Das jüngste Gericht (Venusti)

Venustis Das Jüngste Gericht, 1549

Das jüngste Gericht ist ein Tempera-Tafelbild aus dem Jahr 1549 von Marcello Venusti. Es ist eine Kopie nach Michelangelos Wandgemälde Jüngstes Gericht von 1541 in der Sixtinischen Kapelle. Das Bild misst 188,5 × 145 cm – mit Rahmen 214 × 172 × 29,8 cm – und trägt im Museo Nazionale di Capodimonte in Neapel die Inventarnummer Q 139. Michelangelo selbst missbilligte derartige Kopien: „Wer hinter einem anderen hergeht, kann ihn nicht überholen.“[1]

Historischer Hintergrund

Das Motiv behandelt das am menschlichen Lebensende stehende Jüngste Gericht, wie es in der Offenbarung des Johannes beschrieben und über die Jahrhunderte vielfach rezipiert wurde. Die in der Beschreibung des Gemäldes verwendeten Metaphern werfen viele Fragen auf, die noch nicht beantwortet werden konnten.[2]: S. 581

Auftraggeber für die Michelangelo-Replikat war vermutlich der Kardinal Alessandro Farnese, wenn auch sein Onkel Papst Paul III. die Bezahlung übernahm.[3] Die Kunstwissenschaftlerin Marcella Marongiu hebt hervor, dass Venusti seit Mai 1548 mit Aufträgen aus dem Vatikan betraut wurde, zunächst ein Porträt Paul III., dann die Kopie des Jüngsten Gerichts, die ihn von Januar bis November 1549 beschäftigte. Auch nach dem Tod des Papstes erhielt Venusti Aufträge von Farnese.[4]

Das Bild gelangte Ende des 18. Jahrhunderts als Teil der Sammlung Farnese nach Neapel.

Kopien nach Michelangelo

Neben Venustis Werk existieren zahlreiche andere Kopien aus der Sixtinischen Kapelle, davon die ältesten als Zeichnungen von Nicolò della Casa aus den Jahren 1543 und 1548, von Giovanni Battista Cavalieris (1567), Nicolas Beatrizet, Giulio Bonasone und Martino Rota (1520–1583).[2]: S. 581 Die meisten Kopien dürften nach der entgegen dem Wandgemälde deutlich kleineren Fassung von Venusti entstanden sein. Die älteste dieser Kopien ist das 1570 im Palazzo Farnese entstandene Gemälde von Robert Le Voyer aus Orléans, das einen so großen Anklang fand, dass ihm dafür das römische Bürgerrecht anerkannt wurde.[5]: S. 517

Die Zuschreibung der dargestellten Personen wird von den Kunsthistorikern unterschiedlich vorgenommen, stimmt aber weitestgehend mit der des Michelangelo-Bildes überein. In Michelangelos Original sind beispielsweise der Apostel Petrus, der die Schlüssel des Himmels hält, und Johannes der Täufer, erkennbar an seinem Kamelhaarmantel, prominent dargestellt, hier werden die Attribute meist weggelassen.[6] In der zentralen Personengruppe werden Jesus Christus und seine Mutter Maria dargestellt, umgeben von den Aposteln (von oben im Uhrzeigersinn): Jakobus der Ältere, Petrus, Matthäus, Simon, der Jünger Thaddäus und Jakobus, wobei nur Petrus sicher zu identifizieren ist. Relativ sicher sind unten Thomas und darunter Bartholomäus, der seine eigene Haut in der Hand hält. Links von ihm (unsicher) Philippus, darüber, beide relativ sicher bestimmbar, der bartlos-jugendliche Johannes und Andreas.

Das Werk von Venusti hat einen hohen kunsthistorischen Stellenwert, da es sich um die erste oder um eine der ersten Kopien handelt und damit noch die Teile des Gemäldes enthält, die späteren Zensurmaßnahmen zum Opfer gefallen sind. Diese Bildteile lösten bei der Kurie „wegen der Darstellung männlicher und weiblicher Nacktheit Kontroversen aus und wurde[n] heftig als ‚obszön und unanständig‘ kritisiert“. Zudem sind auch die unteren Bildteile zu sehen, die durch spätere Umbauarbeiten am Altar, bei dem das Postament erhöht wurde, verdeckt sind.[7] Es gibt Stimmen, die bewerten diese Erhöhung des Altars als „einen Schaden, der schwerwiegender ist als die obszöne Verhüllung der körperlichen Schönheiten“.[8]

Im Unterschied zu Michelangelos Original, in dem diese Stelle übermalt wurde, sieht man auf Venustis Kopie unmittelbar neben der Christusfigur eine Person in dunklem Gewand, die in Anbetung versunken scheint. Die Gesichtszüge sind „deutlich erkennbar: ausnehmend fein gebildet, von edelster Harmonie der Verhältnisse, ein altrömischer Typus von grösster Schönheit!“[2]: S. 580–581 Henry Thode vermutet dahinter Michelangelos Freund Tommaso de’ Cavalieri, mit dem er „in vertrautester Beziehung stand“.

Venusti nahm sich die Freiheit, einige weitere Änderungen vorzunehmen, die dem Zeitgeist entsprachen: Die Stelle in der Mitte oben, an der im Original die architektonische Deckengestaltung hineinragt, füllte er mit der Figur Gott des Vaters und ergänzte die Taube für den Heiligen Geist. Den Preis einer Bildfälschung mit der Abkehr vom Jüngsten Gericht vergalt er durch die „ikonografische Richtigstellung“ in Zeiten der beginnenden Reformation hin zur Postulierung der Dreifaltigkeit.[7]

Literatur

  • Mario Sapio: Il Museo di Capodimonte, Arte’m, Neapel 2012, ISBN 978-88-569-0303-4.

Einzelnachweise

  1. Giorgio Vasari: Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori, zitiert nach Ernst Steinmann, S. 518
  2. a b c Henry Thode: Michelangelo und das Ende der Renaissance Grote, Berlin 1912.
  3. Clare Robertson: Il gran Cardinale. Alsessandro Farnese Patron of the Arts., Yale University Press 1992, S. 158.
  4. Marcella Marongiu: VENUSTI, Marcello, Dizionario Biografico degli Italiani, Band 98, 2020 auf Enciclopedia Treccani.
  5. Ernst Steinmann: Die Sixtinische Kapelle. F. Bruckmann, München 1905.
  6. Suzanne Pearson: The Meaning & Controversy of Michelangelo’s “Last Judgment”. The Collector, 7. September 2025.
  7. a b Napoli. La copia di Venusti del Giudizio di Michelangelo. Visioni dell’Aldilà, 3. November 2019.
  8. Romeo de Maio zitiert nach Francesco Saracino: Michelangelo e i diavoli del Purgatorio, Artibus et Historiae, Band 73, 2016, S. 151, Fußnote 5.