Beweismaß
Das Beweismaß beschreibt die Umstände, die vorliegen müssen, damit ein zu führender Beweis als erbracht gelten kann. Grundsätzlich verlangt das deutsche Recht in allen Prozessordnungen die Überzeugung des Gerichts, damit der Beweis einer streitigen Tatsache gelingt (§ 286 ZPO, § 261 StPO, § 37 FamFG, § 128 SGG, § 96 FGO, § 84 ArbGG). Dies wird der Vollbeweis genannt.[1] Nach diesen Vorschriften muss das Gericht nach freier Würdigung der Hauptverhandlung und der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangen, ob eine Tatsache für wahr zu erachten sei. Das Ziel der Beweiswürdigung und die Schwelle des Beweismaßes haben als Ziel die Ermittlung der Wahrheit.
Was Überzeugung bedeutet, hat der Bundesgerichtshof in der Anastasia-Entscheidung, ein Zivilrechtsstreit, folgendermaßen definiert: „Der Richter darf und muß sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.“[2] Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit darf das Gericht nicht verlangen. Einerseits würde damit der Anspruch an den Grad der Wahrscheinlichkeit überspannt, andererseits bliebe die notwendige persönliche Gewissheit außen vor.[2] Es gibt keine genaue Vorgabe für den Grad der Wahrscheinlichkeit. Eine erhebliche Wahrscheinlichkeit kann dabei schon genügen[3], eine hohe Wahrscheinlichkeit sollte aber wohl im Regelfall zumindest vorliegen.[4]
In bestimmten Konstellationen hat die Rechtsprechung Anscheinsbeweise entwickelt. Danach sei es erlaubt, von bewiesenen Tatsachen aufgrund von Erfahrungssätzen auf zu beweisende Tatsachen zu schließen, was der beweisbelasteten Partei die Beweisführung vereinfacht. Die rechtliche Einordnung ist nicht einheitlich geklärt. Teilweise wird vertreten, dass mit diesem rechtlichen Institut eine Reduzierung des Beweismaßes einhergeht.[5]
Das Beweismaß des Vollbeweises gilt nicht uneingeschränkt. So genügt eine hinreichende oder überwiegende Wahrscheinlichkeit, wenn eine Tatsache lediglich glaubhaft gemacht werden muss (§ 294 ZPO)[6] oder es nach § 287 ZPO lediglich um die Ermittlung eines Schadens geht.[7]
Wieder etwas anders liegen die Dinge beim Gegenbeweis, den der Gegner der beweisbelasteten Partei führt. Er hat bereits dann Erfolg, wenn erhebliche Zweifel an der Beweiskraft der Hauptbeweismittel begründet werden. Streng genommen ist dies aber keine eigenständige Beweismaßreduzierung. Denn in solchen Fällen wird der für den Vollbeweis (Hauptbeweis) nötige Grad an Gewissheit nicht erreicht.
Die Beweiswürdigung ist Sache des Gerichts, welches die Beweise erhebt.[8] Die Revisionsinstanz erhebt keinen Beweis und überprüft die Beweiswürdigung deshalb nicht umfassend selbst. Hinsichtlich des Beweismaßes wird aber überprüft, ob dieser korrekt erkannt wurde.[9]
Einzelnachweise
- ↑ BeckOK ZPO/Bacher, 57. Ed. 1.7.2025, ZPO § 286 Rn. 2.
- ↑ a b BGHZ 53, 245, abrufbar bei rewis.io.
- ↑ BGH Urt. v. 1.10.2019 – VI ZR 164/18, abrufbar bei openjur.de.
- ↑ BGH Urt. v. 19.1.1999 – 1 StR 171/98, abrufbar bei hrr-strafrecht.de.
- ↑ Saenger, Zivilprozessordnung, 10. Auflage 2023, ZPO § 263, Rn. 39; Musielak/Voit/Foerste, 22. Aufl. 2025, ZPO § 286 Rn. 24; a. A. MüKoZPO/Prütting, 7. Aufl. 2025, ZPO § 286 Rn. 46.
- ↑ BGHZ 156, 139, abrufbar bei openjur.de.
- ↑ BGHZ 221, 43, abrufbar bei openjur.de.
- ↑ BGH Urt. v. 19.7.2019 – V ZR 255/17, abrufbar bei openjur.de.
- ↑ BGH Urt. v. 1.10.2019 – VI ZR 164/18, abrufbar bei openjur.de.