Der Amokläufer

Umschlag der 2. Auflage im Insel Verlag von 1923[1]

Der Amokläufer ist eine Novelle des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig.

Editionsgeschichte

Erstmals wurde die Novelle am 4. Juni 1922 in der Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse veröffentlicht und erschien wenig später in der Novellensammlung Amok. Novellen einer Leidenschaft im Leipziger Insel Verlag in einer Auflage von 10.000 Exemplaren auch in Buchform; für Bibliophile erschien eine Vorzugsausgabe in Pergament in 25 Exemplaren. Die Sammlung von fünf Novellen war selbst Teil (Der zweite Ring) des übergreifenden Projekts Die Kette, in dem sich insgesamt drei thematisch geordnete Novellenbände von Stefan Zweig versammeln sollten. (Das erste Kettenglied war der bereits 1911 erschienene Band Erstes Erlebnis. Vier Geschichten aus Kinderland (1922: 15., 1930: 46. Tsd.), worunter auch die berühmte Novelle Brennendes Geheimnis war. Als drittes und abschließendes Kettenglied folgte 1927 der Band Verwirrung der Gefühle mit drei Novellen.) Bereits 1923 mussten das 11. bis 21. Tsd. von Amok nachgedruckt werden, und fast jedes Jahr erschienen Nachauflagen, bis 1931 das 71. und 72. Tsd., gedruckt im Bibliographischen Institut , erreicht war; Sarkowski macht in seiner Bibliografie Der Insel-Verlag von 1970 davon leicht abweichende Angaben, die jedoch durch die tatsächlich vorliegenden Ausgaben nicht gestützt werden.[2]
1931 wurde der Band dann in einer Volksausgabe mit 2 Auflagen in der Reihe der „2.50-Mark-Bücher“ ediert[3], die auf eine Anregung von Stefan Zweig hin von Anton Kippenberg begonnen wurde. Zuvor war Zweig von Adalbert Droemer ein lukratives Angebot für eine Volksausgabe im Th. Knauer Verlag unterbreitet worden, das er jedoch zu Gunsten der daraufhin im Insel Verlag veranstalteten Volksausgabe ablehnte.[4] Dort konnte der Novellenband im selben Jahr mit der zweiten Auflage das 150. Tausend erreichen. Nur das Impressum dieser Auflage zeigte auch die erreichte Auflagenhöhe in der Volksausgabe („51.–75., der Gesamtauflage 150. Tausend“) an; in der ersten Auflage ist nur die Druckerei (Offizin Haag-Drugulin AG) angegeben.
Da Stefan Zweig auf die Liste der zu verbrennenden Bücher gesetzt worden war, wurden nicht wenige Exemplare von Amok bei Bücherverbrennungen 1933 vernichtet.

Nach der durch die politischen Verhältnisse in Nazideutschland erzwungenen Trennung Stefan Zweigs vom Insel Verlag war Amok erst wieder in der 1936 im Herbert Reichner Verlag Wien erschienenen Sammlung von zehn Novellen, nun unter dem Titel „Die Kette“ und in graues Leinen gebunden, verfügbar. Sie war bei Rudolf M. Rohrer in Baden bei Wien ohne Auflagenangabe gedruckt worden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg legte zunächst der in Stockholm ansässige Bermann-Fischer Verlag 1946 (1.–20. Tsd.) und dann der Frankfurter S. Fischer Verlag 1950 (1.–20. Tsd.) die Novelle jeweils in Novellensammlungen vor. Es folgten beim S. Fischer Verlag bis heute immer wieder Neuauflagen, auch in Taschenbuchform. Die Novellen wurden auch in vielen fremdsprachigen Lizenzausgaben veröffentlicht.

Entstehungshintergrund

Wie mehrere andere Werke Zweigs, der seinerzeit vom Wirken Sigmund Freuds fasziniert war, hat auch Der Amokläufer einen starken psychologischen Hintergrund: Die Geschichte handelt von einer extremen Besessenheit, die den Helden dazu bringt, sein Berufs- und Privatleben dieser Leidenschaft zu opfern, und die ihn schließlich in den Freitod treibt.

Namensgebend für die Novelle ist der – damals noch wenig bekannte – Begriff Amok, der ursprünglich aus der indonesischen Kultur stammt und einen Rauschzustand beschreibt, in dem die betroffene Person in vermeintlich blinder Wut den Feind angreift und wahllos, ohne jede Rücksicht auf Gefahren, versucht, ihn sowie alle im Weg stehenden Personen zu töten. Der Begriff Amok hat mittlerweile weitere Forschung und einen Bedeutungswandel erfahren.

Handlung

In der Rahmenhandlung reist der namenlose Ich-Erzähler im Jahre 1912 mit dem Überseedampfer Oceania von Indonesien nach Europa. Bei einem nächtlichen Spaziergang auf dem Deck begegnet er einem Mann, der sichtlich verwirrt und ängstlich wirkt und jede Gesellschaft auf dem Schiff meidet. Eine Nacht darauf trifft der Ich-Erzähler diesen Mann erneut auf dem Deck an. Anfangs verlegen, vertraut dieser sich ihm an und erzählt seine Geschichte – die eigentliche Handlung der Novelle:

Er, ein Leipziger Arzt, hatte für eine Frau im Krankenhaus Geld unterschlagen und musste sich daher eine neue Betätigung fern der Heimat suchen. Er wurde von der holländischen Kolonialverwaltung nach Indonesien geschickt, um dort in einem kleinen und abgelegenen Ort als Arzt zu arbeiten. Die Einöde bedrückt ihn nach gewisser Zeit immer stärker, er fühlt sich dort „wie die Spinne im Netz regungslos seit Monaten schon“. Eines Tages erscheint bei ihm unerwartet eine weiße Frau – „die erste weiße Frau seit Jahren“ – die ihn fortan mit ihrer hochmütigen, kühlen Art fasziniert – etwas, was er bei den ehrfürchtigen und demütigen einheimischen Frauen nie erleben konnte. Im Laufe des Gesprächs stellt sich heraus, dass die Frau – eine Engländerin und Ehefrau eines holländischen Großkaufmanns – von ihm einen diskreten Schwangerschaftsabbruch wünscht. Sie ist bereit, dafür eine sehr hohe Geldsumme zu zahlen, wenn er danach Indonesien verlässt. Doch der Arzt, unerwartet gefesselt von einer plötzlichen Leidenschaft, verlangt von der Frau statt des Geldes eine gemeinsame Liebesnacht, woraufhin diese entrüstet das Haus verlässt.

Doch den Arzt überfällt seine Besessenheit noch stärker: Einem unzurechnungsfähigen Amokläufer ähnlich, verlässt er den Ort, reist zur nächsten Stadt und verfolgt die Frau bis an ihr Haus. Er sieht sie bei einem Ball wieder, kommt ihr aber nicht näher. Er steigert sich immer mehr in einen Rauschzustand hinein, im Zuge dessen schreibt er der Frau einen 20 Seiten langen, wirren Brief, der mit einer Selbstmorddrohung schließt. Er wird nur beantwortet mit einem abgerissenen Papierstreifen auf dem steht: „Zu spät“ und einer Zeile, der Arzt möge warten, ob man ihn brauche, was den Arzt in höchste Panik versetzt. Erst als er später gerufen wird, wird dem Arzt der Hintergrund klar:

Da sie auf keinen Fall wollte, dass ihre Schwangerschaft publik wird, vertraute sie sich einer einheimischen Engelmacherin an. Der Eingriff misslingt, und die Frau stirbt qualvoll. In ihrem Todeskampf nimmt sie dem Arzt den Schwur ab, alles zu tun, damit weder ihr Ehemann noch sonst jemand von der wahren Todesursache erfährt. Dieser ist nunmehr davon besessen, den letzten Wunsch der Frau zu erfüllen: Er überredet den zuständigen Amtsarzt gegen ein Versprechen, Indonesien umgehend und dauerhaft zu verlassen, einen falschen Totenschein auszustellen. Als der Ehemann der Toten diese mit der Oceania nach Europa überführen will, verlässt auch der Arzt – seine Karriere und Pension opfernd – mit dem gleichen Schiff Indonesien in Richtung Europa. Er will um jeden Preis verhindern, dass weitere Nachforschungen über die Todesursache der Frau angestellt werden. An Bord des Schiffs versteckt er sich vor allen anderen Passagieren, um dem Witwer nicht zu begegnen, und geht daher nur nachts aus seiner Kabine. Als der Ich-Erzähler dem Arzt seine Hilfe anbietet, lehnt dieser das Angebot strikt ab, verschwindet und lässt sich seitdem nicht mehr blicken. Erst bei der Ankunft in Neapel erfährt der Erzähler aus den lokalen Zeitungen von einem „merkwürdigen Unfall“, der sich beim nächtlichen Entladen des Schiffs ereignet hat: Beim Heraustragen des Bleisargs mit den Überresten der Toten stürzte sich der Arzt vom hohen Bord auf den an einer Strickleiter befestigten Sarg und riss diesen mit in die Tiefe. Es konnte weder der „Amokläufer“ gerettet noch der Sarg geborgen werden.

Umschlag der Neuausgabe von 1931 (Reihe der 2.50-M-Bücher)

Ausgaben (Auswahl)

  • Amok. Novellen einer Leidenschaft. Insel-Verlag, Leipzig 1922 (1.–10. Tausend).
  • Amok. Novellen einer Leidenschaft. Insel-Verlag, Leipzig 1931 (Neuausgabe in der Reihe der 2,50-M-Bücher).
  • Amok in „Die Kette“. Herbert Reichner, Wien-Leipzig-Zürich 1936
  • Der Amokläufer. Erzählungen. Gesammelte Werke in Einzelbänden. Hrsg. von Knut Beck. Fischer Taschenbücher, Frankfurt a. M. 1989.

Verfilmungen

Hörspiel

Commons: Der Amokläufer – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Vermutlich trug schon die Erstauflage von 1922 einen gleichgestalteten Schutzumschlag. Lediglich die Auflagenhöhe dürfte für die Erstauflage entsprechend den Üblichkeiten beim Verlag nicht mit angegeben worden sein.
  2. In der Bibliografie Der Insel-Verlag ist auf Seite 404 als erste von drei (sic!) Auflagen für die Volksausgabe („2.50-Mark-Bücher“) das [71.-] 75. Tsd. für 1931 angegeben, was nicht stimmen kann. Zunächst: Es liegt noch die erwähnte kleine Auflage in der alten Ausstattung im 71.–72. Tsd. vor. Im Weihnachtsprospekt von 1930 (Neue Bücher aus dem Insel-Verlag. Weihnachten 1930, S. 8) ist noch das 70. Tsd. als lieferbar aufgeführt. Die kleine Folgeauflage von 2 Tsd. muss also 1931 noch nachgeschossen worden sein, um aktuelle Nachfrage zu befriedigen, bevor die Volksausgabe erscheint. Die übrigen vier Bände der 2.50-Mark-Bücher hatten auch Startauflagen von mindestens 20.000 Exemplaren; nur über die hohen Auflagen konnte ein Gewinn trotz niedrigeren Preises erzielt werden. Gerade von seinem Erfolgsautor Stefan Zweig hätte Anton Kippenberg hier nicht nur zaghafte 5.000 Exemplare aufgelegt. Es gab aber nur 2 Auflagen der Ausgabe bei der Reihe der 2.50-Mark-Bücher: Tatsächlich zeigt das Impressum der ersten Volksausgabe keine Auflagenhöhe an, da Kippenberg sie als Erstauflage einer separaten Ausgabe des Amok betrachtete, bei der eine Auflagenhöhe nicht ausgewiesen wird. Erst die Folgeauflage weist das 51. bis 75. Tsd. aus. Und schließlich: Nach der Rechnung von Sarkowski unter Einbeziehung einer weiteren Auflage von 5.000 Bänden (71.–75. Tsd.) müssten insgesamt 80 Tsd. Exemplare in der Volksausgabe gedruckt worden sein. Ausweislich des Impressums der 2. und letzten Auflage („51.–75., der Gesamtauflage 150. Tausend“) liegen aber nur 75.000 Exemplare in der Volksausgabe vor.
    Bände einer weiteren Auflage mit dem Eintrag „73.-75.000“ wurden bislang nicht gefunden. Möglicherweise umfasste also die letzte Normalausgabe von 1931 das 71.–75. Tsd. anstelle von 71.–72. Tsd.; anderenfalls betrüge die Gesamtauflage von Amok im Insel Verlag Leipzig nur 147.000. Exemplare.
  3. Das Inselschiff. Weihnachten 1931. In: Zeitschrift für die Freunde des Insel Verlags. Band 13, Nr. 1. Insel-Verlag, Leipzig 1931, S. 21.
  4. Heinz Sarkowski in: Der Insel Verlag 1899–1999, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1990, S. 237.
  5. Programmvorschau von deutschlandradiokultur.de vom 9. März 2015