Carlo Alfonso Nallino

Personal der Ägyptischen Universität im Jahr 1911; Carlo Alfonso Nallino sitzt links außen

Carlo Alfonso Nallino (* 16. Februar 1872 in Turin; † 25. Juli 1938 in Rom) war ein italienischer Islamwissenschaftler und Hochschullehrer.

Leben

Familie

Carlo Alfonso Nallino wurde als Sohn von Giovanni Nallino (* 23. August 1836 in Cuneo; † 15. Januar 1906 in Udine)[1], einem Professor für Chemie, und der aus der Lombardei stammenden Giovanna (geb. Montini) geboren.

Er war verheiratet und hatte eine Tochter, Maria Nallino (* 23. Januar 1908 in Palermo; † 8. Oktober 1974 in Rom), die später Arabistin und Hochschullehrerin wurde.[2]

Ausbildung

Die gymnasiale und universitäre Ausbildung von Carlo Alfonso Nallino fand in einer Zeit statt, in der die europäische und italienische Kolonialexpansion ihren Höhepunkt erreichte. Diese Umstände prägten sein frühes Interesse an den orientalischen Sprachen, insbesondere dem Arabischen. In seiner Jugend, während der Besetzung von Massaua in Eritrea am Roten Meer im Jahr 1885, entwickelte er eine Leidenschaft für die Geschichte der arabischen Wissenschaft.

An der Universität Turin studierte Nallino unter dem Geographen Guido Cora (1851–1917), einem der prominentesten Vertreter der kolonialen Expansion in Afrika. Cora förderte Nallinos Interesse an der Anwendung arabistischer Fähigkeiten auf die astronomische Geographie. Er hörte die Vorlesungen von Italo Pizzi (1849–1920) und erwarb 1893 den Grad eines "Bakkalaureus der Künste". Seine Abschlussarbeit mit dem Titel Al-Khuwarismi e il suo rifacimento della Geografia di Tolomeo eröffnete den Weg für seine künftige Karriere und machte ihn in der europäischen Orientalistik bekannt. Sein Interesse für die arabische Sprache und Kultur führte ihn früh in den Orient, wo er von 1893 bis 1894 ein Stipendium an der Universität Kairo erhielt. Nallino bereiste verschiedene Länder des Vorderen Orients, darunter Ägypten, Sudan und Mesopotamien, und vertiefte sein Wissen über arabische Handschriften und die arabische Literatur.

Wissenschaftliche Karriere

Nallino begann 1894 seine akademische Laufbahn als Dozent für Arabisch am Orientalischen Institut Neapel, einer Bildungseinrichtung, die dem Ministerium für öffentlichen Unterricht unterstand. Im Jahr 1903 erhielt er den Lehrstuhl für Arabische Sprache und Literatur an der Universität Palermo, wo er bis 1913 blieb. In dieser Zeit initiierte er zahlreiche wissenschaftliche Missionen nach Ägypten und wurde eingeladen, an der neu gegründeten Universität Kairo zu lehren. Diese Institution, die sich den modernistischen Bestrebungen der lokalen Elite öffnete, wurde von dem zukünftigen König Fu'ād geleitet. Nallino übernahm hier neben seiner Lehrtätigkeit auch Funktionen als wissenschaftlicher Berater der italienischen Regierung, was seinen aktiven Beitrag zur Kolonialpolitik einleitete.

Während er 1913 nach Italien zurückkehrte, war die Rückkehr von Spannungen geprägt, die möglicherweise durch die Proteste ägyptischer Studenten in Kairo gegen italienische Dozenten aufgrund von Gewaltakten Italiens während des Italienisch-Türkischen Krieges in Libyen ausgelöst wurden.

Einer seiner Studenten in Kairo war unter anderem der spätere Schriftsteller und Erziehungsminister Tāhā Husain.

Ab 1915 war er ordentlicher Professor für Islamische Geschichte und Kultur an der Königlichen Universität Rom; er widmete sich intensiv dem Studium des islamischen Rechts. Während seiner Lehrtätigkeit in Rom hielt er zahlreiche Vorlesungen, unter anderem an der ägyptischen Universität in Kairo, wo er sich mit der Geschichte der arabischen Astronomie und Literatur befasste.

Seine akademische Arbeit war geprägt von einem interdisziplinären Ansatz, der Astronomie, Mathematik, Philosophie und Rechtswissenschaften einbezog. Nallino war bekannt für seine akribische Forschung und seine Fähigkeit, komplexe Themen bis ins Detail zu durchdringen. Er war der Überzeugung, dass das Verständnis der arabischen Sprache und Kultur nur durch eine umfassende Kenntnis ihrer wissenschaftlichen und philosophischen Traditionen möglich sei.

Neben allen seinen anderen Pflichten übernahm er auch noch die des Leiters der orientalischen Abteilung der monumentalen Enciclopedia Italiana und die des Vizepräsidenten der Accademia dei Lincei in der Classe di Scienze Morali.

Zu seinen Studenten in Rom gehörte unter anderem der spätere Orientalist Francesco Gabrieli.

Engagement in der Kolonialpolitik

1912 wurde Nallino vom neu gegründeten Kolonialministerium beauftragt, das in Libyen sichergestellte osmanische politische Archiv neu zu ordnen und die Leitung des Übersetzungsbüros der Regierung in Tripolitanien zu übernehmen.

1915 wurde er mit der Umgestaltung des Königlichen Orientalischen Instituts in Neapel beauftragt, um es in ein Ausbildungszentrum für koloniales Personal zu transformieren.

Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Nallino auch in verschiedenen Kommissionen tätig, die sich mit islamischen Fragen von kolonialem Interesse befassten. 1918 war er Mitglied der Nachkriegskommission, die geeignete Politiken für den Übergang der Kolonien von Friedens- zu Kriegszuständen untersuchen sollte. Zu seinen weiteren Beiträgen gehörte die Überarbeitung der kartografischen Bezeichnungen und die Erstellung von Regeln zur Toponomastik, die die toponymischen Bezeichnungen in Tripolitanien und Cyrenaika an eine „rigorose nationale Schreibweise“ anpassen sollten.

Forschungsgebiete und Publikationen

Nachdem er auf Vorschlag des Direktors der Brera-Sternwarte in Mailand, Giovanni Schiaparelli und dessen Bruder Celestiono Schiaparelli, nach Spanien gesandt worden war, fand er in der Bibliothek in der Klosteranlage Escorial das Manuskript von der Einführung in die Astronomie, einem Werk von Al Battani, eines arabischen Autors des 9. Jahrhunderts. Nach seiner Rückkehr nach Italien begann er noch 1894 mit der Arbeit an seinem später bekanntesten Werk, Al-Battani sive Albatenii opus astronomicum, das sich mit der Übersetzung und dem Kommentar zu den Schriften des syrischen Geographen des 9. bis 10. Jahrhunderts befasste. Dieses dreibändige Werk, das zwischen 1899 und 1907 veröffentlicht wurde, verschaffte Nallino internationale Anerkennung. Außerdem veröffentlichte er eine Neuausgabe der Storia dei Musulmani di Sicilia von Michele Amari, die er bis zu seinem Tod bearbeitete.

Er war Mitherausgeber der Bibliotheca Geographorum Arabicorum („Bibliothek arabischer Geographen“).

Seine Publikationen waren vielfältig und deckten eine breite Palette von Themen ab, darunter die arabische Sprache, Geographie, Literatur und Rechtsgeschichte. Nallino veröffentlichte zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften und war auch als Kritiker tätig, der die Arbeiten seiner Vorgänger hinterfragte und neue Perspektiven aufzeigte.

Er wurde 1915 Nachfolger von Ignazio Guidi (1844–1935) als Direktor der Zeitschrift für Orientalistik Rivista degli studi orientali, zu der er mit zahlreichen Artikeln und Kritiken beitrug.

1921 war Nallino Mitbegründer des 1982 nach ihm benannten Istituto per l'Oriente (Institut für den Orient) (IPO)[3] in Rom, das die Zeitschrift Oriente moderno[4] herausgab, die bis heute zu den bedeutendsten orientalischen Fachzeitschriften in Italien zählt; er war von der Gründung des Instituts bis zu seinem Tod deren Direktor und Chefredakteur der Oriente moderno. Diese Institutionen nahmen nahezu die gesamte italienische Arabistik auf und ermöglichten es einer neuen Generation von Orientalisten, die kolonialen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die arabisch-islamische Welt zu erleben.

Nallino starb am 25. Juli 1938 in Rom, nach einem Aufenthalt in Arabien, während er den ersten von zwei vorgesehenen Bänden über das neu gegründete arabische Königreich druckte. Der zweite Band wurde posthum in die Sammlung seiner veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften aufgenommen, die von seiner Tochter Maria zwischen 1939 und 1948 herausgegeben wurde und in sechs Bänden seine bedeutendsten Essays vereint.

Sein Privatarchiv und seine persönliche Bibliothek werden seit 1982 im IPO, das seinen Namen trägt, aufbewahrt.

Mitgliedschaften

Carlo Alfonso Nallino war Mitglied und Ehrenmitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften, unter anderem war er Mitglied der Akademie für die arabische Sprache in Damaskus und seit 1923 Ehrenmitglied der Royal Asiatic Society sowie seit 1933 Ehrenmitglied der Akademie der arabischen Sprache in Kairo und seit 1934 der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

Ehrungen und Auszeichnungen

Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so war er unter anderem Großoffizier des Ordens des Sterns von Italien.

In Rom und Turin wurden die gleichnamigen Straßen Via Carlo Alfonso Nallino nach Carlo Alfonso Nallino benannt.

Eine mehrsprachige Gedenktafel ist für ihn im Istanbuler Museum für Geschichte der Wissenschaft und Technik im Islam angebracht worden.

Schriften (Auswahl)

  • Al-Khuwarismi e il suo rifacimento della Geografia di Tolomeo. 1894 (Digitalisat).
  • Chrestomathia Qorani Arabica. Leipzig, 1893 (Digitalisat).
  • La transcription des noms géographiques arabes, persans et turcs. Kairo, 1894 (Digitalisat).
  • Al-Ḫuwârizmî e il suo rifacimento della Geografia di Tolomeo. 1896 (Digitalisat).
  • Al-Battn sive Albatenii opus astronomicum: ad fidem codicis Escurialensis Arabice editum. 1899 (Digitalisat).
  • L'arabo parlato in Egitto; grammatica, dialoghi e raccolta di circa 6000 vocaboli. Forma la nuova ed. completamente rifatta del Manuale dell'arabo volgare di de Sterlich e Dib Khaddag. Mailand, 1900 (Digitalisat).
  • Michele Amari; Carlo Alfonso Nallino: Storia dei Musulmani di Sicilia. 1933.
  • Raccolta di scritti. Rom, 1939 (Digitalisat).
  • Vita di Maometto. Rom, 1946.

Literatur

Commons: Carlo Alfonso Nallino – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dizionario biografico dei friulani. Abgerufen am 25. August 2025.
  2. NALLINO, Maria. Abgerufen am 25. August 2025 (türkisch).
  3. Home. Abgerufen am 25. August 2025.
  4. Oriente Moderno. Abgerufen am 25. August 2025.