Bild-Lilli

In der ersten Ausgabe der Boulevardzeitung Bild am 24. Juni 1952 wurde ein Cartoon des Zeichners Reinhard Beuthien veröffentlicht, der die Überschrift „Lilli“ trug. Eigentlich nur als Lückenfüller für diese Ausgabe geplant, wurde die junge, schlanke Frau mit blondem Pferdeschwanz und frechen Sprüchen zur festen Kolumne und bereits ab 1953 populäre Werbefigur der Bild. 1955 beauftragte Bild die Spielzeugfabrik O. & M. Hausser in Neustadt bei Coburg mit der Anfertigung einer Lilli Puppe, modelliert von Max Weißbrot. 1958 kam ein Spielfilm mit dem Titel „Lilli – ein Mädchen aus der Großstadt“ in die Kinos.[1]

Ruth Handler, Mitbegründerin der Spielwarenfirma Mattel, entdeckte die Lilli Puppe von O. & M. Hausser bei einer Europareise in einem Laden in der Schweiz. Sie wurde zum Vorbild für Barbie.[2]

Die Geschichte des Comics

Auf Seite 2 der allerersten Ausgabe der BILD befand sich eine Leerstelle. Obwohl die Drucker dringend ihre Arbeit beginnen wollten, fehlte eine einspaltige Meldung. In aller Eile wurde Zeichner Reinhard Beuthien beauftragt, die Lücke zu füllen. Für diesen Zweck hatte er bereits einen „Platzhalter“ entworfen. So konnten die Leser der ersten BILD am 24. Juni 1952 eine junge schlanke Frau mit blondem Pferdeschwanz sehen, die bei einer Wahrsagerin sitzt und fragt: „Können Sie mir nicht Namen und Adresse dieses reichen und gutaussehenden Mannes sagen?“ Über die Karikatur hatte Beuthien „Lilli“ geschrieben.

Die Zeichnung war sofort ein Erfolg und Beuthien fertigte von nun an täglich eine neue.

Lilli war eine typische Vertreterin der Nachkriegsgeneration zur Zeit des Wirtschaftswunders. Sie verdiente ihr eigenes Geld als Sekretärin, hatte aber keine Bedenken, sich von reichen Männern einladen zu lassen („Ich könnte ohne alte Glatzköpfe auskommen, aber meine Urlaubskasse nicht!“).

Der Humor entsprach dem Zeitgeist der 1950er. Ein von seiner selbstbewusst Angestellten genervter Chef („Da Sie so ärgerlich waren, als ich heute morgen zu spät kam, gehe ich heute abend pünktlich um fünf Uhr!“) und frivole Situationen, z. B. in ihrem Schlafzimmer vor dem Spiegel („Was für ein Jammer, dass dies im Winter unter dicker Skikleidung verschwindet!“) oder am Strand (zu einem Polizisten: „Zweiteilige Badeanzüge sind verboten? Na gut, welches Teil soll ich ausziehen?“) oder Partylaune („Der Sonnenaufgang hier ist so wunderschön, dass ich immer lange im Nachtclub bleibe, um ihn zu sehen!“).

Der letzte Comic mit Lilli erschien in der Ausgabe vom 5. Januar 1961.

Zwei Versuche der BILD, eine moderne Version von Lilli einzuführen, scheiterten nach kurzer Zeit – einmal 1989 (gezeichnet von John M. Burns) und zuletzt 2007 als „Lilly“ (gezeichnet vom Studio Ully Arndt).

Die Geschichte der Puppe Lilli

1953 beschloss die BILD-Zeitung, die Popularität der Lilli für Werbezwecke zu nutzen.

Nach dem Vorbild der Zeichnung war die Spielzeugfabrik O. & M. Hausser in Neustadt bei Coburg beauftragt worden, eine Puppe zu fertigen. Der Modelleur Max Weißbrodt nutzte dafür einen Prototyp aus Hartplastik. Es entstanden zwei Varianten, einmal rund 30 Zentimeter und einmal knapp 19 Zentimeter hoch. Die Preise für die Puppen lagen je nach Größe bei zwölf oder 7,50 Mark, ein stolzer Preis für damalige Verhältnisse. Lilli war eigentlich kein Spielzeug für Kinder, sondern eine Erwachsenenpuppe, die an Damen verschenkt werden sollten. Es wurden bis 1964 rund 300.000 Puppen produziert. In dieser Zeit gab es auch Kleidung und Zubehör zu kaufen.

Bekleidung und Zubehör

Die Puppe wurde bekleidet verkauft, aber es gab etwa 150 verschiedene zusätzliche Outfits, vom Bikini bis zum Pelzmantel. Diese spiegeln den Zeitgeist der 1950er Jahre wider – Lilli hatte für alle Gelegenheiten etwas Passendes anzuziehen. Sie besaß Cocktailkleider, Strandanzüge und ein Tennisröckchen neben zahlreichen Stücken für den Alltag wie Baumwollkleider, Pyjamas und Popelinekostüme. In den letzten Jahren bestand ihre Garderobe vorwiegend aus Trachtenröcken und Dirndln. Lillis Kleider können von denen anderer Modepuppen aus der Zeit an den fälschungssicheren, mit einer Spezialhandzange oder -presse angebrachten, Druckknöpfen unterschieden werden, die von dem deutschen Kurzwarenhersteller Prym stammen.[3][2]

Patente

O. & M. Hausser hielt drei Patente:

  1. Die Technik der Befestigung der Haare
  2. Der Kopf war schräg auf das Halsstück gesetzt, was ermöglichte, dass sie den Kopf verführerisch zur Seite neigen konnte,
  3. sie hielt die Beine parallel, wenn man sie hinsetzen wollte. Damalige Puppen spreizten die Beine beim Sitzen.

Produktion

Bei Hausser wurde die Lilli nur gegossen. Zusammengesetzt, bemalt und eingekleidet wurde sie bei Martha Maar, der Eigentümerin von 3M (Martha Maar Mönchröden), einer Verwandten von Hauser.

Auch die Kleidungsstücke wurden meist von ihr, später auch von ihrer Tochter Magdalena, entworfen und von ihren rund 20 Näherinnen angefertigt.[4]

Verkauf der Markenrechte

Ruth Handler entdeckte die Lilli Puppe in einem Geschäft in Luzern (Schweiz) während einer Europareise. Sie kreierte daraus eine amerikanische Modepuppe, der sie den Kosenamen ihrer Tochter gab. Im März 1959 feierte Barbie auf der Spielwarenmesse in New York ihr Debüt. Anfang 1964 erwarb Mattel offizielle das Copyright bzw. die Rechte an Lilli von der Greiner & Hauser GmbH für 30.000 DM.[5]

Trivia

Reinhard Beuthin kreierte 1961/62 die Comic-Serie "Schwabinchen" für die Münchner Abendzeitung. Auch von dieser Figur wurde von 3M eine Puppe entworfen, deren Produktion aber nach wenigen Jahre eingestellt wurde und heute sehr selten zu finden ist.[6]

Literatur

Es gibt kein Buch, das sich ausschließlich mit der Bild-Lilli befasst. Anders als Barbie wurde sie nur acht Jahre lang hergestellt und erreichte nie den ikonengleichen Status ihrer amerikanischen Nachfolgerin. Jedoch gibt es in mehreren Büchern über Barbie oder den deutschen Lebensstil der 1950er Jahre Kapitel, die der Bild-Lilli gewidmet sind.

  • Silke Knaak: Deutsche Modepuppen der 50er und 60er Jahre (German fashion dolls of the Fifties and Sixties); 2005. Keine ISBN. Enthält auch Informationen über Schwabinchen.
  • Dieter Warnecke: Barbie im Wandel der Jahrzehnte; Heyne 1995. ISBN 3-453-08738-0. Deutsch.
  • Wolfram Metzger (Hrsg.): 40 Jahre Barbie-World; Info Verlag 1998. ISBN 3-88190-229-5. Deutsch.
  • M. G. Lord: Forever Barbie: The Unauthorized Biography of a Real Doll; Avon Books 1995. ISBN 0-8027-7694-9. Englisch.
  • Rolf Hausser’s Story (Interview in der Zeitschrift „Barbie Bazaar“, Februar 2000). Englisch.
  • Peggy Gerling und Swantje Köhler: The Truth about Lilli – A Politically Correct Report about Germany’s most Famous Fashion Doll. In: Barbie Bazaar, Februar 1999. (In englischer Sprache)
  • Peggy Gerling und Swantje Köhler: Bild Lilli’s Outfits
    • Part I: Pants & Shorts. In: Barbie Bazaar, August 2001 (In englischer Sprache)
    • Part II: Evening Gowns, Casual Dresses & Skirts. In: Barbie Bazaar, Oktober 2001. (In englischer Sprache)
    • Part IIII: Beachwear and Sports. In Barbie Bazaar, April 2002. (In englischer Sprache)
    • Part IV: Sleepwear and Special Outfits. (Diese Folge konnte wegen interner Schwierigkeiten bei der Zeitschrift „Barbie Bazaar“ nicht mehr abgedruckt werden. Diese Folge ist gegen eine Schutzgebühr über den Swantje-Koehler-Verlag als CD erhältlich.)
  • Peter Isler, Schweiz: Lilli, Original Lilli-Kleider der 3-M-Puppenfabrik, 1. Auflage 2023. Keine ISBN. www.lilli-book.com

Einzelnachweise

  1. Vom Lückenfüller zum Superstar. Abgerufen am 31. August 2025 (deutsch).
  2. a b Stefanie Grossmann: Barbies Vorbild: Die "Bild-Lilli" aus Hamburg. In: ndr.de. Norddeutscher Rundfunk, abgerufen am 29. Juli 2023.
  3. Geschichte der Bild-Lilli, auf sammeln-sammler.de
  4. Bild-Lilli: Barbie vor der Barbiepuppe, auf vintage-flaneur.de
  5. Kunststoffpuppe "Bild-Lilli", auf museen.nuernberg.de
  6. Modepuppe "Schwabinchen", auf sammlung-online.lwl-freilichtmuseum-detmold.de