c d Arlen F. Chase, Diane Z. Chase: E Groups and the Rise of Complexity in the Southeastern Maya Lowlands. In: Jerry Murdock, Anne S. Dowd, Arlen F. Chase, David A. Freidel (Hrsg.): Maya E Groups: Calendars, Astronomy, and Urbanism in the Early Lowlands. University Press of Florida, 2017, ISBN 978-0-8130-5281-6, S. 31–72.
  3. a b c d e Diane Z. Chase, Patricia A. McAnany, Jeremy A. Sabloff: Epilogue: E Groups and Their Significance to the Ancient Maya. In: Jerry Murdock, Anne S. Dowd, Arlen F. Chase, David A. Freidel (Hrsg.): Maya E Groups: Calendars, Astronomy, and Urbanism in the Early Lowlands. University Press of Florida, 2017, ISBN 978-0-8130-5281-6, S. 578–582.
  4. Thomas H. Guderjan: E-Groups, Pseudo–E-Groups, and the development of the classic Maya identity in the eastern Peten. In: Ancient Mesoamerica. Band 17, Nr. 1, Januar 2006, S. 97–104, doi:10.1017/S0956536106050140.
  5. Claire E. Ebert, James McGee, Jaime J. Awe: Early Monumentality in the Belize River Valley: Excavations of a Preclassic E-Group at Cahal Pech, Belize. In: Latin American Antiquity. Band 32, Nr. 1, März 2021, S. 209–217, doi:10.1017/laq.2020.90.
  6. a b c d Takeshi Inomata: The Isthmian Origins of the E Group and Its Adoption in the Maya Lowlands. In: Jerry Murdock, Anne S. Dowd, Arlen F. Chase, David A. Freidel (Hrsg.): Maya E Groups: Calendars, Astronomy, and Urbanism in the Early Lowlands. University Press of Florida, 2017, ISBN 978-0-8130-5281-6, S. 215–252.
  7. John E. Clark, Richard D. Hansen: The Architecture of Early Kingship: Comparative Perspectives on the Origins of the Maya Royal Court. In: Royal Courts of the Ancient Maya. 1. Auflage. Routledge, 2001, S. 1–45, doi:10.4324/9780429497537-1.
  8. a b c Ivan Šprajc, Takeshi Inomata, Anthony F. Aveni: Origins of Mesoamerican astronomy and calendar: Evidence from the Olmec and Maya regions. In: Science Advances. Band 9, Nr. 1, 6. Januar 2023, doi:10.1126/sciadv.abq7675.