Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow

Eckhaus aus der Gründerzeit
Außenansicht des Institutsgebäudes, 2021

Das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow (kurz meist nur: Dubnow-Institut, früher Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig e. V.) in Leipzig ist ein interdisziplinär ausgerichtetes Institut zur Erforschung der jüdischen Lebenswelten vornehmlich in Mittel- und Osteuropa. Die Forschungsarbeit nimmt eine gesamteuropäische Perspektive ein und schließt die Räume der jüdischen Emigration, insbesondere Israel und Amerika, mit ein. Das Institut ist nach dem russisch-jüdischen Historiker Simon Dubnow (1860–1941) benannt und der säkularen Tradition seines Namensgebers verpflichtet. Jüdische Geschichte wird am Dubnow-Institut stets im Kontext ihrer nichtjüdischen Umgebung betrachtet und als Seismograf allgemeiner historischer Entwicklungen verstanden.

Geschichte und Forschungsfelder

Das Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow wurde 1995 als »Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur e. V.« auf der Grundlage eines 1994 gefassten Beschlusses des Sächsischen Landtags gegründet. Die Ursprünge des Instituts gehen zurück auf die Wende in der DDR 1989/90. Nach vorbereitenden Gesprächen mit dem jüdischen Historiker und Judaisten Ernst-Ludwig Ehrlich, dem katholischen Theologen Hanspeter Heinz und dem israelischen Generalkonsul Mordechai Levy setzte das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 1995 eine international besetzte 13-köpfige Gründungskommission ein, die die Berliner Historikerin Stefi Jersch-Wenzel zur Gründungsdirektorin berief. Am 9. November 1995 fand die offizielle Eröffnung des Instituts im Sächsischen Landtag statt. Bis heute ist es als eingetragener Verein organisiert. Zwischen 1999 und 2014 war der Historiker Dan Diner Leiter des Instituts. Von 2015 bis 2017 leitete Raphael Gross die Einrichtung. Seit 2017 ist Yfaat Weiss die Direktorin des Dubnow-Instituts. Seit dem 1. Januar 2018 ist das Institut Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.[1] Seitdem wird seine Grundausstattung jeweils zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen. Hinzu kommen Drittmittel, die das Institut für Forschungsvorhaben einwirbt.

Am Institut arbeiten rund 20 wissenschaftliche Mitarbeiter, dazu weitere in der Verwaltung sowie Doktoranden und eine wechselnde Zahl an Fellows des Visiting Research Fellowship-Programms sowie Gästen und Hilfskräften.[2] Die Bibliothek des Instituts verfügt aktuell über rund 23.000 Bände und 170 Periodika.[3] Der Bestand enthält die Nachlassbibliothek des israelischen Historikers Jacob Toury (1915–2004). Die Sammlung wurde dem Institut von Gideon Toury, Professor an der Universität Tel Aviv, und dessen Sohn Jacob Toury im Frühsommer 2005 übereignet.[4] 2021 erhielt die Bibliothek zudem die überlieferte Büchersammlung des kommunistischen Widerstandskämpfers und Auschwitz-Häftlings Otto Heller von seiner Enkelin in Paris, Nicole Papineau. Die Sammlung wurde im Rahmen eines am DI durchgeführten Forschungsprojekts entdeckt.[5]

Jüdische Lebenswelten werden am Dubnow-Institut stets im Kontext ihrer nichtjüdischen Umgebung betrachtet. Auf diese Weise wird das Erkenntnispotenzial jüdischer Geschichte für allgemeine historische Entwicklungen sichtbar gemacht. Um der Komplexität der jüdischen Lebenswelten und der engen Verschränkung sozialer, politischer und kultureller Entwicklungen gerecht zu werden, verknüpft die Institutsforschung Ansätze der historischen Wissenschaften produktiv mit solchen aus anderen Geistes- und Sozialwissenschaften und schärft insbesondere ideen-, gedächtnis- und erfahrungsgeschichtliche Zugänge.[6] Die epochenübergreifende Forschungsarbeit des Instituts ist in die drei Ressorts „Politik“, „Recht“ und „Wissen“ untergliedert, die je eigene inhaltliche Schwerpunkte, theoretische Ansätze und methodische Zugänge verfolgen. Die Institutsforschung bezieht auch Fragestellungen der material culture, der Transfer- und Restitutionsgeschichte ein.

Aktivität

Publikationen

Durch eine breite Palette von Publikationen werden die Forschungsergebnisse an ein Fachpublikum sowie eine interessierte Öffentlichkeit vermittelt. Dazu gehören unter anderem das zweisprachige, international renommierte Jahrbuch des Dubnow-Instituts/Dubnow Institute Yearbook; die Schriftenreihe; die Essayreihen „toldot“ und „hefez“ sowie das Magazin „Jüdische Geschichte & Kultur“.[7] Der Blog „Mimeo“ ist eine Plattform der Doktoranden des Instituts. Er dient dem Austausch und der Vernetzung und bietet Einblick in laufende Projekte von Nachwuchswissenschaftlern zur jüdischen Geschichte.[8] Im Forschungsprojekt „Das Objekt zum Subjekt machen. Jüdische Alltagskultur in Deutschland vermitteln“ erschienen seit 2023 drei Themenhefte am Dubnow-Institut. In Zusammenarbeit mit dem Verband der Geschichtslehrerinnen und -lehrer Deutschlands werden Aspekte der jüdischen Alltagskultur in Deutschland vermittelt und richten sich sowohl an Schülerinnen und Schüler als auch an die allgemeine Öffentlichkeit.[9]

Netzwerk

Eine wichtige Rolle spielt die nationale und internationale Forschungszusammenarbeit. Das Dubnow-Institut arbeitet eng mit der Universität Leipzig, der Sächsischen Akademie der Wissenschaften sowie mit der Hebräischen Universität Jerusalem zusammen. Darüber hinaus unterhält es Kooperationsbeziehungen zu zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen in Israel, den USA, Europa und Deutschland und stellt einen Ort des Austauschs für Wissenschaftler aus der ganzen Welt dar.[10]

"Belongings": Deutsch-Israelisches Graduiertenkolleg

Das Internationale Graduiertenkolleg „Belongings: Jewish Material Culture in Twentieth-Century Europe and Beyond“ (IRTG) ist das erste deutsch-israelische Graduiertenkolleg in den Geisteswissenschaften.[11] Es ist ein Kooperationsprojekt der Universität Leipzig, der Hebräischen Universität Jerusalem und des Leibniz-Instituts für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow.[12] Mit einem Festvortrag von Ofer Ashkenazi wurde das IRTG am 12. November 2024 im Paulinum feierlich eröffnet.[13]

Ziel ist die Erforschung jüdischer materieller Kultur in der Moderne: Das Kolleg will anhand von Objekten und Materialität neue Analyseinstrumente entwickeln und so das Verständnis jüdischen Lebens in Europa und dessen Verflechtungen mit nichtjüdischer Umgebung erweitern.[14] Es umfasst fünf Forschungscluster - Practice, Ownership, Text, Memory und Stage - und befasst sich mit materiellen Objekten, die verloren gingen, imaginiert oder ersehnt wurden oder deren Fehlen durch die Brüche des 20. Jahrhunderts spürbar ist.[15][16]

Finanziert wird das Kolleg durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie durch die Alfred Landecker Stiftung. Ab August 2024 sollen zwei Kohorten aus je 22 Promovierenden und zwei Postdocs an beiden Standorten (Jerusalem und Leipzig) in einem strukturierten Qualifizierungsprogramm zusammenarbeiten; dazu gehört unter anderem der Erwerb jüdischer Sprachen sowie die Qualifizierung mit Aktivitäten in Museen, Archiven und Bibliotheken.[17]

Ausstellungen

Jüdisches Album. Fotografien von Rita Ostrovska

Vom November 2021 bis September 2023 zeigte das Institut in seinen Räumlichkeiten die Ausstellung Jüdisches Album. Fotografien von Rita Ostrovska. Die Schau präsentierte Fotografien, die zwischen 1989 und 2003 entstanden und das Leben jüdischer Familien in der Ukraine sowie die Migration aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel, Deutschland und in die USA dokumentieren. Ergänzt wurde sie durch persönliche Aufnahmen der Fotografin und ein von ihr gestaltetes Familienalbum.[18] Die Ausstellung war Teil des Forschungsprojekts Wanderndes Wissen. Wirkungen und Rückwirkungen der Emigration aus Osteuropa auf die Jüdischen Studien seit den 1960er Jahren.[19]

Der bestimmende Blick. Bilder jüdischen Lebens im Nachkriegspolen

Mit der Eröffnung am 11. Dezember 2023 folgte die Ausstellung Der bestimmende Blick. Bilder jüdischen Lebens im Nachkriegspolen, die bis Februar 2026 zu sehen ist. Unter Beteiligung des Jüdischen Historischen Instituts (Warschau) erarbeitet die Ausstellung Fotografien jüdischen Lebens in Polen unmittelbar nach dem Holocaust. Der Umgang mit Fotoalben und Sammlungen erfolgte unter Reflexion der Interessen der Auftraggeber in Bezug auf Themenwahl, Bildmotive, Bildausschnitte und dem bei den Betrachtenden erzeugten Eindruck - denn so heißt es: "der einzigartige Bildbestand insbesondere von Fotoalben ist keine neutrale Dokumentation der historischen Wirklichkeit [...]."[20] Das Kuratorinnenteam legte dabei einen besonderen Schwerpunkt auf Auftragsarbeiten der Fotografin Julia Pirotte, ermöglicht beispielsweise auch private Einblicke in das Leben von Zygmunt und Janina Baumann und Fotografien gänzlich unbekannter Urheber. Die Ausstellungsbroschüre ermöglicht den Zugang zu digitalisierten Fotoalben, die in der Ausstellung Anwendung finden.

Struktur

Die Gremien des Dubnow-Institut sind:[21]

Kuratorium

  • Für das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus: Tim Metje (Vorsitzender)
  • Für das Bundesministerium für Bildung und Forschung: Michael Schnatz (stellvertretende Vorsitzende)
  • Für die Universität Leipzig: Eva Inés Obergfell, Rektorin
  • Für die Mitgliederversammlung: Eva Wiese (kommissarisch)
  • Susanne Wasum-Rainer, Botschafterin a. D.

Wissenschaftlicher Beirat

  • Anna Artwińska (Institut für Slavistik, Universität Leipzig)
  • Katerina Capková (Institute of Contemporary History Czech Academy of Sciences, Prag)
  • Sabine Koller (Professur für Slavisch-Jüdische Studien, Universität Regensburg)
  • Johannes Paulmann (Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Mainz)
  • Marcos Silber (Department of Jewish History, University Haifa)

Mitgliederversammlung

Mitarbeiter

Wissenschaftliche Mitarbeiter des Dubnow-Institut in leitender Position:[22]

  • Yfaat Weiss (Direktorin)
  • Jörg Deventer (Stellvertreter der Direktorin)
  • Elisabeth Gallas (Stellvertreterin der Direktorin und Leiterin des Ressorts „Recht“)
  • Nicolas Berg (Leiter des Ressorts „Wissen“)
  • Jan Gerber (Leiter des Ressorts „Politik“)

Direktoren (chronologisch)

Literatur

  • Hans-Joachim Hahn, Eva Bormann, Nicolas Berg: Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig, Simon-Dubnow-Institut für Jüdische Geschichte und Kultur, Leipzig 2008 (DNB 989505294).

Einzelnachweise

  1. Geschichte - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  2. Personen - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  3. Institutsbibliothek
  4. Nachlassbibliothek Jacob Toury - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  5. Jahresbericht 2021. Dubnow-Institut, abgerufen am 2. Dezember 2022.
  6. Über uns - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  7. Reihen - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  8. Mimeo – Blog der Doktorandinnen und Doktoranden am Dubnow-Institut. Abgerufen am 15. Mai 2019.
  9. Jüdische Alltagskultur vermitteln – Themenhefte für den Unterricht. Abgerufen am 19. September 2025.
  10. Netzwerk - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  11. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  12. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  13. Eröffnung des Internationalen Graduiertenkollegs »Belongings« zur jüdischen materiellen Kultur. Archiviert vom Original am 12. Juli 2025; abgerufen am 19. September 2025 (deutsch).
  14. Belongings – Jewish Material Culture in Twentieth-Century Europe and beyond. Abgerufen am 19. September 2025 (amerikanisches Englisch).
  15. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  16. admin: Clusters. In: Belongings. Abgerufen am 19. September 2025 (amerikanisches Englisch).
  17. admin: Who we are. In: Belongings. Abgerufen am 19. September 2025 (amerikanisches Englisch).
  18. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  19. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  20. Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur - Simon Dubnow. Abgerufen am 19. September 2025.
  21. Organisation - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.
  22. Personen - Dubnow-Institut. Abgerufen am 10. Juli 2021.