Besinnungsweg Fellbach

Der Besinnungsweg Fellbach ist ein Skulpturenweg in Fellbach in Baden-Württemberg. Er beginnt am Rand von Fellbachs Stadtteil Oeffingen und führt über Felder und freie Landschaft zu einem Waldstück nördlich der Kreisstraße in Richtung Hegnach. Als Rundweg über neun Stationen (Stand 2022) ist der Weg ca. 6 km lang.
Projektbeschreibung
1999 wurde der Förderverein Besinnungsweg Fellbach e. V. gegründet, dessen Partner die Kirchen Fellbachs und die Stadt Fellbach sind. Schirmherr des Projekts ist Fellbachs ehemaliger Oberbürgermeister Friedrich-Wilhelm Kiel. Der Leitgedanke des Projekts ist es, Natur, Kunst, Religion und Philosophie zu verbinden. Dabei soll an zwölf Besinnungsorten jeweils eine künstlerische Arbeit stehen, die mit den beigefügten Zitaten zum Verweilen und Nachdenken anregt.[1]
Der Förderverein wählt renommierte, international bekannte Künstler aus, gemeinsam werden passende Standorte ausgewählt und biblische oder literarische Zitate besprochen, die in die geplante Skulptur einfließen.
„Trotz der Themen und der Bibelzitate ist der Besinnungsweg kein dezidiert kirchliches Projekt. ‘Mir ist es wichtig, dass der Besinnungsweg für alle Menschen da ist. Auch für diejenigen, die ‚nur’ kunstinteressiert sind’ (…).“
Neun[3] der zwölf Besinnungsorte sind realisiert. Die weiteren sollen in den nächsten Jahren entstehen. Das gesamte Projekt wird über Veranstaltungen, Spenden und Fundraising finanziert.
Werke des Skulpturenpfads
Void, 1985
Die Arbeit Void von wurde im Jahre 2007 aufgestellt. Sie kzentuiert den Beginn des Besinnungsweges. Es handelt sich um vier aufrecht stehende, sich nach oben verjüngende Granitplatten, die sich an den Kanten fast berühren. Die vier Innenseiten des Kunstwerks bilden einen unzugänglichen, nach oben offenen quadratischen Raum, der durch Spalten an den Kanten der Skulptur einsehbar ist. Die Arbeit symbolisiert eine mystische Vorstellung von Leere, die am Anfang der meisten Schöpfungsgeschichten steht.[4]
Zeit, 2001 (Lage)
Die Installation Zeit von Inge Mahn stellt eine überdimensionale Sonnenuhr dar und besteht aus einem steinernen Antoniuskreuz hinter einer Bank. Der Blick der Betrachtenden fällt auf sechs, in einiger Entfernung im Halbrund aufgestellte Steinsäulen, an denen der Lauf der Sonne ablesbar ist. Der Querbalken des Kreuzes markiert dabei die nordsüdliche Himmelsrichtung. Es geht bei diesem Werk nicht um die Ablesung der präzisen Uhrzeit, sondern um die verschiedenen Facetten von Zeit in ihrer Vielschichtigkeit.[4]
Freiheit, 2013 (Lage)
Die Skulptur Freiheit von Henk Visch zeigt in abstrahierter Form eine Tiergestalt, die aus einer Rohrkonstruktion gefertigt und auf einem Hügel aufgestellt ist. Aus der Ferne wirkt das Werk wie die Silhouette eines vierbeinigen Tieres mit erhobenem Kopf, bei näherer Betrachtung verliert sich jedoch die eindeutige Form. Damit verweist die Arbeit auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs „Freiheit“, der einerseits klar erscheint, bei genauerer Betrachtung jedoch vielfältige Deutungen zulässt.[4]
Frieden, 2017
Ausgangspunkt für das von Dani Karavan geschaffene Kunstwerk ist ein alter Weidenbaum. Von dort verläuft ein von Metallbändern eingefasster Streifen diagonal über die Fläche, der von einer Stahlbrücke unterbrochen wird. Auf beiden Seiten des Streifens wachsen unterschiedliche Nutzpflanzen, ergänzt durch eine Sonnenuhr, einen Kugelabschnitt sowie ein Gleisstück in Nord-Süd-Richtung. Die Gestaltung verweist auf die Vielfalt kultureller, nationaler oder ethnischer Gruppen. Die Brücke symbolisiert Aussöhnung und Frieden, ohne Aufgabe der eigenen Identität. Bezug nimmt die Arbeit auf das biblische Zitat aus Jesaja 11,6: „Dann wohnt der Wolf beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten.“ Das verlegte Gleisstück erinnert zugleich an die Shoa, deren Aufarbeitung für Karavans Werk zentral ist.[4]
Freizeit/Muße, 2016 (Lage)
Die Station Freizeit/Muße von Inges Idee zeigt einen Strommast, der von der üblichen Reihe abweicht und seitlich „entspannt“ dargestellt ist. Während benachbarte Masten weiterhin die Leitung tragen, wirkt dieser Mast, als habe er seine Funktion unterbrochen. Das Werk spielt mit der Metapher der modernen Leistungsgesellschaft: Es verweist auf die Rolle des Einzelnen im System und stellt Fragen nach Verantwortung, Selbstbestimmung und dem Platz von Muße im Alltag. Gleichzeitig erinnert der „ausruhende“ Mast an die Abhängigkeit von Energieversorgung sowie an die ökologischen und gesellschaftlichen Folgen des hohen Energiebedarfs.[4]
Erinnerung/Vergessen, 2009 (Lage)
Tamás Trombitás Werk besteht aus einer begehbaren Fläche mit quadratischen Granitplatten, in die Streifen aus Basalt eingelassen sind. Einige Platten ragen als Quader hervor und bilden ein Fragment einer Mauer. Die Basaltstreifen ergeben in einem vom Künstler entwickelten Alphabet ein Textfragment aus Psalm 90,10: „Unser Leben währet siebzig Jahr, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahr, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen.“ Das Werk verweist auf Vergänglichkeit und Erinnerung. Während die massiven Steinformen Beständigkeit und Dauer symbolisieren, deuten Lücken und Brüche in der Anlage auf Verlust und das Verblassen von Erinnerungen hin.[4]
Geborgenheit/Vertrauen, 2004
Die Arbeit von Jürgen Brodwolf besteht aus einem etwa fünf Meter langen Boot aus Cortenstahl, auf dem ein stark abstrahiertes Figurenpaar montiert ist. Das Werk wurde auf einer Wiese nahe dem Weg installiert und wirkt durch die Rostspuren des Materials wie ein Relikt aus vergangener Zeit. Die Anordnung erinnert an ein gestrandetes Boot, das von einer nicht mehr vorhandenen Wasserfläche zurückgelassen wurde. Laut Aussage des Künstlers symbolisiert das Figurenpaar in seiner offenen Form das Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit und Sicherheit in schützender Zweisamkeit, ohne dabei konkrete Zuschreibungen von Alter, Geschlecht oder Zeit festzulegen.[4]
Gott/Transzendenz, 2001 (Lage)
Die von Anatol Herzfeld geschaffene Station besteht aus einem mächtigen Granitfindling, in den ein abstrahiertes Gesicht gehauen ist. Die Skulptur, von Anatol als Gottsucher bezeichnet, ist auf einer Anhöhe platziert und blickt in Richtung der Oeffinger Kirchtürme. Das Werk stellt einen Bezug zwischen der über Jahrhunderte kultivierten Landschaft und den religiös geprägten Orten der Umgebung her. Die Entstehung erfolgte nicht im Atelier, sondern wurde vor Ort gemeinsam mit der Auswahl und Bearbeitung des Findlings sowie der Aufstellung der Skulptur realisiert, teilweise unter öffentlicher Beteiligung.[4]
Hier nicht, 2001
Die Station wurde gemeinsam mit der Skulptur Gottsucher von Anatol Herzfeld geschaffen. Ausgangsmaterial sind sogenannte Redwitziten, Gesteinsarten aus dem Fichtelgebirge. Die Arbeit zeigt in eingekerbten Zeichnungen archaisch anmutende Figuren bei der Feldarbeit. In Richtung der Kreisstraße ist in großen Lettern die Inschrift „'Hier nicht“ in den Stein geschnitten. Herzfeld versteht das Werk im politischen und ökologischen Kontext und bezieht damit Stellung gegen den geplanten Nord-Ost-Ring, ein Straßenbauprojekt mit potenziell schädlichen Folgen für die Landschaft. Wie bei allen von Joseph Beuys entwickelte „Arbeitszeit“-Projekten war die Herstellung Teil der Kunst: Die öffentliche Arbeit, die Kommunikation der Beteiligten und der unmittelbare Dialog flossen in das Werk ein.[4]
Demut, 2006 (Lage)
Begleitend schuf Robert Beerscht während einer Ausstellung eine weitere Skulptur, Der Bettler, die auf Anatols Wunsch im Sommer 2019 in unmittelbarer Nähe von Hier nicht aufgestellt und zusammen als Station Demut in den Besinnungsweg integriert werden sollte. Das Werk zeigt eine archaisch anmutende Figur und mahnt zur Bescheidenheit angesichts der Schöpfung und des göttlichen Wirkens, in Anlehnung an die Lebensäußerung Martin Luthers: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“[4]
Kind sein/Kreativität, 2010 (Lage)
Die Skulptur von Timm Ulrichs besteht aus einer rechteckigen roten Fläche mit den Maßen 300 × 770 cm, die durch Einschnitte und Faltungen zu einem begehbaren Haus mit Fenster, Tisch und zwei Sitzgelegenheiten geformt wurde. Je nach Blickwinkel wirken die unterschiedlichen Seiten der Skulptur verschieden: Während die geschlossene Fläche schwer und abweisend erscheint, wirken die Schmalseiten fragil, und die offene Breitseite lädt den Betrachter in den Innenraum ein. Das Haus scheint leicht über der Erde zu schweben, wobei ein Baum im Erdreich für Stabilität sorgt.
Die Arbeit thematisiert das kindlich spielerische Erforschen von Raum und Form. Die Falttechnik spiegelt das intuitive Abstrahieren und Kategorisieren wider, wie es in frühen kreativen Ausdrucksformen von Kindern vorkommt. Motive wie Haus, Baum und Mensch fungieren dabei als symbolische Chiffren für Heimat, Sicherheit und Familie.[4]
Schöpfung, 2006 (Lage)
Die Schöpfung von Micha Ullman besteht aus einer lebensgroßen Darstellung eines Baumes, der aus einer mächtigen Stahlplatte ausgesägt ist. Die Form des Baumes ist stark vereinfacht, sodass das Kunstwerk den Baum primär über seinen Schattenriss als Negativform wahrnehmbar macht. Die 18 m lange und ca. 9 m breite Platte liegt auf dem Boden, wobei Gräser und Kräuter durch die ausgeschnittenen Bereiche wachsen und so den Umriss des Baumes nachzeichnen. Das Werk symbolisiert das Prinzip von Werden und Vergehen in der Natur sowie die Einmaligkeit und Unwiederbringlichkeit eines Individuums innerhalb einer Gattung. Gleichzeitig verweist es auf die symbolische Bedeutung des Baumes, etwa als Lebensbaum oder Stammbaum, und wird so zu einer Metapher für Schöpfung, Individualität und das menschliche Leben.[4]
Schatten, 2019
Das zweite Werk von Micha Ullman, das am 19. Mai 2019 im Rahmen einer Feier der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, befindet sich auf dem Oeffinger Friedhof und greift das Motiv des zuvor für den Besinnungsweg geschaffenen Kunstwerks Schöpfung auf. Während Schöpfung den Baum über eine Negativform in einer Stahlplatte darstellt, wird bei Schatten der Baum aus den positiven Metallteilen der ursprünglichen Platte abgeleitet. Die Arbeit entstand aus einer mächtigen Stahlplatte, deren Umriss eines lebensgroßen Baumes ausgeschnitten wurde. Anders als bei Schöpfung, bei der die Form des Baumes durch den umgebenden Stahl definiert wird, entwickelt Schatten die Gestalt direkt aus der Baumform selbst. Schöpfung und Schatten bilden inhaltlich eine Klammer um die weltanschaulich geprägten Themen des Besinnungswegs, sie stehen für Werden, Vergehen, Erinnerung und thematisieren zugleich Fragen der Abbildung und Wahrnehmung. Schatten wurde am 19. Mai 2019 im Rahmen einer Feier der Öffentlichkeit vorgestellt und ist nicht als Besinnungsstation, sondern als Wegbegleiter konzipiert.[4]
Fotos (Auswahl)
-
Alfred Görig, Void -
Tamás Trombitás, Erinnerung/Vergessen -
Micha Ullman, Schöpfung -
Timm Ulrichs, Kind sein/Kreativität -
Henk Visch, Freiheit -
Inges Idee, Freizeit/Muße
-
Inge Mahn, Zeit (Detail) -
Robert Beerscht, Demut -
Dani Karavan, Frieden (Detail) -
Anatol Herzfeld, Gott/Transzendenz -
Micha Ullmann, Schatten -
Anatol Herzfeld, HIER NICHT
Literatur
- Besinnungsweg Fellbach – Menschen auf dem Weg. Ein themenbezogener Skulpturenweg. Hrsg.: Förderverein Besinnungsweg Fellbach e. V.
Weblinks
- Website des Förderverein Besinnungsweg Fellbach e. V.
- Zum Konzept des Besinnungswegs. Evangelische Landeskirche in Württemberg (mit drei Werkbeschreibungen und Fotos).
- Besinnungsweg Fellbach - Projektbeschreibung und Fotos. RegioErlebnis Rems-Murr.
Einzelnachweise
- ↑ Projektidee – „Menschen auf dem Weg“. ( vom 7. September 2015 im Internet Archive) Besinnungsweg Fellbach.
- ↑ Zitat bei einer Führung auf dem Besinnungsweg. Evangelische Landeskirche in Württemberg.
- ↑ Besinnungsweg Fellbach. Abgerufen am 21. Juli 2021.
- ↑ a b c d e f g h i j k l m Broschüre Besinnungsweg Fellbach, Fellbach Tourismus, Mai 2024