Carl Friedrich von Siemens Stiftung
| Carl Friedrich von Siemens Stiftung | |
|---|---|
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| Rechtsform | Stiftung |
| Gründung | 1958 in München |
| Gründer | Ernst von Siemens |
| Sitz | Schloss Nymphenburg |
| Zweck | Förderung der Wissenschaften |
| Vorsitz | Isabel Pfeiffer-Poensgen, Stefan Fritz |
| Website | www.carl-friedrich-von-siemens-stiftung.de |

Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung dient dem Ziel der Förderung der Wissenschaften. Sie wurde 1958 aus den Unternehmen Siemens & Halske AG und Siemens-Schuckertwerke AG heraus auf Initiative des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Ernst von Siemens gegründet, die Stiftung trägt den Namen seines Vaters. Durch den langjährigen Vorsitz der Stiftung durch Armin Mohler von 1964 bis 1985, der den Begriff der Konservativen Revolution popularisierte, gilt die Stiftung als zentraler Ort der „Neuen Rechten“ dieser Zeit.[1][2][3] 1972 wurden die Ernst von Siemens Musikstiftung gegründet sowie 1983 die Ernst von Siemens Kunststiftung. Die drei Stiftungen operieren unabhängig voneinander. Die Siemens AG gründete 2008 die Siemens Stiftung, die nachhaltige Projekte im Bereich „Gesicherte Grundversorgung, Digitalität und Klima“ unterstützt.[4]
Struktur
Die Stiftung verfügt über zwei Gremien: den hauptamtlichen Stiftungsvorstand und den ehrenamtlichen Stiftungsrat. Seit einer Satzungsänderung im Dezember 2024 führt ein hauptamtlicher zweiköpfiger Vorstand die Stiftung: Isabel Pfeiffer-Poensgen, ehemalige Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, sowie seit April 2025 der Stiftungsmanager Stefan Fritz.[5] Zuvor bestand der Stiftungsvorstand aus fünf ehrenamtlichen Mitgliedern, die gemäß Satzung einen Geschäftsführer bestellten. Dem aktuellen, weiterhin ehrenamtlichen Stiftungsrat gehören Ernst Osterkamp (Vorsitzender), Horst Dreier (Stellvertretender Vorsitzender), Reinhold Baumstark, Bert Hölldobler, Beate Kellner, Peter Schulz von Siemens, Petra Schwille und Ferdinand von Siemens an. Bis Anfang 2024 bestand der Stiftungsrat ausschließlich aus männlichen Mitgliedern, was auf Kritik stieß. Im April 2024 wurde mit der Biophysikerin Petra Schwille die erste Wissenschaftlerin in den Stiftungsrat berufen. Im Dezember 2024 erfolgte die Bestellung von Beate Kellner, die den Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik an der LMU München innehat.
Ziele
Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung widmet sich gemäß Satzung insbesondere der Förderung des wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Nachwuchses, vor allem durch Nutzung der Stiftungseinrichtungen, der Förderung der wissenschaftlichen Forschung sowie der Pflege des Gedankenaustausches und des Kontaktes zwischen den an Hochschulen und Akademien, in Wirtschaft, Verwaltung und den freien Berufen tätigen Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern sowie Praktikerinnen und Praktikern des In- und Auslandes durch Vortragsveranstaltungen.[6]
Aktivitäten
Die Aktivitäten der Stiftung beziehen sich auf sechs Bereiche: Wissenschaftliches Vortragsprogramm, Förderung von Veröffentlichungen, die im Rahmen des Vortragsprogramms und der Fellowships entstanden sind, der gezielten Förderung individueller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Projektförderung (insbesondere der Förderung wissenschaftlicher Editionen), der Förderung von Universitäts- und Forschungsbibliotheken und der Förderung von Gastveranstaltungen in den Räumlichkeiten der Stiftung in München.[7][8]
Seit Gründung veranstaltet die Stiftung wissenschaftliche Vortragsreihen mit Vorträgen einzelner Referenten sowie interdisziplinäre Vortragsreihen, die teilweise in kostenfrei beziehbaren Publikationen veröffentlicht werden.[9] Die Vorträge wurden vielfach u. a. im SWR-Fernsehen übertragen und sind teilweise auch online abrufbar.
Referenten, die in der Siemens-Stiftung Vorträge hielten, waren unter anderem
- Giorgio Agamben
- Jan Assmann
- Ernst-Wolfgang Böckenförde
- Katrin Böhning-Gaese
- Jean Bollack
- Horst Bredekamp
- J. M. Coetzee
- Richard Dawkins
- Daniel Dennett
- Jennifer Doudna
- Philippe Descola
- Louis Dumont
- Ronald Dworkin
- François Furet
- Dieter Grimm
- Hans Ulrich Gumbrecht
- Ágnes Heller
- Paul Kirchhof
- Hans Joas
- Benjamin List
- Jean-François Lyotard
- Peter von Matt
- Ernst Mayr
- Christoph Möllers
- Ernst Osterkamp
- Robert Pippin
- Ilya Prigogine
- Martin Rees
- Salvatore Settis
- Karl Schlögel
- Brendan Simms
- Wolf Singer
- Rudolf Smend
- Andreas Urs Sommer
- Jean Starobinski
- Michael Theunissen
- Helen Vendler
- David Wellbery
Vergabe der Carl Friedrich von Siemens Fellowships an hervorragende Wissenschaftler (seit 1993). Mit diesen Stipendien wird der Abschluss von Forschungen hervorragender Wissenschaftler gefördert.
Aktuelle Fellows (2025) sind:
- Peter Ahrensdorf, Davidson College North Carolina, USA
- Katerina Harvati-Papatheodorou, Eberhard-Karls-Universität Tübingen
- Kathleen Wermke, Universitätsklinikum Würzburg
Ehemalige Fellows sind:
- Marina Münkler, Technische Universität Dresden
- Jörg Baberowski, Humboldt-Universität zu Berlin
- Robert D. Levin, Pianist und Dirigent
- Robert B. Pippin, University of Chicago, USA
- Jan Wagner, Schriftsteller
- Jürgen Osterhammel, Universität Konstanz
- Andreas Urs Sommer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
- Michael Fried, Johns Hopkins University, USA
- Herfried Münkler, Humboldt-Universität zu Berlin
- Martin Mosebach, Schriftsteller
- Heinrich Detering, Georg-August-Universität Göttingen
- Karl Schlögel, Europa-Universität Viadrina
- Brendan Simms, University of Cambridge, Vereinigtes Königreich
- Dieter Grimm, Bundesverfassungsrichter a. D., Humboldt-Universität zu Berlin
- Hans Ulrich Gumbrecht, Stanford University, USA
- Lorraine Daston, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin
- Helen Vendler, Harvard University, USA
- Philippe Descola, Collège de France, Paris, Frankreich
- Michael Maar, Schriftsteller
- Robert Darnton, Princeton University, USA
- Ernst Osterkamp, Humboldt-Universität zu Berlin
- Peter von Matt, Universität Zürich, Schweiz
- Jan Assmann, Universität Heidelberg
- Förderprogramm zur Ergänzung der dringend benötigten wissenschaftlichen Literatur. Diese umfasst die Versorgung von Universitätsbibliotheken in den neuen und alten Bundesländern. Das Programm läuft in dieser Form noch bis 2027.[10]
- Gastveranstaltungen, vor allem wissenschaftliche Konferenzen und internationale Symposien, bei denen die Einrichtungen der Stiftung zur Verfügung gestellt werden. Die Themen sind fächerübergreifend und reichen von naturwissenschaftlichen Themen über Literatur- und Musikwissenschaft bis hin zu philosophischen und kulturhistorischen Aspekten. Besonders gefördert werden soll dabei der Kontakt zwischen deutschen und ausländischen Wissenschaftlern.[11]
- Seit 2010 vergibt sie alle 3 bis 4 Jahre den Heinz Gumin Preis für Mathematik der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Mit 50.000 Euro ist er der höchstdotierte Mathematikpreis im deutschsprachigen Raum. Der Mathematiker und Informatiker Heinz Gumin war von 1984 bis zu seinem Tode 2008 ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Stiftung.[12]
Preisträger
- Gerd Faltings, Max-Planck-Institut für Mathematik, Bonn
- Stefan Müller, Universität Bonn, Hausdorff Center for Mathematics, Bonn
- Wendelin Werner, Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich
- Wolfgang Hackbusch, ehem. Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften, Leipzig
- Don Bernard Zagier, Max-Planck-Institut für Mathematik, Bonn
Publikationen (Auswahl)
Die Stiftung veröffentlicht seit 1961 regelmäßig Dokumentationen der Vorträge in der Stiftung in ihrer Reihe „Themen“. Seit 1961 sind über 100 Bände erschienen.[13] Die Stiftung publiziert außerdem die im Verlag C. H. Beck erscheinende „Edition der Carl Friedrich von Siemens Stiftung“. Dort sind u. a. erschienen:
- Brendan Simms, Der längste Nachmittag, 400 Deutsche, Napoleon und die Entscheidung von Waterloo, 2014
- Heinrich Detering, Die Stimmen aus der Unterwelt, Bob Dylans Mysterienspiele, 2016
- Friedrich Wilhelm Graf / Heinrich Meier, Politik und Religion, Zur Diagnose der Gegenwart, 2017
- Horst Dreier, Staat ohne Gott, Religion in der säkularen Moderne, 2018
- Karl Schlögel, Das sowjetische Jahrhundert, Archäologie einer untergegangenen Welt, 2018
- Dieter Grimm, Die Historiker und die Verfassung, Ein Beitrag zur Wirkungsgeschichte des Grundgesetzes, 2022
- Peter Schäfer, Die Schlange war klug, Antike Schöpfungsmythen und die Grundlage des westlichen Denkens, 2022
- Daniel Leese / Ming Shi, Chinesisches Denken der Gegenwart, Schlüsseltexte zu Politik und Gesellschaft, 2023
- Jörg Baberowski, Der sterbliche Gott, Macht und Herrschaft im Zarenreich, 2024

Geschichte

Die Förderungen der Carl Friedrich von Siemens Stiftung wurden zunächst durch Zuwendungen der beiden tragenden Gesellschaften finanziert, was nach der Fusionierung zur Siemens AG 1966 fortgesetzt wurde. Mehrere persönliche sowie die testamentarischen Zuwendungen von Ernst von Siemens machten die Stiftung schließlich unabhängig.[14] Heute finanziert sie ihre Tätigkeit vollständig aus den Erträgen des Stiftungsvermögens. Der Sitz der Stiftung im Südlichen Schlossrondell des Münchner Schlossensembles Nymphenburg ist ein historisches Kavaliershaus, es befindet sich im Eigentum der Stiftung. Moderne Anbauten auf der Rückseite dienen als Veranstaltungs- und Tagungsort.
Ernst von Siemens, von 1956 bis 1971 Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG, errichtete die Stiftung aus seinem Privatvermögen und vermachte ihr neben der Ernst von Siemens Musikstiftung und der Ernst von Siemens Kunststiftung seinen Nachlass. Sie trägt den Namen seines Vaters Carl Friedrich von Siemens, der zwischen 1919 und 1941 Aufsichtsratsvorsitzender des heutigen Siemens-Konzerns war. Geschäftsführer der Stiftung war ab 1964 der Publizist Armin Mohler, 1985 wurde Heinrich Meier Nachfolger Mohlers. Von 1984 bis zu seinem Tode 2008 war Heinz Gumin Vorstandsvorsitzender der Stiftung. 2022–2023 hatte der Literaturwissenschaftler Marcel Lepper die Geschäftsführung übernommen. Nach seiner Entlassung übernahm ab Oktober 2023 Isabel Pfeiffer-Poensgen die Geschäftsführung. Eine Debatte entbrannte anlässlich der Entlassung Marcel Leppers im Jahr 2023 über die Aufarbeitung der Stiftungsgeschichte, da mit dem umstrittenen Rechtskonservativen Armin Mohler ein wichtiger Vertreter der „Neuen Rechten“ die Geschäfte der Stiftung von 1964 bis 1985 geführt hatte. Mohler hatte u. a. den Begriff der „Konservativen Revolution“ popularisiert.[15]
Bisherige Geschäftsführer (ab 2024 hauptamtliche Vorstände)
Die Stiftung unter Armin Mohler 1964–1985
Mohler war von 1949 bis 1953 Privatsekretär von Ernst Jünger und danach Journalist in Paris. 1961 kam er auf Empfehlung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Franz Riedweg, den er 1942 kennengelernt hatte, als Sekretär zur Stiftung.[2][16] Er galt als ein „Strippenzieher im rechtsextremen Milieu, der sich zum Faschismus bekannte“[17] , Artikel für die extrem rechte Nationalzeitung des Münchner Verlegers Gerhard Frey und die Junge Freiheit schrieb[16] und die Stiftung für politische Veranstaltungen nutzte. Ein Beispiel dafür ist der von ihm im Juni/Juli 1978 organisierte Zyklus über Carl Schmitt, dessen Vorträge unter dem Titel Der Ernstfall als zweiter Band der Schriftenreihe der Stiftung im Propyläen-Verlag erschienen. Schmitt war wegen seines Engagements für das Dritte Reich akademisch und publizistisch isoliert. Referenten waren Horst Albach, Rüdiger Altmann, Knut Borchardt, Paul Carell, Hellmut Diwald, Robert Hepp, Josef Isensee, Christian Meier, Wilhelm E. Mühlmann und Heinz-Dietrich Ortlieb. Die Reihe wurde als Hommage an Schmitt verstanden.[18] Auch weitere Veröffentlichungen der Stiftungen haben Personen oder Themen der Neuen Rechten zum Inhalt. Der 1980 bei Ullstein erschienene Band 3 der Schriftenreihe, „Die Deutsche Neurose. Über die beschädigte Identität der Deutschen“, herausgegeben von Anton Peisl und Mohler, enthält u. a. Beiträge von Johannes Gross, Peter R. Hofstätter, Hellmut Diwald, Hans-Joachim Arndt und Dieter Blumenwitz. In die gleiche Richtung führt auch der 1986 erschienene Band 11 mit dem Titel „Wirklichkeit als Tabu: Anmerkungen zur Lage“ und den Autoren Josef Isensee (Die Verfassung als Vaterland), Helmut Quaritsch (Das Grundrecht auf Asyl und die neuen Wirklichkeiten), Horst Ehmann (Legitimitatsverlust des Arbeitskampfes?), Dieter Blumenwitz (Die Verrechtlichung der Aussenpolitik), Reinhart Maurer (Wie wirklich ist die ökologische Krise?), Martin Gosebruch („Alles ist Kunst“), Gerhard Adler (Woran glauben die Leute eigentlich?), Robert Hepp (Der Aufstieg in die Dekadenz) und Hans-Joachim Arndt (Volk ohne Zukunft?).[19] 1980 hielt der Historiker Ernst Nolte vor der Carl Friedrich von Siemens Stiftung den Vortrag Zwischen Geschichtslegende und Revisionismus, den die FAZ am 24. Juli 1980 gekürzt abdruckte, wodurch der Historikerstreit ausgelöst wurde.
Die Stiftung unter Heinrich Meier 1985–2022
Unter der Geschäftsführung von Heinrich Meier trat die politische Arbeit in den Hintergrund. Stattdessen öffnete sich die Stiftungsarbeit für die internationale Spitzenforschung. Unter der Leitung von Meier galt die Stiftung aufgrund ihres anspruchsvollen wissenschaftlichen Programms als „Oxford in München“.[20] Über die Vorträge wurde vielfach im Feuilleton berichtet.[21]
Die Stiftung unter Marcel Lepper 2022–2023
- Zum Arbeitsprogramm seit 2022 gehörte die Stärkung der historischen und gesellschaftlichen Reflexion der Stiftung, darunter auch die Aufarbeitung der eigenen Geschichte.[22][23]
- Im Sommersemester 2022 hat die Stiftung ein „Osteuropa-Programm“ eingerichtet.[24]
- Unter Marcel Lepper öffnete die Stiftung ihre Programme verstärkt für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.[25]
Im Februar 2023 trennte sich die Stiftung von Marcel Lepper. Gegenüber der Presse hat die Stiftung die Mitarbeiterführung als Grund für die Kündigung angegeben. Lepper hingegen mutmaßte in den Medien, dass sein Kurs der Aufarbeitung der Stiftungsgeschichte den Ausschlag für die Kündigung gab. Die Parteien schlossen nach gerichtlichen Auseinandersetzungen eine Abfindungsvereinbarung.[26]
Die Stiftung unter Isabel Pfeiffer-Poensgen und Stefan Fritz (seit 2023)
Für den Übergang übernahm Isabel Pfeiffer-Poensgen, ehemalige Kultur- und Wissenschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, im Oktober 2023 die Geschäftsführung. Ende 2023 startete ein Projekt am Institut für Zeitgeschichte zur Erforschung der rechten Vergangenheit der Stiftung, das der ehrenamtliche Vorstand der Stiftung bereits seit längerem vorbereitet hatte.[27][28] Die neue Geschäftsführerin veranlasste eine grundlegende Strukturreform, indem sie sich für „einen kleinen Vorstand und ein größeres Aufsichtsgremium“ einsetzte. Dem bisherigen ehrenamtlichen Vorstand fehle die Zeit, „sich um das operative Geschäft zu kümmern“. Nach einem langen Diskussionsprozess habe man damit umgesetzt, was andernorts gängig sei. Isabel Pfeiffer-Poensgen kündigte 2025 an, sich verstärkt der Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern zu widmen, da dies explizit in der Satzung verankert sei. Die Stiftung plane, sichtbarer und transparenter zu informieren. Das sei nach der reputationsschädigenden Berichterstattung der letzten Jahre der einzig sinnvolle Weg. „Man kann sich darüber ärgern, aber das Einzige, was hilft, ist gute Arbeit zu machen. Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen wieder alles heilt, aber wir verändern viel. Gute Veranstaltungen, gute Förderung zu bieten – das ist unser Job“, sagte Isabel Pfeiffer-Poensgen in einem Gespräch mit der Zeitschrift „Die Stiftung“.[29] Erstmals seit Stiftungsgründung liegen Geschäftsordnungen für Vorstand, Rat und Anlagekommission vor. Darin sei geregelt, dass für den Stiftungsrat eine Amtszeitbegrenzung von dreimal drei Jahren gelte. Die Zeitschrift „Die Stiftung“ urteilte, nach der Reform „dürfte vieles grundlegend anders sein als in den Jahrzehnten zuvor“. Die Stiftung habe „in Sachen Governance in kurzer Zeit Jahrzehnte nachgeholt“. Neuer kaufmännischer Vorstand wurde der Jurist Stefan Fritz.[30]
Kritik
Um die Aktivitäten der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, insbesondere in der Amtszeit des Geschäftsführers Armin Mohler (1964–1985), entbrannte im Jahr 2023 eine öffentliche Debatte. Bereits seit den 1980er Jahren gab es „kritische Stimmen, die in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung eine bedeutende neurechte ‚Denkfabrik‘ sahen oder ihr zumindest ein systematisches ‚Gesamtprogramm rechtskonservativer Hegemoniebildung‘ (Axel Schildt) zugeschrieben haben“.[28]
Die Strukturen der Stiftung gerieten im Zuge der Entlassung Marcel Leppers im Jahr 2023 in die Kritik. Diese Kritik betrifft die problematischen Finanzstrukturen vor 2022, von der die Süddeutsche Zeitung und Die Zeit berichteten, ebenso Governance-Mängel.[31] Weder die von der Stiftung beauftragten Wirtschaftsprüfer noch die Stiftungsaufsicht bemängelten allerdings jemals die Geschäftsführung.
In einem Offenen Brief haben über 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Stiftungsstrukturen problematisiert und Aufklärung gefordert. Der Brief formuliert drei Forderungen:
- Wiederaufnahme des unterbrochenen Modernisierungsprozesses,
- Öffnung und Zugänglichkeit des Stiftungsarchivs und
- Transparente Offenlegung von Grundlagen, Strukturen und Entscheidungsprozessen der Stiftung sowie die Überprüfung der stiftungs- und steuerrechtlichen Fragen.[32][33]
Die Süddeutsche Zeitung wie Die Zeit berichteten, dass die Gremienmitglieder sich selbst mit Zuwendungen bedacht haben. Dazu gehören Geschenke, private Feiern, persönliche Projekte und wissenschaftliche Symposien in der Stiftung.[31][34] Die Forschungsförderung von Gremienmitgliedern widerspreche nicht dem Stiftungszweck, teilte die Stiftung der Süddeutsche Zeitung mit.[33] Im Jahresbericht werden die Geburtstagssymposien aus dem Stiftungsumfeld als besondere Highlights unter den Gastveranstaltungen angeführt, darunter die Symposien für Walter Neupert, für Horst Dreier und Peter M. Huber.[35]
Aus den Jahresberichten geht auch hervor, dass mehrere Gremienmitglieder Fellowships der Carl Friedrich von Siemens Stiftung erhalten und in der Stiftung hochdotierte Vorträge gehalten haben, bevor sie in die Gremien aufgenommen wurden. Dazu zählen die Fellowships von Horst Dreier (2011/2012) und Ernst Osterkamp (2003/2004), hochdotierte Vorträge von Jörg Hacker (2007), Bert Hölldobler (2006) und Ernst Osterkamp (2002; 2010).[35]
Anlässlich der Entlassung Marcel Leppers wurde im Feuilleton, aber auch in den sozialen Netzwerken über Strukturen und Netzwerke der Stiftung diskutiert.[36] Von der Zeit und der Süddeutschen Zeitung wurde auch das Finanzverhalten der gemeinnützigen Stiftung vor 2022 kritisch erörtert.[31] Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die von Lepper thematisierte Aufarbeitung der Stiftungsgeschichte.[17]
2023 hielt der Zeithistoriker Norbert Frei einen noch unter der Leitung von Marcel Lepper vereinbarten Vortrag, in dem er die Aufarbeitung der Geschichte der Stiftung forderte.[37]
Ende 2023 gab die Stiftung bekannt, dass am Münchner Institut für Zeitgeschichte ein vierjähriges Forschungsprojekt starte, um zu untersuchen „inwieweit die Carl Friedrich von Siemens Stiftung insbesondere unter ihrem langjährigen Geschäftsführer Armin Mohler zwischen den 1960er und den mittleren 1980er Jahren der sogenannten neuen Rechten nahestand“. Das Forschungsvorhaben, finanziert von der Stiftung, wissenschaftlich aber unabhängig, gehe der Frage nach, „inwiefern die Stiftung, ihre Gremien und ihr Umfeld in dem weiten Spektrum zwischen einem liberalen, sich demokratisch verstehenden Konservatismus und der neuen Rechten zu verorten war“. Der Historiker Maik Tändler leitet das Projekt mit dem Titel „Die Carl Friedrich von Siemens Stiftung 1958–1985: Wissenschaft, konservative Bürgerlichkeit und rechte Netzwerke“. Man gehe „von der Annahme aus, dass die Carl Friedrich von Siemens Stiftung analytisch weder ausschließlich als neurechte Denkfabrik noch als unpolitischer Ort bürgerlicher Gelehrsamkeit zu fassen ist.“ Die Stiftung habe als Forum der Begegnung von Eliten aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in der Grauzone zwischen Konservatismus und neuer Rechter operiert. Der langjährige Geschäftsführer Armin Mohler habe versucht, „rechtem Denken bildungsbürgerliche Respektabilität und damit diskursive Legitimität zu verleihen.“[28]
Literatur
- Armin Mohler: Fünfundzwanzig Jahre Carl Friedrich von Siemens Stiftung. München 1985.
- Peter Kratz: Siemens zum Beispiel ... Seite 33–82, in In bester Gesellschaft. Antifa-Recherche zwischen Konservativismus und Neo-Faschismus. Herausgegeben von Raimund Hethey und Peter Kratz, Verlag die Werkstatt Mai 1991
Weblinks
- Website der Carl Friedrich von Siemens Stiftung
- YouTube-Kanal der Carl Friedrich von Siemens Stiftung
- Literatur von und über Carl Friedrich von Siemens Stiftung im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Einzelnachweise
- ↑ Die "Neue Rechte" und die Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung: Das Fremde ausstoßen, Süddeutsche Zeitung 2. März 2023
- ↑ a b Knut Cordsen: Siemens-Stiftung: Marcel Lepper äußert sich erstmals zu Rauswurf. Bayerischer Rundfunk, 11. April 2023, abgerufen am 18. April 2023.
- ↑ Bargeld im Altherrenclub – Was führte zum Eklat um die Carl Friedrich von Siemens Stiftung, der Literaturwissenschaftler Marcel Lepper im Gespräch (Ankündigung auf der Programvorschauseite), Reformbedarf. Marcel Lepper zur Geschichte der C.F.v.Siemens Stiftung, mit Michael Köhler, Deutschlandfunk 11. April 2023, 9.53 Minuten Audio-Version (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im November 2024. Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Siemens Stiftung im Überblick. In: Siemens Stiftung. Abgerufen am 8. September 2025 (deutsch).
- ↑ Isabel Pfeiffer-Poensgen ist neue Geschäftsführerin der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. (PDF) Abgerufen am 4. Oktober 2023.
- ↑ Organisation. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Förderung. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Veranstaltungen. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Reihe »Themen«. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Bibliotheksförderung. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Gastveranstaltungen. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Gumin Preis für Mathematik. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ siehe Bestand der Reihe in der Deutschen Nationalbibliothek unter https://d-nb.info/011468696
- ↑ 1985–2022. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Die „Neue Rechte“ und die Carl Friedrich von Siemens Stiftung. 2. März 2023, abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ a b Rudolf Stumberger: Geldwerte Geheimnisse. In: junge welt. 27. Mai 2023, abgerufen am 27. Mai 2023.
- ↑ a b Jürgen Kaube: "Eklat bei der Siemens Stiftung: Maximales Fiasko". In: FAZ.NET. 27. Februar 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Februar 2023]).
- ↑ Carl Schmitt, Armin Mohler, Irmgard Huhn, Piet Tommissen: Carl Schmitt – Briefwechsel mit einem seiner Schüler. Akademie Verlag, 1995, S. 422, Fußnote 518
- ↑ Wirklichkeit als Tabu : Anmerkungen zur Lage / herausgegeben von Armin Mohler, auf catalogue.nla.gov.au
- ↑ Renate Schostack: Ein Oxford in München. Siemens-Stiftung: Vorträge für ein erlesenes Publikum. In: FAZ. 4. April 1989.
- ↑ Gustav Seibt über Salvatore Settis, FAZ, 20. Mai 1992; Klaus Bennert über Jean Starobinski, SZ, 7. Dezember 1992; Clemens Pornschlegel über François Furet, SZ,3./4. Februar 1996; Renate Schostack über John M. Coetzee, FAZ, 19. März 2001; Ijoma Mangold über Hans Ulrich Gumbrecht, SZ, 5. Juni 2003; Jürgen Kaube über Michael Theunissen, FAZ, 26. Mai 2004; Uwe Justus Wenzel über Ernst-Wolfgang Böckenförde, NZZ, 30. Oktober 2006; Patrick Bahners über Robert Pippin, FAZ, 27. Januar 2010; Patrick Bahners über Brendan Simms, FAZ, 30. März 2011; Johan Schloemann über Giorgio Agamben, SZ, 16. Mai 2012; Patrick Bahners über David Wellbery, FAZ, 17. Januar 2017.
- ↑ Geschichte. Abgerufen am 17. Februar 2023.
- ↑ Revisionismus als Versuchung | Blätter für deutsche und internationale Politik. Abgerufen am 18. Mai 2025.
- ↑ Osteuropa-Programm. Abgerufen am 17. Februar 2023.
- ↑ Selbstverständnis. Abgerufen am 17. Februar 2023.
- ↑ Jörg Häntzschel: Carl Friedrich von Siemens Stiftung: Einigung vor Gericht. 12. April 2023, abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Presse. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ a b c Institut für Zeitgeschichte: Projekt. Abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Stefan Dworschak: Revolution in Nymphenburg? In: DIE STIFTUNG. 10. März 2025, abgerufen am 8. September 2025.
- ↑ Stefan Dworschak: Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung: Stefan Fritz neuer kaufmännischer Vorstand. In: DIE STIFTUNG. 15. Mai 2025, abgerufen am 18. Mai 2025.
- ↑ a b c Felix Stephan, Jörg Häntzschel: Dubiose Vorgänge in der Münchner Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung. Abgerufen am 18. April 2023.
- ↑ Offener Brief Siemens.pdf. Abgerufen am 18. April 2023.
- ↑ a b Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung | "Weiterarbeiten wie bisher", auf sueddeutsche.de, abgerufen am 26. April 2023
- ↑ Anna-Lena Scholz: Wie viel Champagner ist angemessen? Die Zeit, 8. März 2023.
- ↑ a b Jahresbericht 2005-2020. (PDF) CFvSStiftung, 2022, abgerufen am 18. April 2023.
- ↑ deutschlandfunk.de: Siemens-Stiftungsdirektor Marcel Lepper entlassen. Abgerufen am 28. Februar 2023.
- ↑ Jörg Häntzschel: Historiker Norbert Frei in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. 23. Juni 2023, abgerufen am 8. September 2025.
