CIDOSA

Die Compañía Industrial de Orizaba S.A. (dt. ‚Industriegesellschaft von Orizaba AG‘), abgekürzt CIDOSA, war von 1892 bis 2006 eine mexikanische Textilfabrik mit Sitz in Río Blanco. Bei ihrer Eröffnung galt sie als die größte Textilfabrik Lateinamerikas, die 25 Prozent der mexikanischen Textilproduktion verantwortete.[1][2]
Geschichte

Die CIDOSA wurde am 28. Juni 1889 unter anderem von dem Amerikaner Tomás Braniff († 1904)[3] gegründet, der auch die 1872 eröffnete Eisenbahnstrecke zwischen Mexiko-Stadt und Veracruz (Ferrocarril Mexicano) erbaut hatte. Weitere Beteiligte an der Aktiengesellschaft waren Geschäftsmänner wie der Franzose Jean Baptiste Ebrard. Die CIDOSA hatte das Ziel auf einem Gelände von rund 180.000 Quadratmetern eine Spinnerei und Weberei für Baumwollfasern zu errichten.[4] Das seinerzeit noch ländliche Gebiet bot nicht nur ausreichend Platz für die Fabrik selbst, sondern auch für etwa 1.100 Häuser, die für die 1.700 Angestellten (darunter 60 Frauen) errichtet wurden, sowie soziale Einrichtungen wie Schulen, eine Kirche und ein Theater, Parks und öffentliche Grünanlagen.[1]
Die 71.000 Quadratmeter[4] umfassenden Fabrikgebäude wurden mit Stein aus dem nahegelegenen Steinbruch Santa Catarina und einer Gusseisenkonstruktion aus Europa nach dem Prinzip von Gustave Eiffel erbaut. Am 9. Oktober 1892 wurde die Fabrik vom mexikanischen Präsidenten Porfirio Diaz eingeweiht.[1] Sie umfasste 1.650 Webstühle und galt als führend auf dem Gebiet des Bleichens und Bedruckens von Stoffen.[2][5]
Ab 1900 verschlechterten sich die Arbeitsbedingungen: Ein Arbeitstag dauerte 14 Stunden, fehlerhafte Textilien reduzierten den Arbeitslohn und Lebensmittel mussten im überteuerten Geschäft der Fabrik gekauft werden. Río Blanco wurde schon bald zum Brennpunkt der mexikanischen Arbeiterbewegung. 1903 gründete sich mit dem Círculo de Obreros Libres (dt. ‚Kreis der freien Arbeiter‘) einen Betriebsrat.[3] Zwischen der einheimischen Arbeiterschaft und den Unternehmensinhabern kam es zu zahlreichen Konflikten, die am 7. Januar 1907 während eines Streiks zu mehreren Toten führten.[2] Am 8. November 1915 gründete sich die Gewerkschaft CROC.[6] Diese Unruhen gelten als Vorläufer der mexikanischen Revolution.[2]
CIDOSA übernahm im Laufe ihrer Geschichte die Fabriken San Lorenzo in Nogales (1883 von Tomás Braniff gegründet[7]), Los Cerritos (1881 von Enrique L. Wiechers gegründet)[3] und Cocolapan in Orizaba, die Wasserkraftwerke Santa Gertrudis, Río Grande und Boquerón sowie Stromwerke, was die CIDOSA zu einem der größten Konsortien Mexikos machte.[8][9]
1993 erwarb der Geschäftsmann und Chemieingenieur Juan Mata González das CIDOSA-Konsortium von der Familie Aja del Valle für 770 Millionen Pesos, nachdem es 1992 zu Streiks wegen der Tarifverträge gekommen war.[10] Die CIDOSA wurde in der Folge in Industrias Pino de Orizaba S.A. umbenannt. Mata machte die Weiterbeschäftigung der Mitarbeitenden von ihrem Austritt aus der Gewerkschaft abhängig.[11] 2003 wurde Mata Gonzáles wegen Steuerhinterziehung festgenommen.[10] Die Fabrik San Lorenzo ging daraufhin in den Besitz der 450 Arbeiter über, die Mata Gonzáles erfolgreich wegen fehlender Lohnzahlungen verklagt hatten. Cocolapan und Los Cerritos hatten bereits den Betrieb eingestellt. Los Cerritos ging in den Besitz der Regierung von Orizaba über, die das Gebäude in einen Markt umwandelten. Die CIDOSA-Fabrik in Río Blanco, die zwischenzeitlich in Plamat (nach Plácido Mata, einem Vorfahren von Mata Gonzáles) umbenannt worden war, arbeitete nur noch unter Schwierigkeiten.[10] 2006 stellte die Industrias Pino de Orizaba S.A. die Produktion ein, mit ihr verschwand auch die historische Gewerkschaft.[3]
Die Gebäude der CIDOSA-Fabrik in Río Blanco sind teilweise erhalten und weiterhin für verschiedene Zwecke in Benutzung.[4][12]
Sonstiges
Die CIDOSA stellte auch eine Fußballmannschaft, die in den Spielzeiten 1936/37 und 1939/40 die Staatsmeisterschaft von Veracruz gewann und somit die in diesem Wettbewerb erfolgreichste Mannschaft der Stadt stellte.
- siehe auch: Fußball in Orizaba
Weblinks
- Historisches Foto der Fabrik um 1900 auf memoricamexico.gob.mx (spanisch)
- Historisches Foto der Fabrik und Wohnhäuser um 1905 auf memoricamexico.gob.mx (spanisch)
- Filmbeitrag über den Streik von Río Blanco von der Comisión Nacional de los Derechos Humanos auf youtube.com (spanisch)
Einzelnachweise
- ↑ a b c Río Blanco ( vom 4. März 2016 im Internet Archive) auf guiarte.com. Abgerufen am 30. Januar 2025 (spanisch).
- ↑ a b c d Reyna Paz Avendaño: El odio de los trabajadores de Río Blanco no fue a Porfirio Díaz, sino al tendero de raya, al supervisor: Garciadiego. In: cronica.com.mx. 1. Mai 2022, abgerufen am 30. Januar 2025 (spanisch).
- ↑ a b c d Jessica Ignot: Cocolapan: gloria y prosperidad. In: Diario El Mundo. 3. August 2020 (archive.org [abgerufen am 31. August 2025]).
- ↑ a b c Rio Blanco Textile Factory. In: svn-ap.com. Abgerufen am 30. Januar 2025 (englisch).
- ↑ Enrique Canudas Sandoval: Las venas de plata en la historia de México. Editorial Utopía, Mexiko-Stadt, Erstausgabe, ISBN 970-94243-2-7 Volumen II, S. 1128
- ↑ Patricia Vega: Mata y la CROC acabaron con el histórico sindicato de Río Blanco. In: jornada.com.mx. 6. Mai 1997, abgerufen am 31. August 2025 (spanisch).
- ↑ Patricia Vega: 451 obreros, legítimos dueños de la fábrica textil de San Lorenzo. In: jornada.com.mx. 7. Mai 1997, abgerufen am 31. August 2025 (spanisch).
- ↑ Bernardo García: Migraciones internas a Orizaba y formación de la clase obrera en el Porfiriato in Victoria Novelo (Hrsg.): Historia y cultura obrera. Instituto de Investigaciones Dr. José María Luis Mora, Mexiko-Stadt 1999, ISBN 968-6914-91-9, S. 107
- ↑ Luis Everaert Dubernard, Elsa Chabaud, Aurelio Rodríguez Villa, Mario Salas: Centenario, 1889-1989 : Compañia Industrial de Orizaba, S.A. Salvat Mexicana Eds., Querétaro 1990
- ↑ a b c Detienen a empresario por defraudar al fisco. In: orizabaenred.com.mx. 20. Juni 2003, abgerufen am 31. August 2025 (spanisch).
- ↑ Patricia Vega: Mata y la CROC acabaron con el histórico sindicato de Río Blanco. In: jornada.com.mx. 6. Mai 1997, abgerufen am 31. August 2025 (spanisch).
- ↑ Résidence artistique dans l'usine textile emblématique: Une aventure entre métiers à tisser et émoti. In: roninpr.co. 6. Juli 2023, abgerufen am 30. Januar 2025 (englisch).