Dokumentarliteratur

Titelseite von Arnolds/Reinhardts Buch zu Dokumentarliteratur

Dokumentarliteratur (auch: dokumentarische Literatur) bezeichnet literarische Texte, die vor allem aus nichtfiktionalem Material zusammengesetzt sind oder reale Ereignisse möglichst wirklichkeitsnah beschreiben.

Begriffsbestimmung

Dokumentarliteratur sind "literarische Texte, die aus nichtliterarischen Vorlagen komponiert sind".[1] Dokumentarliteratur im engeren Sinne ist eine Aneinanderreihung von dokumentarischen Vorlagen, die reale Vorgänge oder Aussagen von Personen beschreiben. Häufige Techniken sind dabei Montage, Sampling und Collage. (Ein Protokoll, also eine reine Niederschrift, wird dagegen nicht zur Dokumentarliteratur gerechnet, da dort das literarische, subjektiv zusammensetzende Element fehlt.) Dokumentarliteratur im weiteren Sinne sind Reportagen, die reale Ereignisse in publizistischer Form wiedergeben, wie Erlebnisberichte oder Autobiographien.

Der formale Widerspruch der Dokumentarliteratur ist, dass sie zwar einen besonderen Authentizitäts- bzw. Wahrheitsanspruch hat, dabei aber das Produkt eines auswählenden Autors ist, der eine bestimmte Absicht mitteilen will, und Realitäten nicht ungeordnet wiedergibt. Sie ist letztendlich eine subjektive Wahrnehmung und nicht unmittelbare Wirklichkeit.

Geschichte

Eine frühe Form der Dokumentarliteratur war die sogenannte Faktographie in der jungen Sowjetunion, deren bekanntester Vertreter Sergej Tretjakow war.[2] In Deutschland ließen sich in den 1920er und frühen 1930er Jahren die Reportagen von Egon Erwin Kisch (Jahrmarkt der Eitelkeiten), die Reportageromane von Theodor Plevier, bestimmte Formen des Agitprop-Theaters und das politische Theater der Piscator-Bühnen als Dokumentarliteratur im weiteren Sinne bezeichnen.

Ihren Höhepunkt erreichte die formale Dokumentarliteratur in der Bundesrepublik in den 1960er Jahren. Diese verwendete viel dokumentarisches Material, vor allem um gesellschaftliche Missstände drastisch wiederzugeben und auch, um die furchtbaren Ereignisse der MS-Zeit unmittelbarer zu beschreiben. "Der Begriff der Dokumentar-Literatur verdankt sich dem gegenwärtigen Hang des Kulturbetriebs, eine karge, trockene Sprache zu sprechen und so für einen wissenschaftlichen Touch zu sorgen. "[3] Die wichtigsten Dramatiker waren Rolf Hochhuth (Der Stellvertreter), Peter Weiss (Die Ermittlung) und Heinar Kipphardt (In Sachen J. Robert Oppenheimer), sowie etwas später die Autoren Hans Magnus Enzensberger (Der kurze Sommer der Anarchie) und Alexander Kluge.

Seit den 1970er Jahren wurden Reportagen Bestandteil der westdeutschen Literatur, vor allem die Undercover-Erlebnisse von Günter Wallraff (Ganz unten). In den 2010er Jahren erreichte der Schweizer Milo Rau (Das Kongo Tribunal) mit seinen Dokumentartheaterstücken viel Aufmerksamkeit.

Auch in anderen Ländern wie in der Sowjetunion oder in Schweden gab es dokumentarische Literatur.

Formen

Zur Dokumentarliteratur werden Dokumentarromane, dokumentarische Theaterstücke und in seltenen Fällen auch dokumentarische Lyrik gerechnet. Im weiteren Sinne werden auch Reportagen, und Berichte dazugezählt .

Die Interviewliteratur, die biographische Befragungen von Personen, meist aus einfachen Verhältnissen, in Protokollform wiedergibt, wurde 1969 von Erika Runge mit ihren Bottroper Protokollen begründet. Sie wurde in den folgenden Jahrzehnten vor allem in der DDR häufiger genutzt, als Ersatz für den fehlenden freien Journalismus. Am bekanntesten wurde dort Guten Morgen, du Schöne von Maxie Wander.

Beispiel

Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27. 1. 1968


WABRA
LEUPOLD POPP
LUDWIG MÜLLER WENAUER BLANKENBURG
STAREK STREHL BRUNGS HEINZ MÜLLER VOLKERT


Spielbeginn: 15 Uhr


aus: Peter Handke. Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt, Frankfurt a. M. 1969, S. 59.

Siehe auch

Literatur

Monographien
  • Brian Barton: Das Dokumentartheater. Metzler, Frankfurt/M. 1987, ISBN 3-476-10232-7 (Sammlung Metzler; 232).
  • Arnold Blumer: Das dokumentarische Theater der sechziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Edition Hain, Meisenheim/Glan 1977, ISBN 3-445-01513-9 (zugl. Dissertation, Universität Kapstadt 1975).
  • Heinz Ludwig Arnold, Stephan Reinhardt (Hrsg.): Dokumentarliteratur. Boorberg, München 1973, ISBN 3-415-00318-3 (Text + Kritik).
  • Hans-Henner Nordmann: Dokumentarisches Drama. Dissertation, Universität Berlin 1970.
Lexikonartikel
  • Klaus Weimar (Hrsg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung, 2010. S. 383–385; Dokumentarliteratur

Einzelnachweise

  1. Klaus Weimar (Hrsg.), Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung. Berlin 2010, S. 383f.; mit weiteren Erläuterungen
  2. Reallexikon, S. 384f., dort auch die folgenden Angaben
  3. Dieter J. Zimmer, Die sogenannte Dokumentar-Literatur, in Die Zeit, 48/1969, vom 28. November 1969 (Text), (eingeschränkte Ansicht, die ersten Abschnitte werden durch Kopieren sichtbar)