Das kunstseidene Mädchen

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Gedenktafel für Irmgard Keun in Berlin

Das kunstseidene Mädchen ist ein Zeitroman von Irmgard Keun, erschienen 1932 in Berlin. Die Protagonistin Doris schreibt darüber, wie sie sich zuerst in ihrer Heimatstadt und dann in Berlin über Wasser hält.

Handlung

Der Roman spielt gegen Ende der Weimarer Republik, zwischen Sommer 1931 und Frühjahr 1932. Die Handlung beginnt in einer mittelgroßen Stadt im Rheinland und verlagert sich später nach Berlin. Erzählt wird die Geschichte in Form eines undatierten, fortlaufenden Tagebuchs der 18-jährigen Ich-Erzählerin Doris. Sie orientiert ihren Stil an den Drehbüchern damaliger Stummfilme und schildert darin eine prägende Lebensphase.

Doris stammt aus einfachen Verhältnissen und träumt von einem Leben als gefeierte Persönlichkeit. Ihre Anstellung als Stenotypistin verliert sie, nachdem sie die sexuellen Annäherungsversuche ihres Vorgesetzten zurückweist. Durch die Vermittlung ihrer Mutter, die als Garderobiere am Theater arbeitet, erhält sie eine Statistenrolle. Um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, erfindet sie eine Affäre mit dem Theaterdirektor, was jedoch bald aufzufliegen droht. In dieser Situation „leiht“ sie sich einen wertvollen Pelzmantel aus der Garderobe, bringt ihn jedoch nicht zurück. Aus Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen flieht sie daraufhin nach Berlin.

In Berlin schlägt sich Doris mit wechselnden Männerbekanntschaften durch, die ihr vorübergehend ein luxuriöseres Leben ermöglichen. Doch sie verliert wiederholt Besitz und Unterkunft. Eine kurze freundschaftliche Verbindung zu einem blinden Nachbarn endet, als dieser von seiner Frau in ein Heim gebracht wird. Anschließend lebt sie für eine Weile mit dem Großindustriellen Alexander in großem Wohlstand, bis dieser verhaftet wird. In einer existenziellen Krise lernt sie den Angestellten Ernst kennen, der sie ohne Gegenleistung bei sich aufnimmt. Doris beginnt, den Haushalt zu führen, und zwischen den beiden entwickelt sich eine vorsichtige Beziehung. Als sie erkennt, dass Ernst noch an seiner Ex-Frau hängt, hilft sie ihm, diese wiederzufinden. Obwohl sie weiß, dass die Rückkehr der Frau vor allem materiell motiviert ist, glaubt Doris, dass Ernst so glücklicher sein wird als mit ihr.

Am Ende des Romans ist Doris erneut mittellos und obdachlos. Schließlich nimmt sie das frühere Angebot eines Hausierers namens Karl an, bei ihm in einer einfachen Gartenlaube zu wohnen – ein Leben in bescheidenen Verhältnissen, das sie zuvor abgelehnt hatte.

Interpretation

Das kunstseidene Mädchen gilt als ein bedeutender Großstadtroman der Neuen Sachlichkeit. Er schildert aus weiblicher Perspektive den Wunsch nach sozialem Aufstieg und individueller Selbstverwirklichung in einer krisenhaften Zeit. Die Protagonistin Doris strebt nach Glanz und Anerkennung, scheitert jedoch wiederholt an sozialen, ökonomischen und patriarchalen Strukturen. Ihr tagebuchartiger, subjektiver Stil kontrastiert mit der nüchternen Realität ihrer Erfahrungen. Der Roman thematisiert zugleich die Rolle der Frau in der Weimarer Republik, die Illusionen der Konsum- und Mediengesellschaft sowie die Ambivalenz von Emanzipation und Abhängigkeit.

Übersetzungen

Der Roman wurde 1933 in die dänische, englische, französische, russische, ungarische, 1934 in die polnische und 1965 in die spanische Sprache übersetzt. Außerdem liegen Übersetzungen in neun weiteren Sprachen vor.[1] Im Oktober 2013 erschien die erste hebräische Übersetzung.[2]

Dramatisierungen

Bühnenfassungen

Verfilmung

Vertonung

Literatur

Quelle
  • Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Roman. 5. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1995, ISBN 3-423-11033-3 (Erste Taschenbuchausgabe 1989).
Erstausgabe
  • Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Roman. Deutsche Verlags-Aktiengesellschaft Universitas, Berlin 1932.
Ausgaben
  • Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. Edition mit Materialien (ausgewählt von Jörg Ulrich Meyer-Bothling). Klett Schulbuch-Verlag, Leipzig/Stuttgart/Düsseldorf 2005, ISBN 3-12-351141-3 (wird von Margret Möckel in den Erläuterungen zum Werk („Königs Erläuterungen“) zitiert (Bange, Hollfeld 2006)).
Sekundärliteratur
  • Gabriele Kreis: Was man glaubt, gibt es. Das Leben der Irmgard Keun. Arche, Zürich 1991, ISBN 3-7160-2120-2, S. 88–93.
  • Ingo Leiß, Hermann Stadler: Weimarer Republik 1918–1933. In: Deutsche Literaturgeschichte. Band 9. dtv, München 2003, ISBN 3-423-03349-5, S. 138–142.
  • Gero von Wilpert: Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z. Stuttgart 2004, ISBN 3-520-83704-8.
  • Gesche Blume: Irmgard Keun. Schreiben im Spiel mit der Moderne. In: Dorothee Kimmich, Walter Schmitz, Detlev Schöttker, Marek Zybura (Hrsg.): Arbeiten zur Neueren deutschen Literatur. Band 23. Dresden 2005, ISBN 3-937672-38-9, S. 91–95, 104–116 (Zugleich Dissertation an der Technischen Universität Dresden 2004).
  • Margret Möckel: Irmgard Keun: Das kunstseidene Mädchen. In: Königs Erläuterungen und Materialien. 3. Auflage. Band 447. Bange, Hollfeld 2006, ISBN 3-8044-1834-1.
  • Doris Rosenstein: Irmgard Keun. Das Erzählwerk der dreißiger Jahre. Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. 1991, ISBN 3-631-42565-1.
  • Liane Schüller: Vom Ernst der Zerstreuung. Schreibende Frauen am Ende der Weimarer Republik: Marieluise Fleißer, Irmgard Keun und Gabriele Tergit. Aisthesis, Bielefeld 2005, ISBN 3-89528-506-4 (Zugleich Dissertation an der Universität Duisburg-Essen 2004).
  • Gudrun Raff: Szenen eines Täuschungsspiels: zu literarischen Techniken Irmgard Keuns vom Ernst der Zerstreuung. (d-nb.infoDissertation an der Universität Hamburg 1999).

Einzelnachweise

  1. Kreis S. 294.
  2. Avner Shapira: Berlin thrall: The German author whose novel are back in vogue. In: Haaretz. 22. Oktober 2013 (abgerufen am 30. Oktober 2013).
  3. hamburger-kammerspiele.de: Das kunstseidene Mädchen. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 18. Juni 2012; abgerufen am 26. Juni 2018.
  4. Monika Nellissen: Realistische Träumerin. www.welt.de, 8. Oktober 2011, abgerufen am 26. Juni 2018.
  5. @1@2Vorlage:Toter Link/www.nassau-sporkenburger-hof.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im April 2018. Suche in Webarchiven)
  6. "Kunstseidenes Mädchen" in Lahnstein: Doris erlebt Wechselbad der Gefühle. (Memento vom 13. September 2012 im Webarchiv archive.today)
  7. Theater Bonn: Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun@1@2Vorlage:Toter Link/www.theaterkompass.de (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Dezember 2023. Suche in Webarchiven)  Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (abgerufen am 6. Juni 2014)
  8. a b Kreis S. 295.
  9. renaissance-theater.de (Memento vom 8. Februar 2011 im Internet Archive) Hinweis zu Aufführung von Das kunstseidene Mädchen. Buch: Gottfried Greiffenhagen. Regie: Volker Kühn
  10. Das kunstseidene Mädchen (Chanson-Musical) von Rainer Bielfeldt, Carsten Golbeck und Irmgard Keun | Felix Bloch Erben. Abgerufen am 15. August 2025.
  11. Das kunstseidene Mädchen. Abgerufen am 30. Dezember 2024.