Charlotte Gross
Charlotte Gross, geb. Behr (* 6. März 1905 in Samter in der damaligen Provinz Posen (heute Szamotuły in Polen); † 20. April 1999 in Hamburg) war eine deutsche Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.
Werdegang
Charlotte Behr verbrachte als zweitältestes Kind eines Tischlermeisters ihre ersten Lebensjahre mit ihren vier Geschwistern in der damalig preußischen Provinz Posen. 1911 zog die Familie nach Berlin. Nach dem frühen Tod der Mutter sorgte sie bereits als Jugendliche für ihre jüngeren Geschwister und führte den Haushalt. Auch nach ihrer Schulentlassung kümmerte sie sich weiter um ihre Geschwister, bis ihr Vater 1923 erneut heiratete. Sie war Mitglied des CVJM, dann bei den Naturfreunden. Ab 1923 arbeitete sie bei der Berliner Firma „Telegraphenbau“ und wurde dort zur Vertrauensperson und schließlich zur Betriebsrätin gewählt.[1] 1924 trat sie dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD) bei, wurde Mitglied der Internationalen Arbeiterhilfe und war ab 1926/1927 in der Kommunistischen Partei. Zudem war sie Leiterin des Roten Frauen- und Mädchenbundes.[2]
Im Jahr 1927 lernte sie den Kommunisten Otto Wahls kennen. Von Herbst 1929 bis 1932 lebte sie mit ihm in Essen, danach in Hamburg in der Wohnung von Wahls Vater. Ihr Verlobter Wahls arbeitete als Redakteur und Journalist der kommunistischen Hamburger Volkszeitung und gehörte nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten ab Februar 1933 dem illegalen Sekretariat der KPD-Bezirksleitung Wasserkante an.[2][3]
Tätigkeit im Widerstand
Auf der Suche nach Otto Wahls fanden ab 1933 mehrere Hausdurchsuchungen durch die Polizei statt, und Charlotte Behr wurde mehrfach in „Schutzhaft“ genommen, um Informationen über seinen Aufenthaltsort zu erpressen. Zusammen mit 32 anderen Frauen trat sie 1933 im Untersuchungsgefängnis Hamburg in der Straße Holstenglacis aus Widerstand gegen die schlechten Haftbedingungen in einen siebentägigen Hungerstreik. Nach vier Monaten kam sie frei.[3] Sie suchte sich ein eigenes Zimmer und traf sich nur heimlich mit Otto Wahls, bis dieser Deutschland im Frühjahr 1935 verließ. Am 31. August 1935 brachte sie die gemeinsame Tochter Vera zur Welt. Auch nach Wahls Abreise nach Moskau wurde Charlotte Behr zusammen mit Rosa Thälmann, Thea Saefkow und Grete Mindus als „illegale Frauengruppe der KPD“ von der Gestapo überwacht und bespitzelt. Wegen ihrer Beteiligung am antifaschistischen Widerstandskampf wurde sie im März 1936 zum vierten Mal verhaftet und fünf Monate in Einzelhaft eingesperrt.[4]
Nach ihrer Freilassung arbeitete Charlotte Behr wieder in dem Betrieb, in dem sie bis zur Entbindung tätig gewesen war, und versorgte ihre kleine Tochter. 1936 lernte sie den Dreher und KPD-Genossen Walter Gross kennen. Sie begann eine Beziehung mit ihm und wurde zum zweiten Mal schwanger. Im Januar 1937 wurde sie an ihrem Arbeitsplatz erneut verhaftet, im KZ Fuhlsbüttel interniert und zwei Wochen lang am Dienstsitz der Hamburger Gestapo im Stadthaus verhört und misshandelt. Die nächsten Monate verbrachte sie teils in Einzelhaft im KZ Fuhlsbüttel. Wegen ihres immer schlechter werdenden Gesundheitszustands wurde sie im Juli 1937 in das Lazarett des Berliner Frauengefängnisses verlegt, wo am 13. August ihr Sohn Etkar geboren wurde. Mit dem Säugling verbrachte sie weitere elf Monate in Haft. Im Juli 1938 konnte die Mutter von Walter Gross ihn zu sich nehmen, und Charlotte Behr wurde einige Wochen später in das KZ Lichtenburg verlegt. Ende April 1939 wurde sie entlassen und wohnte bei ihrer zukünftigen Schwiegermutter. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde ihr Verlobter Walter Gross zur Wehrmacht eingezogen. Nach seiner Rückkehr aus dem Polenfeldzug heirateten sie während seines Fronturlaubes[5] und wohnten in der Dettmerstraße 19 in Hamburg-Barmbek.[2][3]
Ab 1942 war Charlotte Gross als Kurierin für die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe und die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation zwischen Berlin und Hamburg tätig, überbrachte Informationen, Flugblätter, illegale Zeitschriften und Material des Nationalkomitees Freies Deutschland. Während der „Hamburger Kommunistenprozesse“ im Frühjahr 1944 gegen 47 Widerstandskämpfer fuhr sie mehrmals nach Berlin, um Franz Jacob und Anton Saefkow über den Verlauf der Prozesse Bericht zu erstatten.[2][6] Im Zusammenhang mit den Anfang Juli 1944 in Berlin erfolgten Festnahmen Anton Saefkows, Franz Jacobs, Otto Marquardts und weiterer Widerstandskämpfer wurde auch Katharina Jacob festgenommen, mit der Charlotte Gross befreundet war. Am 6. Juli 1944 wurde sie selbst verhaftet, nach Berlin gebracht und im Gestapo-Gefängnis in Potsdam gefoltert. Über das Untersuchungsgefängnis Moabit gelangte sie schließlich nach über vier Wochen in das Berliner Frauengefängnis Barnimstraße. Am 20. September 1944 wurde sie in der Prozess-Serie gegen die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe vor dem Volksgerichtshof in Berlin wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.[2][3] Nach Haft in den Zuchthäusern Lübeck und Cottbus wurde sie in das Frauenzuchthaus Jauer im Schloss Jauer in Schlesien verlegt. Im Januar 1945 wurden die verbliebenen 950 Häftlinge vor der heranrückenden Roten Armee auf einen Todesmarsch gezwungen, von denen nur 680 nach sieben Tagen über Goldberg, Pilgramsdorf, Löwenberg, Greifenberg, Welkersdorf und Lauban das Gefängnis in Görlitz lebend erreichten.[2] Nach weiteren Märschen und Gefängnissen wurden die überlebenden Frauen, darunter Charlotte Gross, nach Wochen befreit.[7]
Weiteres Leben
Nach dem Krieg lebte Charlotte Gross weiterhin in Hamburg. Ihr Mann Walter Gross war 1944 als Soldat an der Ostfront gestorben. Sie engagierte sich viele Jahre in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN) in Hamburg und beriet ihre Genossinnen und Genossen zur Durchsetzung ihrer Entschädigungsansprüche für ehemalige Widerstandskämpfer und blieb politisch aktiv in der KPD/DKP. Später wurde sie Mitglied des Präsidiums. Während des Verbots der Hamburger VVN am 1. August 1951 setzte sie ihre antifaschistische Tätigkeit in der neu gebildeten „Freien Beratungsstelle für die Opfer des Faschismus“ fort. Später war sie Mitglied des Präsidiums der VVN-BdA. Seit den 1950er Jahren war sie im „Erholungsheim Heideruh“ für die im antifaschistischen Widerstand aktiv gewesenen Kameradinnen und Kameraden im Ahornweg 45 in Buchholz in der Nordheide tätig. Zudem war sie Schriftführerin im Kuratorium „Ehrenhain Hamburgischer Widerstandskämpfer“ (Ohlsdorfer Friedhof).[2]
Charlotte Gross starb 1999 in Hamburg[1][3] und wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. Die Grablage „Geschwister-Scholl-Stiftung, Bn 73, 223“ liegt im östlichen Teil des Friedhofs auf einem Ehrenfeld für überwiegend nach 1945 verstorbene Widerstandskämpferinnen und -kämpfer sowie weitere NS-Verfolgte.[8] Charlotte Gross’ Name ist Teil der „Erinnerungsskulptur“ im Garten der Frauen,[2] eine Gedenkstätte auf dem Friedhof Ohlsdorf, in der an Frauen erinnert wird, die in der Hamburger Geschichte bedeutend waren.
Literatur
- Gerda Zorn, Gertrud Meyer: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933–1945. Röderberg, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-88290-022-9.
Einzelnachweise
- ↑ a b Gerda Zorn, Gertrud Meyer: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933–1945. Röderberg, Frankfurt am Main 1974, S. 23.
- ↑ a b c d e f g h Frauen auf der Erinnerungsskulptur. In: Garten der Frauen. Abgerufen am 2. September 2025.
- ↑ a b c d e Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Charlotte Gross. In: frauen-im-widerstand-33-45.de. Abgerufen am 2. September 2025.
- ↑ Gerda Zorn, Gertrud Meyer: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933–1945. Röderberg, Frankfurt am Main 1974, S. 11–13.
- ↑ Gerda Zorn, Gertrud Meyer: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933–1945. Röderberg, Frankfurt am Main 1974, S. 13–15.
- ↑ Der Zusammenbruch der Defensivstrategie des Hitlerfaschismus an allen Fronten. Band 5, Akademie-Verlag, Berlin 1984, ISBN 3-05-000109-7, S. 312–313.
- ↑ Gerda Zorn, Gertrud Meyer: Frauen gegen Hitler. Berichte aus dem Widerstand 1933–1945. Röderberg, Frankfurt am Main 1974, S. 15–22.
- ↑ Friedhof Ohlsdorf – Ehrenfeld Geschwister-Scholl-Stiftung. In: Gedenkstätten Hamburg. Abgerufen am 2. September 2025.