Defendens

Marcello Baschenis: San Defendente, 1884

Defendens (lateinisch für „der Verteidigende, Schützende“; italienisch San Defendente, französisch Saint Défendent; † angeblich 286 oder kurz danach an der Rhone) war gemäß der christlichen Tradition einer der Märtyrer der Thebaischen Legion und wird in der römisch-katholischen Kirche, hauptsächlich im Piemont, in der Lombardei und im Tessin, als Heiliger verehrt. Sein Gedenktag ist der 2. Januar.

Legende

Defendens ist mit großer Wahrscheinlichkeit eine Erfindung des Spätmittelalters, zumindest wird er erst 1328 zum ersten Mal erwähnt.[1] Die Überlieferung ist dürftig. Pietro Galesini berichtete in seinem Martyrologium romanum (1578), Defendens sei unter Kaiser Maximian zusammen mit vielen weiteren Soldaten grausam hingerichtet worden. Der heilige Theodor, Bischof von Marseille, habe ihn am Flussufer bestattet, und eine Kirche sei zu seinen Ehren errichtet worden.[2] Filippo Ferrari übernahm diese spärlichen Informationen in seinem Catalogus generalis sanctorum (1625) weitgehend und beklagte sich ausdrücklich, dass man kaum etwas über Defendens’ Biographie wisse.[3] Beide konkretisierten den Hinrichtungs- und Begräbnisort nicht: Nach Galesini trug es sich „in Gallien an der Rhone“ (lateinisch in Gallia ad Rhodanum fluvium) zu,[2] nach Ferrari – wohl in Anlehnung an die Erwähnung von Theodor von Marseille – „an der Rhone in der Diözese Marseille“ (lateinisch apud Rhodanum fluvium in Massiliensi dioecesi) zu.[3] Präzise Lokalisierungen wie Marseille,[4] Vienne[5] oder Agaunum, heute Saint-Maurice VS,[6][5] sind spätere Zusätze.

Das Wirken der beiden in der Legende namentlich genannten Beteiligten liegt zeitlich beinahe drei Jahrhunderte auseinander: Maximian war von 286 bis 305 römischer Kaiser, Theodor angeblich von 582 bis 591 Bischof von Marseille. Das Ökumenische Heiligenlexikon vermutet deswegen eine Verwechslung von Theodor von Sitten mit letzterem.[6] Dieser Theodor entdeckte der Legende nach die Gebeine der Märtyrer der Thebaischen Legion, bestattete sie und errichtete zu ihren Ehren eine Kirche in Saint-Maurice.[7] Galesinis und Ferraris Erzählung wäre somit lediglich eine Rekapitulation der etablierten Legende um die Thebaische Legion.

In Frankreich wiederum kursiert die Legende, Defendens habe sich zum Zeitpunkt des Massakers just mit Kameraden auf Mission an einem anderen Punkt an der Rhone (der heute zu Frankreich gehört) befunden, ihn habe aber kurz darauf dasselbe Schicksal ereilt. Christen aus dem Rhonetal hätten seine Gebeine sodann nach Marseille gebracht, wo Theodor von Marseille sie dreihundert Jahre später dank einer göttlichen Offenbarung wiedergefunden habe. Der habe eine Heiligenvita über Defendens verfasst und eine Kirche zu seinen Ehren erbaut, die jedoch im 10. Jahrhundert zerstört worden sei.[8]

Ferrari berichtete, in der Diözese Casale Monferrato sei einst jemand am Gedenktag des heiligen Defendens lieber auf die Vogeljagd gegangen, als die Messe zu besuchen. Als er die erbeuteten Rebhühner braten wollte, seien sie wieder lebendig geworden und davongeflogen, er aber sei zur Strafe erblindet. Daraufhin habe er am Altar des Heiligen um Vergebung gefleht und sein Augenlicht zurückerlangt.[3]

Defendens wurde bei Wolfs- und Feuergefahr angerufen.[5]

Ikonografie

Defendens wird in der Regel als römischer Soldat – entweder historisierend mit römischer Militärausrüstung oder in einer zeitgenössischen Militärkleidung, meistens mit einem Schwert – und mit einer Märtyrerpalme in der Hand dargestellt.

Verehrung und Patrozinien

Piemont

Der Defendenskult entstand vermutlich in der heutigen italienischen Region Piemont, die seit dem Mittelalter im Osten der Grafschaft bzw. des Herzogtums Savoyen lag. Filippo Ferrari berichtete 1625, Defendens’ Reliquien befänden sich in der „Eremitinnenkirche“ in Casale Monferrato,[9] einer kleinen Stadt im Norden von Alessandria. Als weitere Kultzentren nannte er Chivasso und Novara.[3]

Bis heute liegt der Schwerpunkt der Verehrung im Piemont. So verzeichnet der Onlinekatalog Le chiese italiane 53 Sakralbauten in Italien, die zu Ehren des heiligen Defendens geweiht sind (5 Pfarrkirchen, 26 Filialkirchen und 22 Kapellen), von denen 85 Prozent im Piemont stehen.[10] Hier ist Defendens beispielsweise der Schutzheilige von Cassinelle, Gabiano, Vico Canavese und Mescia (Invorio). Kunsthistorisch bedeutsam sind unter anderem die barocken Defendenskirchen in Vinchio, Montegrosso d’Asti und Cassinelle. Eine der größten Defendenkirchen steht in Cuneo. Sie ist in ihrer heutigen Form im 19. Jahrhundert entstanden, geht aber auf eine Kapelle von 1623 zurück.[11]

Lombardei

Außerhalb des Piemonts gibt es in Italien nur noch im Bistum Bergamo eine namhafte Konzentration von Defendenspatrozinien. Besonders wichtig für den hiesigen Kultus sind die Städte Solto Collina und Clusone, die beide über eine eigene Defendenskirche verfügen. Weitere stehen in Valbondione, Roncola, Romano di Lombardia und Torre de’ Busi. Defendens ist außerdem Schutzheiliger von Romano di Lombardia und Premolo.

In der übrigen Lombardei finden sich vereinzelt weitere Zeugnisse der Defendensverehrung. So ist er Patron von Cassolnovo und Ronago. In Lodi war er früher Patron eines Krankenhauses (Ospedale S. Defendente).[12] In einer Seitenkapelle der Kirche Santi Nazaro e Celso in Scaria (Alta Valle Intelvi) befindet sich ein Fresko von ihm.[13] Zu seinen Ehren geweihte Sakralbauten stehen unter anderem in Laveno-Mombello, Darfo Boario Terme und Esino Lario.

Weitere italienische Regionen

Außerhalb des Piemonts und der Lombardei ist Defendens in Italien heute kaum bekannt. Im Aostatal, das wie das Piemont zu Savoyen gehörte, gibt es ein paar nach ihm benannte Kapellen: in Rhêmes-Saint-Georges die Kapelle Madonna delle Nevi e San Defendente aus dem frühen 18. Jahrhundert[14] und in Introd eine weitere Kapelle. Ferner scheint es früher auf der Insel Elba einen Zweig gegeben zu haben, von dem heute aber nur noch die Renaissancekirche San Defendente in Poggio kündet.

Tessin

Der Schweizer Kanton Tessin gehörte politisch bis ins 15. Jahrhundert zur Lombardei, kirchlich bis 1884 zu den Diözesen Mailand und Como. Unter diesem Einfluss etablierte sich auch hier ein Defendenskult. Bei der Weihe der Kirche Santa Maria Annunciata in Muralto wurden 1502 Reliquien des Heiligen niedergelegt.[15] An der Lukmanierstrasse in Olivone gründeten Humiliaten im 13. oder 14. Jahrhundert ein Hospiz, als dessen Schutzheiliger seit 1461 Defendens erwähnt wird (Ospizio di San Defendente).[16][15] Am Altar der Pfarrkirche Sant’Eusebio in Castel San Pietro steht eine Defendensstatue von Battista Barberini.[17]

Defendens ist ferner der Patron oder Kopatron folgender Sakralbauten, zumeist kleiner Kapellen („Oratorien“):[15]

Marseille

In Frankreich ist vor dem 19. Jahrhundert kein Defendenskult nachweisbar. Weil die Legende ihn mit Theodor von Marseille in Verbindung bringt, ließ Charles-Philippe Place, seit 1866 Bischof von Marseille, im 10. Arrondissement von Marseille eine Defendenskirche bauen, die er am 21. November 1875 weihte. Seit 1876 ist sie der Sitz einer eigenen Pfarrei. Seit 1985 wird sie auch von der vietnamesischen Gemeinde der Stadt genutzt.[22] In Marseille wird Defendens’ Gedenktag abweichend am 25. September gefeiert.[23]

Auf dem Monumentalgemälde Die Heiligen von Marseille in der Kirche Saint-Lazare in Marseille ist Defendens zusammen mit Lazarus, Maria Magdalena, Martha und Johannes Cassianus abgebildet.

Vorname

Zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert war der Vorname „Defendente“ infolge des Defendenskults im Piemont, in der Lombardei und im Tessin verbreitet. Bekannte Namensträger sind:

Literatur

  • Philippus Ferrarius: De Defendente et sociis, martyribus ex legione Thebaea. In: Catalogus generalis sanctorum, qui in Martyrologio Rom. non sunt. Venedig 1625 (online).
  • Johannes Bolland: De S. Defendente et sociis martyribus. In: Acta Sanctorum. Paris / Rom 1863, S. 80 (online, PDF; 632 KB).
  • SS. Defendens et Soc. MM. In: Johann Evangelist Stadler, Franz Joseph Heim (Hrsg.): Vollständiges Heiligen-Lexikon. Band 1. Schmid, Augsburg 1858, S. 735 (online, Google Books).
  • E. Gruber: Die Gotteshäuser des alten Tessin. In: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte. Band 33, 1939, doi:10.5169/seals-125393, S. 273–319, hier S. 305 f.
  • Paul W. Roth: Soldatenheilige. Styria, Graz 1993, ISBN 978-3-222-12185-2.
  • Enzo La Stella: Santi e fanti. Dizionario dei nomi di persona. Zanichelli, Rom 2009, ISBN 978-88-08-06345-8, S. 106.
Commons: Defendens – Sammlung von Bildern
Commons: Defendenskirchen – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Antonio Borrelli: San Defendente di Tebe. In: santiebeati.it. 28. Dezember 2002, abgerufen am 8. Mai 2025.
  2. a b Johannes Bolland: De S. Defendente et sociis martyribus. In: Acta Sanctorum. Paris / Rom 1863, S. 80 (online, PDF; 632 KB).
  3. a b c d Philippus Ferrarius: De Defendente et sociis, martyribus ex legione Thebaea. In: Catalogus generalis sanctorum, qui in Martyrologio Rom. non sunt. Venedig 1625 (online).
  4. SS. Defendens et Soc. MM. In: Johann Evangelist Stadler, Franz Joseph Heim (Hrsg.): Vollständiges Heiligen-Lexikon. Band 1. Schmid, Augsburg 1858, S. 735 (online, Google Books).
  5. a b c Antonio Borrelli: San Defendente di Tebe. In: santiebeati.it. 28. Dezember 2002, abgerufen am 8. Mai 2025.
  6. a b Defendens und Gefährten. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  7. Theodor von Sitten. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. Abgerufen am 12. Mai 2025.
  8. Défendente Genolini: La paisible insolence de saint Défendent. In: France catholique. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  9. Im Ökumenischen Heiligenlexikon wird diese Information falsch gelesen und stattdessen vom „Kloster Montserrat in Spanien“ gesprochen.
  10. Recherche auf Le chiese italiane. Abgerufen am 10. Mai 2025.
  11. Chiesa di San Defendente <Confreria, Cuneo>. In: Le chiese italiane. Abgerufen am 10. Mai 2025.
  12. Ospedale S. Defendente (ex). In: Lombardia Beni Culturali. Abgerufen am 9. Mai 2025.
  13. Lanzo d’Intelvi. In: Neue Zürcher Zeitung. Drittes Abendblatt. Nr. 221, 12. August 1910, S. 1 (online).
  14. Cappella della Madonna delle Nevi e di San Defendente. In: beweb.chiesacattolica.it. Abgerufen am 10. Mai 2025.
  15. a b c d E. Gruber: Die Gotteshäuser des alten Tessin. In: Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte. Band 33, 1939, doi:10.5169/seals-125393, S. 273–319, hier S. 305 f.
  16. Isabella Spinelli: Olivone. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 5. März 2021, abgerufen am 8. Mai 2025.
  17. Die Pfarrkirche und die Künstler von Castel San Pietro. In: Neue Zürcher Zeitung. Nr. 1529, 14. Oktober 1924, S. 1 (online).
  18. Fondazione cristiana San Defendente. In: zefix.ch. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  19. Kirche San Defendente. In: ticino.ch. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  20. Oratorio di San Defendente (Visletto). In: cevio.ch. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  21. Oratorio di San Defendente. In: laviadelceneri.ch. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  22. Défendente Genolini: La paisible insolence de saint Défendent. In: France catholique. Abgerufen am 8. Mai 2025.
  23. Saint Défendent. In: Nominis. Abgerufen am 9. Mai 2025.