Der Schatz der Sierra Madre (Roman)

Der Schatz der Sierra Madre ist ein erstmals 1927 in der Büchergilde Gutenberg erschienener Roman von B. Traven.

Kurzbeschreibung

Die US-Amerikaner Dobbs, Curtin und Howard investieren ihr spärliches letztes Geld in Goldgräber-Ausrüstung und begeben sich in die Sierra Madre Occidental, wo sie durch harte Arbeit tatsächlich Gold finden. Abgeschieden in den Bergen geraten die drei Goldsucher immer wieder aneinander. Diese Animositäten begünstigen nach Auflösung des Goldgräber-Camps das Zerreißen des fragilen Bündnisses: Dobbs entkommt mit der gesamten Ausbeute der Goldsuche, wird jedoch von Banditen getötet, die das Gold irrtümlich für Sand halten und achtlos an unbekanntem Ort verstreuen.

Inhalt

Der US-Amerikaner Dobbs schlägt sich als Tagelöhner und Schnorrer in Tampico durch, hat kein rechtes Verhältnis zum Geld, weil er so wenig besitzt: „Wenn er fünfzehn Centavos aufbringen konnte, dann konnte er auch zwanzig aufbringen, und wenn er keine zwanzig machen konnte, dann fehlten ihm auch die fünfzehn. Im Grunde genommen war es also ganz gleich“,[1] und er kann Geld genauso gut zum Fenster rauswerfen, beispielsweise durch ein Lotterielos. „Immerhin, weg ist weg. Und man konnte ein paar Tage hoffen.“[2] Als Dobbs mal kurzzeitig Arbeit bei einer Bohrturm-Errichtung hat, lernt er den US-Amerikaner Curtin kennen.[3] Zusammen kommen sie auf die Idee, nach Gold zu suchen statt nach Arbeit. „Es ist schließlich keine gewagtere Spekulation, als auf Arbeit in den Ölfeldern zu warten.“[4] Ehe es fest zum Entschluss kommt, trifft Dobbs in seiner Billig-Absteige außerdem auf den älteren US-Amerikaner Howard, der in Alaska, British Columbia, Australien, Montana sowie Colorado nach Gold gegraben, den so erzielten Gewinn aber durch Ölsuche wieder verloren hat und von seinen Goldgräber-Erfahrungen erzählt.[5] Nach abermaliger tagelanger Arbeitssuche entschließt sich Dobbs Curtin gegenüber: „Ich gehe jetzt los auf Gold.“[6] Er will Howard mitnehmen: „Howard hat Erfahrung, er hat selbst gegraben und hat auch fein Geld gemacht. Im Öl ist alles wieder draufgegangen.“[7] Howard ist einverstanden. Die drei angehenden Goldsucher finanzieren ihre Goldsuch-Ausrüstung: Howard gibt zweihundert US-Dollar, sein „letztes Geld“,[7] Dobbs kann feststellen, dass er durch das Lotterielos hundert Pesos gewonnen hat, und Curtin lässt sich von einem Freund hundert US-Dollar telegrafieren. „Sie nahmen den Nachtzug nach San Luis. Von dort fuhren sie mit dem nächsten Zug hinauf nach Durango. Hier saßen sie über Karten und studierten die Gegend“.[8] Auf Basis der Karten bestimmt Howard den Ort, wo ungefähr sie nach Gold suchen wollen. Viermal finden sie Gold, doch nicht in des Auswaschens lohnenswerter Menge, ziehen weiter, bis sie sich endlich an einer erfolgversprechenden Stelle dauerhaft einrichten.[9] „Sie schufteten wie blöd gewordene Sträflinge. Am Tage war es sehr heiß, und in der Nacht war es bitterkalt. Ihr Arbeitscamp lag hoch im Gebirge, in der Sierra Madre. Kein geordneter Weg führte dorthin, nur ein Maultierpfad bis zum Wasser“ mehr als 100 Meter tiefer am Berg: „Um die nächste Eisenbahnstation zu erreichen, dazu war ein Eselsritt von zehn oder zwölf Tagen erforderlich.“[10] Die drei US-Amerikaner „steigen durch ihre selbstständige Goldsuche in der Arbeitshierarchie nicht auf, sondern bringen ihre Erlebnisse aus Tampico mit und wiederholen sie unter extremen meteorologischen Bedingungen. Sie verlieren im dumpfen Alltag ihre Sprache und kommunizieren nur noch mit unverständlichen Kürzeln, geben ihre körperliche Pflege auf und treiben sich bärtig, langhaarig und nur mit Lumpen bekleidet bergauf und bergab“,[11] werden äußerst reizbar durch das „ewig gleichförmige Essen“ und die „öde Eintönigkeit ihrer Tätigkeit“,[12] nämlich „den täglichen und geregelten Abbau“ des Goldes, der im Romanverlauf „mit monotoner und tayloristisch optimierter Fabrikarbeit verglichen wird“.[11] Schließlich meinen sie, alsbald genug Gold zusammenbekommen zu haben, setzen sich ein End-Datum für ihre Goldsuche. „Sie hatten jetzt ein bestimmtes Ziel, einen festgesetzten Tag, an dem sie das Lager aufgeben wollten. Und das veränderte ihre Stimmung und ihr Wesen so vollkommen, daß sie nicht begreifen konnten, wie solche Streitigkeiten überhaupt möglich gewesen waren.“[13]

Bevor die drei Goldsucher abreisen, stößt mit dem US-Amerikaner Robert Lacaud unerwartet und unerwünscht ein weiterer Goldsucher zum Trio, der auf seinem Recht besteht, ebenso sehr vor Ort sein zu dürfen wie die drei alteingesessenen Goldsucher: „Mein Recht beruht darauf, daß ich etwas weiß, was ihr nicht wißt.“[14] Aus rein rationalen Gründen haben die drei Alteingesessenen Lacaud vorerst am Leben gelassen, als sich weitere Neulinge ankündigen. „Zehn oder zwölf“[15] Mestizen[16] nähern sich dem Camp, deren Anführer von Lacaud aus der Ferne als Anführer eines skrupellosen Zug-Überfalls identifiziert wird und Ramirez heißt. Die vier US-Amerikaner brechen das Camp ab, versuchen, dessen Platz so aussehen zu lassen, als wäre er aufgegeben, schmieden einen Verteidigungsplan. Basis der Verteidigung: „eine tiefe Erdrinne, die sich dicht an der Felswand befand. Diese Rinne war gut zur Verteidigung geeignet, denn sie konnten weder von hinten angegriffen noch umgangen werden und hatten den freien ausgerodeten Platz vor sich, wo sie jede Bewegung der Angreifer verfolgen und jeden Mann gut aufs Korn nehmen konnten.“[17] Während die vier Verteidiger sich still verhalten, beschließt die eingetroffene Ramirez-Bande, „hier für einige Zeit ihr Hauptquartier aufzuschlagen, bis die Sache mit dem Zugraub etwas verblaßt war und die Soldaten in weiter abliegenden Distrikten auf der Verfolgung waren.“[18] Curtin wird zufällig auf seiner Einzelposition in der Erdrinne entdeckt. Es kommt zum belagerungsartigen Kampf, der für die US-Amerikaner schlecht zu enden droht, als sich Soldaten dem Platz nähern. „Sie hatten zweifellos erfahren, daß die Banditen hier irgendwo sein müßten“,[19] die sich vom Platz entfernen, um dort nicht in eine Falle zu geraten. Die drei alteingesessenen US-Amerikaner räumen nach Verschwinden der Ramirez-Bande und der Soldaten den Platz weiter auf, um ihn unauffällig zurückzulassen und gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt die Mine abermals auszubeuten. Der eigenbrötlerische „Ahasver-Typus“[20] Robert Lacaud „war wieder seine eigenen Wege gegangen und […] sagte nicht, was er suche, und von den dreien fragte ihn niemand.“[21]

Dobbs, Curtin und Howard reisen ab mit ihrer geteilten Ausbeute, unauffällig in Felle verpackt, werden aufgehalten in einem Indianerdorf durch die Mitarbeiter einer staatlichen Impfkampagne, lassen sich impfen. Ein Indianer fragt die US-Amerikaner, ob sie seinem Sohn helfen könnten, der bewusstlos aus einem Gewässer geborgen wurde. Howard beatmet den beinahe Ertrunkenen, belebt ihn so wieder, und der Indianer fordert: „Dafür müssen Sie mein Gast sein. Zwei Wochen.“[22] Der aufdringlichen Gastfreundschaft wird Nachdruck verliehen dadurch, dass der Indianer nicht allein ist. „So verärgert die drei Reisenden auch waren, sosehr sie sich wehrten, sie konnten nicht entkommen. Sie waren umringt von den sechs Männern und waren in deren Gewalt. […] So schien es der beste Ausweg zu sein, daß Howard den beiden Arbeitsgenossen sein Gut übergab“, die es quittieren und in Tampico in Howards Namen auf ein Bankkonto einzahlen wollen.[23] Doch die „drei Männer, die sich hier zusammengefunden hatten, waren niemals Freunde gewesen. Sie hatten auch kaum je daran gedacht, irgendwann einmal Freunde zu werden. Sie waren, um das Beste in dieser Hinsicht zu sagen, Geschäftsfreunde. Aus reinen Nützlichkeitserwägungen hatten sie sich zusammengetan. Sobald dieser Grund verschwand, hörte auch ihre Gemeinschaft auf.“[24] Dobbs und Curtin sind im Verlauf der Weiterreise „wütend, daß sie die Fracht Howards zu transportieren hatten, daß sie seine Esel zu treiben hatten, daß sie sein Gut abladen und aufladen mußten und daß er fehlte und seinen Teil der Arbeit nicht verrichtete.“[25] Dadurch vergrämt, schlägt Dobbs Curtin vor, dass sie Howards Anteil unter sich aufteilen sollten, was Curtin verweigert. Doch das Misstrauen bleibt, und Curtin ist sich sicher, dass Dobbs nun auch ihn opfern würde. „Da war nur ein Ausweg. Curtin hatte das mit Dobbs zu tun, was Dobbs mit Curtin vorhatte. Eine andere Rettung gab es nicht.“[26] In dieser Situation, in der „die Sicherheit des eigenen Lebens allein in der rücksichtslosen Überwältigung und Vernichtung des andern“ liegt,[27] überwältigt Dobbs Curtin, tötet ihn vermeintlich, macht sich mit der Ausbeute aller drei Goldsucher allein davon, Zielort Durango.[28] „Was kann Howard machen? Nichts. Versucht er, mit der Polizei oder dem Gericht etwas zu erreichen, dann sitzt er selber drin. Er hat ja eine Mine gegraben und ausgebeutet, ohne die Erlaubnis der Regierung einzuholen.“[29]

Etwa drei Stunden bevor Dobbs Durango erreichen kann,[30] trifft Dobbs bei einer Rast auf drei Männer. „Sie waren völlig zerlumpte und heruntergekommene Mestizen.“[31] Dobbs fühlt sich bedroht von den drei Männern, die ihre Todesverachtung offen zur Schau tragen: Falls sie ihn überfallen würden, könne er, bevor er selbst überwältigt würde, „nur einen schießen, und dem ist es ohnehin gleichgültig.“[32] Ein Steinwurf-Treffer bringt Dobbs zu Fall, ein Machetenhieb um den Kopf. Abgesehen vom durch den Machetenhieb in Mitleidenschaft gezogenen Hemd teilen die Raubmörder Dobbs‘ Kleidung auf, verscharren Dobbs, ziehen mit den Goldsucher-Esel und dem in Fellen verteilten Goldstaub von dannen, begutachten ihre Beute bei schlechten Sichtverhältnissen und sind sich daher über die Natur des Goldes im Unklaren: Sie halten es für Sand, den man zur Erhöhung des Fell-Verkaufsgewichts verwendet habe und den sie nun erbost ausschütten. „Es war so dunkel geworden, daß sie den Charakter des Sandes selbst dann nicht hätten erkennen können, wenn sie mehr darüber gewußt hätten.“[33] Die Goldsucher-Esel versuchen die Raubmörder in einem Indianer-Dorf zu verkaufen, wo man aber deren Brandzeichen identifiziert und sogar weiß, dass sie „vor zehn oder elf Monaten an drei Amerikaner“ verkauft worden waren,[34] von denen laut einem der Indianer einer inzwischen „auf der andern Seite der Sierra in einem Dorfe ist, er ist ein Doktor.“[35] Die Indianer finden außerdem die geraubte Kleidung auffällig, die die Raubmörder am Leibe tragen, verfolgen deren Spuren zurück, exhumieren Dobbs und bringen das Diebesgut zu dem ihnen bekannten „Doktor“ Howard, der inzwischen einen medizinischen Einsatz hatte: Ein Köhler hatte den sich verletzt davonschleppenden Curtin gefunden. Einer der Raubmörder gesteht Howard, dass sie den „Sand“ achtlos ausgeschüttet hätten: „Irgendwo im Busch. Das eine Säckchen hier, das andere weiter fort. Es war finster. Wir sind dann in der Nacht weitermarschiert, um fortzukommen“,[36] hatten aber einen Bruchteil des Goldes übersehen, das die beiden verbleibenden Goldsucher nun für ihre Zukunftspläne an sich nehmen. „Howard und Curtin […] können über das absurde Ende ihrer Goldsuche nur lachen. Eingegliedert in die indigene Dorfgemeinschaft können sie Pläne für ein Lebensmittelgeschäft in Tampico schmieden. Als ‚wahrer Schatz‘ und als einzige nützliche Vernetzung erweisen sich hier Partnerschaft und Solidarität.“[37]

Eingebettet in den Roman sind drei Erzählungen der Goldsucher:

  • die Geschichte der Grünwassermine in New Mexico, erzählt von Howard[38]
  • die Geschichte des Zug-Überfalls der Ramirez-Bande und von deren Strafverfolgung, erzählt von Robert Lacaud[39]
  • die Geschichte der Doña Catalina Maria de Rodriguez, erzählt von Howard[40]

Nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Wilfried F. Schoeller spiegelt sich der Romanverlauf in diesen eingeschobenen Erzählungen.[41]

Textanalyse

Bei Der Schatz der Sierra Madre handelt es sich um einen auktorial erzählten sozialkritischen[42] „Goldgräberroman“,[43] der „oft auch als Jugendbuch verkauft“ wird.[44] „Wie viele von Travens Werken fällt auch Der Schatz der Sierra Madre oft in die Klassifizierung des Abenteuerromans, obwohl er häufig die Konventionen des Genres negiert“, kommentierte die US-Wochenzeitschrift The Nation 2021 den Versuch, Der Schatz der Sierra Madre einem bestimmten Genre zuzuordnen.[45] Die Handlung des Romans spielt in und um Durango, in und um Tampico, in einem Ölsucher-Camp südlich von Pánuco (circa 40 km südwestlich von Tampico),[46] hauptsächlich jedoch in einem Goldsucher-Camp in der Sierra Madre, etwa zehn oder zwölf Esels-Tagesritte[10] entfernt von den Orten Chinacates (circa 125 km nordnordöstlich von Durango) oder Guatimapé (circa 85 km nordnordöstlich von Durango).[47] Zeitlich zu verorten ist die Goldsuche samt „zehnmonatigem Schuften“[44] in der Zeit der US-Prohibition.[48]

Themen

In dem Roman Der Schatz der Sierra Madre geht es allgemein „um Arbeit und Führung, um Preis und Wert, um die Kosten des Schweißes und die Kostbarkeit des menschlichen Lebens“, so die Social-Journalism-Plattform Medium im Jahr 2015.[49] Spezialthemen des Romans sind:

Sein und Bewusstsein, Gold und Goldgier

Ausgehend von der zentralen These der Marxschen Philosophie „Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“,[50] scheinen bei den meisten Roman-Figuren „Umwelteinflüsse (und die Armut) […] sanftere Gefühle zu ersticken. Den in ein enges Dasein gleichsam eingeklemmten Menschen scheint die Möglichkeit verwehrt zu sein, ihr Milieu gegen Zustände größerer Hoffnung einzutauschen.“[51] Im Umkehrschluss ändert auch der Reichtum laut Traven das Bewusstsein, das paranoide Züge annimmt: „Sobald man etwas besitzt, sehen alle Dinge in der Welt gleich ganz anders aus. Auf alle Fälle gehört man von dem Augenblick an zur Minderheit, und alle, die nichts besitzen oder weniger besitzen, bekommt man zu Todfeinden. Man muß dann immer auf der Hut sein. Man hat dann immer etwas zu bewachen. Solange man nichts hat, ist man der Sklave seines hungrigen Magens und der natürliche Sklave derer, die einen hungrigen Magen füllen können. Wenn man aber etwas hat, dann ist man Sklave seines Besitzes.“[24] Das gilt auch für den Besitz des Goldes, das in dem Roman „profanisiert und entzaubert“ wird,[52] „entmystifiziert und relativiert“[37] und über das ein Indianerhäuptling in der eingebetteten Geschichte der Doña Catalina Maria de Rodriguez sagt: „Die Erde bringt Segen, reichen Segen, die Früchte bringen Segen, reichen Segen, meine Viehherde bringt Segen, reichen Segen. Gold bringt keinen Segen, und Silber bringt keinen Segen. Bringt es euch, den weißen Spaniern, Segen? Ihr mordet euch um das Gold. Wir haben nie das Gold zu unserem Herrn gemacht, wir waren nie seine Sklaven.“[53] Die Romanfigur Howard nennt Gold „eine verteufelte Sache“, die den Charakter verschlechtere und Menschen dazu bringe, nicht mehr „zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden.“[5] Für Howard sind alle Menschen gleich, „wenn das Gold mitspielt. Alle gleich niederträchtig. Da, wo sie gepackt werden können, sind sie nur vorsichtiger, verlogener, verheuchelter.“[54] Die Romanfigur Curtin dagegen vertritt die Auffassung, dass nicht das Gold den Charakter verändere, sondern die Reaktion der Umwelt auf den Goldbesitz entscheidend wären sowie grundlegende Persönlichkeitsmerkmale: „Die bestimmten Charaktereigenschaften seines Besitzers schaffen den Fluch oder den Segen. Gib einem Schurken Kieselsteine in die Hand oder trockne Schwämme, er wird sie gebrauchen, um einen Schurkenstreich damit zu verüben. […] Das Gold selbst ist nicht notwendig. Wenn ich jemand glauben machen kann, daß ich viel Gold besitze, kann ich dasselbe erreichen, als wenn ich es wirklich hätte. Es ist nicht das Gold, das die Menschen verwandelt, als vielmehr die Macht, die sie mit Hilfe des Goldes ausüben können“.[55] Gegen Ende des Romans kommt das „achtlose Verstreuen des mühsam geschürften Goldes, das nur als unnützer Staub identifiziert wird, […] einem antikapitalistischen Memento gleich.“[56]

Macht und Ohnmacht des Gewissens

Analog zur Einschätzung Curtins, dass nicht das Gold den Menschen schlecht mache, sondern die damit verbundene Macht, verhält es sich laut dem Roman mit Untaten und dem menschlichen Gewissen, was Howard an einer Stelle des Romans so ausdrückt: „Taten belasten nicht. Es sind immer nur die Erinnerungen, die an der Seele fressen.“[54] Selbst das bezweifelt der Weltkriegs-Veteran Dobbs nach seinem vermeintlichen Raubmord an Curtin: „Wieviel Deutsche habe ich denn in Frankreich abgeschlachtet? Fünfzehn? Ich glaube, es waren dreiundzwanzig. […] Und ich habe immer gut geschlafen, es ist mir keiner von den Deutschen je im Schlafe erschienen, keiner hat mein Gewissen beunruhigt.“[57] Der Gemordete erscheine „einem nur dann, wenn man Angst hat, daß es herauskommen könnte oder daß man gefaßt werden könnte. Und weil Soldaten und Henker bezahlt werden, darum läßt sie das Gewissen immer in Ruhe, auch wenn sie noch so viele Menschen umbringen. […] Wenn man an ein Gewissen glaubt, dann hat man eins, und dann schlägt es einem auf Kommando; wenn man nicht an ein Gewissen glaubt, so hat man keins, und es belästigt einen nie.“[58] Nach dem Raubmord an dem räuberischen Dobbs meint Howard, Dobbs habe „so viel und so wenig Gewissen wie wir alle, wenn er denkt, daß er die Ellenbogen gebrauchen muß, um raufzukommen. Wo kein Ankläger zu erwarten ist, da schweigt es wie eine leere Schnapsflasche, die in einem verstaubten Winkel liegt. Das Gewissen ist nur lebendig, wo es unterstützt wird. Dafür sind ja die Zuchthäuser, die Henker, die Höllenstrafen. Haben unsere Munitionslieferanten, die ihr Geld machten, als sie halfen, die europäischen Völker abzuschlachten, ein Gewissen? Hat unser Mr. Wilson ein Gewissen gehabt, als er fünfzigtausend von unsern Jungen ermorden ließ, weil Wallstreet fürchtete, ihr Geld zu verlieren, und die Munitionsmacher noch bessere Geschäfte machen wollten? Ich habe nie davon gehört. Immer nur wir kleinen Kicker müssen das Gewissen haben, andre brauchen keins“,[59] eine Weltsicht, die auch Curtin teilt, während er darüber nachsinnt, „das mit Dobbs zu tun, was Dobbs mit Curtin vorhatte“, nämlich den Gegner zu eliminieren:[26] „Die schweren Ölmagnaten, die Stahlkönige, die Eisenbahnriesen können nicht sein, was sie sind, wenn sie sich von dem sogenannten Gewissen beeinflussen lassen würden. Warum sollte er, der Kleine, der Winzige, ein edleres und feineres Gewissen haben als jene, die als die Sterne der Nation bezeichnet werden und die in Zeitungen, Zeitschriften und Lesefibeln als die großen Beispiele der Tatkraft, der Willenskraft und des Erfolges hingestellt werden?“[60]

Figuren (Auswahl)

In Travens Der Schatz der Sierra Madre treten „keine idealisierten Helden auf, vielmehr herrschen Neid, Missgunst, bittere Armut, Einsamkeit und der Kampf auf Leben und Tod“.[44] Travens Figuren „sind vom sozialen und wirtschaftlichen System ausgeschlossen, verstehen seine Grundprinzipien nicht und scheitern daran, diese im Außerhalb anzuwenden und sich eine neue Welt zu erschließen.“[61] Hauptfiguren des Romans sind die drei Goldsucher, die sich in Tampico zusammengetan haben:

  • Dobbs: Diesen „im Tumult einer amerikanischen Großstadt“ aufgewachsenen[62] Veteranen des Ersten Weltkriegs[57] zeichnet aufgrund seiner Kriegserfahrung eine „Robustheit seines Gewissens“ aus: „Dobbs war der, […] der rücksichtsloser zugriff.“[27] Als er mit Curtin allein ist, nehmen „die bösen Geister in ihm […] überhand“ und in „der Panik, übervorteilt zu werden und die Chance seines Lebens zu verlieren, verwandelt sich Dobbs zum unberechenbaren ‚Außenseiter‘.“[63]
  • Curtin: „Curtin, rechtlich denkend, ist nicht in diesem Ausmaß von Habgier“ beeinflusst wie Dobbs.[63] „Er zählte sich durchaus nicht zu den ehrenhaften Mustermenschen. Er wußte wohl zuzugreifen, wenn es etwas zum Zugreifen gab, und er ließ sich von Gewissensskrupeln nicht plagen.“[60] Doch Howard zu übervorteilen, will er nicht zulassen.
  • Howard: Howard ist nach Ansicht des Literaturwissenschaftlers Wilfried F. Schoeller „der Weise in diesem Roman“,[41] ein „älterer Mann, dessen Haar weiß zu werden begann“[5] und den Dobbs einmal als „zähe wie eine gekochte alte Stiefelsohle“ beschreibt.[7] Ein Zufall eröffnet Howard „eine Karriere als Medizinmann und Wunderdoktor unter den Einheimischen“.[63]

Rezeption und Adaption

Travens „großartiger und gewichtiger“,[64] bekanntester Roman[65][66][67] wurde nach seinem Erscheinen „von der linken und sozialistischen Presse ausgiebig gelobt“,[43] im Laufe der Jahre mehrfach rezensiert[68][69][70][71] und gilt als „Klassiker“.[72] Ein Dummies-Buch zum Thema Allgemeinbildung zählte das Werk sogar zu den 100 besten Büchern der deutschsprachigen Literatur.[73]

Der Literaturwissenschaftler Wilfried F. Schoeller beschied dem mit „biblischer Weisheit“ und der „Legendenkraft des Märchens“ versehenem Roman eine „atemlose Spannung“.[74] Kurt Tucholsky meinte in einem Artikel der Weltbühne, dass die Schilderung des Mordes „an das beste Vorbild der angelsächsischen Literatur, an die geniale Novelle Stevensons, ‚Markheim‘, erinnert und sie nahezu erreicht“.[75] In der Zeitschrift Books Abroad hieß es darüber hinaus, die „Beschreibung der Gefahren und Leiden“, die den Figuren „in der rauen Wildnis der Sierra Madre widerfahren, ist sehr anschaulich, aber noch eindrucksvoller ist die detaillierte Analyse der allmählichen Veränderung, die im Charakter der jungen Glücksritter mit dem Anwachsen ihrer Goldhaufen stattfindet.“[76] Modernere Kritik sah in dem Roman allerdings auch „Restbestände kolonialistischer Völkerkunde“, weil in der Handlung „Mestizen […] identisch mit Banditen“ wären, so der Literaturwissenschaftler Thomas Koebner.[56] Traven selbst führt die mangelhafte Moral allerdings auf die Entwurzelung aus der indianischen Kultur zurück und die verderblichen Einflüsse der abendländischen Zivilisation und Religion, spricht von den Mestizen als „bedauernswerten Menschen, die durch unheilvolle Mächte seit Jahrhunderten und bis auf den heutigen Tag in Aberglauben und Unwissenheit gehalten werden, im nackten egoistischen Interesse jener Mächte.“[77]

Der Roman Der Schatz der Sierra Madre wurde 1948 durch John Huston verfilmt. „Nach der erfolgreichen Verfilmung […] brach in den USA ein wahres Traven-Fieber aus.“[78]

Textausgaben (Auswahl)

  • Der Schatz der Sierra Madre. Roman. (=Diogenes-Taschenbuch, Band 24718.) Diogenes, Zürich 2024. ISBN 978-3-257-24718-3.
  • Der Schatz der Sierra Madre. In: Der Schatz der Sierra Madre, Die Baumwollpflücker, Die Brücke im Dschungel. Drei Romane. 3. Auflage. Universitas, München 1992. ISBN 3-8004-0848-1. S. 7–181.
  • Der Schatz der Sierra Madre. Roman. Verlag der Nation, Berlin 1954.
  • Der Schatz der Sierra Madre. Büchergilde Gutenberg, Berlin 1927.

Literatur (Auswahl)

  • Thomas Koebner: Vom Winde verweht. B. Traven, Der Schatz der Sierra Madre (1927). In: Thomas Koebner: Die Erfindung des Abenteuers. Notizen zu Romanen und Filmen. Schüren Verlag, Marburg 2023. ISBN 978-3-7410-0447-6. S. 78–82.
  • Ulrich Kirstein, Tina Rausch: Der Schatz der Sierra Madre – B. Traven. In: Ulrich Kirstein, Tina Rausch: Allgemeinbildung – die 100 besten Bücher der deutschsprachigen Literatur für Dummies. Wiley-VCH, Weinheim 2021. ISBN 978-3-527-71642-5. S. 95–97.

Einzelnachweise

  1. B. Traven: Der Schatz der Sierra Madre. In: Der Schatz der Sierra Madre, Die Baumwollpflücker, Die Brücke im Dschungel. Drei Romane. 3. Auflage. Universitas, München 1992. ISBN 3-8004-0848-1. S. 7–181. Hier S. 16.
  2. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 17.
  3. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 38.
  4. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 40.
  5. a b c Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 42.
  6. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 50.
  7. a b c Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 51.
  8. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 52.
  9. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 53.
  10. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 54.
  11. a b Dariya Manova: „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“. Rohstoffnarrative der Zwischenkriegszeit. Wallstein Verlag, Göttingen 2021. ISBN 978-3-8353-3920-0. S. 183.
  12. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 61.
  13. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 64.
  14. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 75.
  15. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 88.
  16. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 78.
  17. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 89.
  18. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 91.
  19. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 102.
  20. Wilfried F. Schoeller: Nachwort. In: Der Schatz der Sierra Madre, Die Baumwollpflücker, Die Brücke im Dschungel. Drei Romane. 3. Auflage. Universitas, München 1992. ISBN 3-8004-0848-1. S. 425–433. Hier S. 429.
  21. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 125.
  22. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 131.
  23. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 132–133.
  24. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 57.
  25. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 133.
  26. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 138.
  27. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 140.
  28. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 150.
  29. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 152.
  30. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 154.
  31. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 155.
  32. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 158.
  33. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 163.
  34. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 160.
  35. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 170.
  36. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 179.
  37. a b Manova, „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“, S. 184.
  38. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 43–47.
  39. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 78–87.
  40. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 112–124.
  41. a b Schoeller, Nachwort, S. 430.
  42. Jan-Christoph Hauschild: B. Traven – die unbekannten Jahre. Edition Voldemeer, Zürich 2012. ISBN 978-3-7091-1154-3. S. 12.
  43. a b Manova, „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“, S. 173.
  44. a b c Ulrich Kirstein, Tina Rausch: Der Schatz der Sierra Madre – B. Traven. In: Ulrich Kirstein, Tina Rausch: Allgemeinbildung – die 100 besten Bücher der deutschsprachigen Literatur für Dummies. Wiley-VCH, Weinheim 2021. ISBN 978-3-527-71642-5. S. 95–97. Hier S. 96.
  45. „Like much of Traven’s work, The Treasure of the Sierra Madre often falls under the classification of the adventure novel, even as it frequently negates the genre’s conventions“ – Clinton Williamson: B. Traven: Fiction’s forgotten radical. In: www.thenation.com. Abgerufen am 12. September 2025.
  46. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 35.
  47. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 151.
  48. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 23.
  49. „It’s about labor and management, price versus worth, the cost of sweat and the value of human life“ – Jim Nelson: B. Traven, The treasure of the Sierra Madre. In: medium.com. Abgerufen am 12. September 2025.
  50. Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort. Zit. n. MEW 13, S. 9.
  51. Thomas Koebner: Vom Winde verweht. B. Traven, Der Schatz der Sierra Madre (1927). In: Thomas Koebner: Die Erfindung des Abenteuers. Notizen zu Romanen und Filmen. Schüren Verlag, Marburg 2023. ISBN 978-3-7410-0447-6. S. 78–82. Hier S. 82.
  52. Manova, „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“, S. 193.
  53. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 116.
  54. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 60.
  55. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 49.
  56. a b Koebner, Vom Winde verweht, S. 81.
  57. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 143.
  58. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 144.
  59. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 177.
  60. a b Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 137.
  61. Manova, „Sterbende Kohle“ und „flüssiges Gold“, S. 185.
  62. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 19.
  63. a b c Koebner, Vom Winde verweht, S. 80.
  64. „superb and weighty“ – Nelson, B. Traven, The treasure of the Sierra Madre, abgerufen am 12. September 2025.
  65. „The best known is probably still The Treasure of the Sierra Madre“ – Kenneth Payne: The making of a Mexican revolutionary: B. Traven's „March to the Monteria“. In: International Fiction Review. Jg. 17, Nr. 1, 1990, ISSN 0315-4149, S. 41–46. Hier S. 41. (pdf).
  66. „perhaps best known for his novel Der Schatz der Sierra Madre“ – Josh Todarello: Pulp Revolution. The space of development and labor in B. Traven's Mexico. In: Monatshefte, University of Wisconsin Press, Jg. 116, Nr. 4, 2024, ISSN 0026-9271, S. 639–663. Hier S. 639.
  67. „most famous novel“ – Williamson, B. Traven: Fiction’s forgotten radical, abgerufen am 12. September 2025.
  68. Johannes Malthaner: „Der Schatz der Sierra Madre“ by B. Traven. In: Books abroad. Jg. 7, Nr. 1, 1933, S. 76.
  69. M. H.: „The Treasure of the Sierra Madre“, B. Traven. In: Books abroad. Jg. 10, Nr. 1, 1936, S. 101.
  70. Donald A. Yates: „El tesoro de la Sierra Madre“ by B. Traven. In: Hispania. Jg. 47, Nr. 2, 1964, S. 442–443.
  71. George J. Edberg: „El tesoro de la Sierra Madre“ by B. Traven. In: The Modern Language Journal. Jg. 48, Nr. 6, 1964, S. 393.
  72. „a classic“ – Charles Elliott: The greatest treasure-hunting stories ever told. Twenty-one unforgettable tales of discovery. The Globe Pequot Press, Blue Ridge Summit PA 2022. ISBN 978-1-4930-6959-0. S. 223.
  73. Kirstein/Rausch, Der Schatz der Sierra Madre – B. Traven, S. 95–97.
  74. Schoeller, Nachwort, S. 428.
  75. Peter Panter (d. i. Kurt Tucholsky): B. Traven. In: Die Weltbühne. Nr. 46, 1930, S. 5. Abgerufen am 12. September 2025.
  76. „The description of the dangers and sufferings which fall to their lot in the rugged wilderness of the Sierra Madre is very vivid, but even more powerful is the fine analysis of the gradual change that takes place in the character of the young fortune-seekers with the growing of their heaps of gold“ – Malthaner, „Der Schatz der Sierra Madre“ by B. Traven, S. 76.
  77. Traven, Der Schatz der Sierra Madre, S. 95.
  78. Kirstein/Rausch, Der Schatz der Sierra Madre – B. Traven, S. 97.