Darko Suvin
Darko Ronald Suvin (* 19. Juli 1930 in Zagreb als Darko Šlesinger) ist ein kanadischer Literaturwissenschaftler, Autor und Kritiker. Er war Professor (heute emeritiert)[1] an der McGill University in Montreal.
Nach seiner Tätigkeit am Lehrstuhl für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zagreb und ersten Veröffentlichungen auf Kroatisch verließ er Jugoslawien 1967 und begann 1968 an der McGill University zu lehren.
Er ist besonders für seine grundlegenden Arbeiten zur Science-Fiction-Literatur bekannt.
Biografie
Frühes Leben
Suvin wurde am 19. Juli 1930 in Zagreb, damals Teil des Königreich Jugoslawien, heute Hauptstadt von Kroatien, in die kroatisch-jüdische Familie von Miroslav und Truda (geb. Weiser) Šlesinger geboren. Er besuchte die jüdische Volksschule in der Palmotićeva-Straße. 1939 änderte die Familie ihren Nachnamen von Šlesinger zu Suvin, bedingt durch die politische Lage und den Antisemitismus infolge nationalsozialistischer Propaganda.[2][3]
Während des Zweiten Weltkriegs explodierte in seiner Nähe eine Bombe, was seine spätere Begeisterung für Science-Fiction prägte – nicht wegen der Technologie, sondern wegen der Vorstellung eines alternativen Verlaufs der Wirklichkeit.[4]
Zahlreiche Mitglieder seiner Familie wurden im Holocaust ermordet, darunter seine Großeltern väterlicherseits, Lavoslav und Josipa Šlesinger.
Literaturwissenschaft und Emigration
Nach dem Krieg promovierte Suvin an der Universität Zagreb.[5] In den 1960er Jahren veröffentlichte er seine ersten wissenschaftlichen Arbeiten zur Science-Fiction, darunter ein Überblick über das Genre mit detaillierten Analysen zu Autoren wie Isaac Asimov und Robert A. Heinlein. Zudem übersetzte er Werke wie The Seedling Stars und Day of the Triffids ins Kroatische.
1967 emigrierte er nach Nordamerika, wo er 1968 eine Professur an der McGill University annahm. Anfangs unterrichtete er Science-Fiction-Kurse, später wechselte er in die allgemeine Literatur- und Englischdidaktik.
Von 1973 bis 1980 war er Herausgeber der Zeitschrift Science-Fiction Studies. Er ist Mitglied der Royal Society of Canada (Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften).
Seit seiner Emeritierung im Jahr 1999 lebt er in Lucca, Italien.
Im Jahr 2009 erhielt er den kroatischen SFera-Preis für sein Lebenswerk im Bereich der Science-Fiction. Zudem ist er Mitglied des Kroatischen Schriftstellerverbandes (HDP).[6]
Im Jahr 2016 veröffentlichte Suvin in der kroatischen Kulturzeitschrift Gordogan autobiografische Texte über seine Jugendzeit in der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Jugoslawiens während der nationalsozialistischen Besatzung und den ersten Jahren des sozialistischen Jugoslawiens unter Tito. Sein Buch Splendour, Misery, and Potentialities: An X-ray of Socialist Yugoslavia (kroatisch: Samo jednom se ljubi: radiografija SFR Jugoslavije, Belgrad 2014) stellt den Versuch einer dialektischen Geschichte Jugoslawiens dar und wird vielfach in der aufkommenden Disziplin der „Postjugoslawischen Studien“ zitiert.
Philosophie
Science-Fiction
Suvin prägte den Begriff des novum (lateinisch: „Neues“), den er 1972 in seinem Aufsatz On the Poetics of the Science Fiction Genre einführte.[7]
Seiner Ansicht nach nutzen viele kommerzielle Werke das Novum nur als dekoratives Element. So lehnt er z. B. Star Wars als eigentliche Science-Fiction ab.[8]
Kognitive Verfremdung
Suvins bekanntester theoretischer Beitrag ist das Konzept der „kognitiven Verfremdung“. Science-Fiction soll neue Denkweisen über Gesellschaft ermöglichen oder zur Emanzipation anregen. Dies geschieht durch Darstellungen alternativer Realitäten, die den Status quo infrage stellen.
Auszeichnungen
- SFera-Preis für das Lebenswerk, 2009
- Lyman Tower Sargent Distinguished Scholar Award, Society for Utopian Studies, 2013
- Distinguished Service Award der European Utopian Studies Society, 2019
Werke (Auswahl)
- Dva vida dramaturgije (1964, Zagreb)
- Od Lukijana do Lunjika (1965)
- Other Worlds, Other Seas (1970, Herausgeber)
- Andere Welten, andere Meere. Utopisch-technische Erzählungen. Goldmann, München 1972, ISBN 3-442-30258-7 (unter wiss. Beratung von Herbert W. Franke).
- Uvod u Brechta (1970)
- Russian Science Fiction, 1956–1970: A Bibliography (1971)
- Science-Fiction Studies (1973–1980, Mitherausgeber)
- Metamorphoses of Science Fiction (1979)
- Poetik der Science-Fiction. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-518-37039-1 (übersetzt von Franz Rottensteiner).
- To Brecht and Beyond (1984)
- Positions and Presuppositions in Science Fiction (1988)
- Defined by a Hollow (2010)
- Splendour, Misery, and Potentialities (2016)
Weitere Werke umfassen Gedichtbände, kulturtheoretische Essays und Studien zur utopischen Literatur.
Literatur
- Ognjen Kraus: Dva stoljeća povijesti i kulture Židova u Zagrebu i Hrvatskoj. Židovska općina Zagreb, Zagreb 1998, ISBN 953-96836-2-9.
Weblinks
- Website von Dakor Suvin
- Profil auf der Seite des Kroatischen Schriftstellerverbandes (kroatisch)
- Interview mit Darko Suvin. (englisch)
Einzelnachweise
- ↑ David Johnston: Convocation: Honorary degrees and emeritus professorships. In: McGill Reporter, Band 33, Nr. 05 (November 2, 2000). McGill University, Montreal, 2. November 2000, abgerufen am 3. Mai 2025 (englisch).
- ↑ Darko Suvin; Slatki dani, strašni dani (iz Memoara jednog skojevca, dio 1). In: Gordogan – kulturni magazin, S. 25, Nr. 15–18, Jg. VI/VII. (kroatisch)
- ↑ Darko Suvin: Rat je stigao na radiju, Danas. Abgerufen am 13. Juni 2013 (serbisch).
- ↑ Horst Pukallus: An Interview with Darko Suvin: Science Fiction and History, Cyberpunk, Russia... In: Science Fiction Studies, Nr. 54, Band 18, Teil 2, Juli 1991 (englisch)
- ↑ Phillip E. Wegner: Darko Suvin: A life in letters. in: Paradoxa, 2011. (englisch)
- ↑ Darko Suvin, Hrvatsko društvo pisaca (Kroatischer Schriftstellerverband). Abgerufen am 25. März 2019 (kroatisch).
- ↑ Suvin, D.: On the Poetics of the Science Fiction Genre. In: College English, 34(3), 1972. S. 373
- ↑ Victor Wallis, Introduction. In: Socialism and Democracy Journal, 6. April 2011 (englisch)