Wirtschaftspsychologie

Das Gebiet der Wirtschaftspsychologie (in einigen Kontexten auch Betriebspsychologie, Berufspsychologie oder Industriepsychologie genannt; engl. business psychology, Industrial and Organizational Psychology oder im britischen Raum occupational psychology) beschäftigt sich mit dem subjektiven Erleben und dem Verhalten von Menschen im ökonomischen Umfeld sowie den sozialen Zusammenhängen. Eine andere Definition zielt darauf, dass sie jenen Bereich der Psychologie wirtschaftlicher Sachverhalte umfasst, die sich nicht mit der Produktionsseite (Arbeits- und Organisationspsychologie), sondern mit der Konsumtionsseite befassen.[1]

Geschichte der Wirtschaftspsychologie

Die Wirtschaftspsychologie entwickelte sich in drei „Wellen“:

  • Hugo Münsterberg (1863–1916) gilt im deutschen Sprachraum als „Vater der Wirtschaftspsychologie“.[2][3] Er begründete mit seinem Buch Psychologie und Wirtschaftsleben (1912) die Arbeits- und Organisationspsychologie und setzte den Schwerpunkt auf eine empirisch-experimentell ausgerichtete Forschung.
  • Die zweite Welle wurde von George Katona (1951) in den USA und P.L. Reynaud (1954) in Frankreich angestoßen, die sich in erster Linie makroökonomischen Prozessen widmeten. Vor allem Reynaud betonte, wie wichtig Theorienbildung sei und kritisiert den „Warenhaus-Charakter“ der Wirtschaftspsychologie seiner Zeit.
  • Neben der anglo-amerikanischen „economic psychology“ in der Tradition von Katona hat sich im deutschen Sprachraum seit den 1980er Jahren eine Wirtschaftspsychologie entwickelt, die vornehmlich sozialpsychologische Erkenntnisse nutzt, um wirtschaftliches Verhalten zu erklären und vorherzusagen.[4]

Einsatzgebiete von Wirtschaftspsychologen

Das Berufsfeld der Wirtschaftspsychologie umfasst die interdisziplinäre Anwendung psychologischer Erkenntnisse auf wirtschaftliche Fragestellungen. Wirtschaftspsychologen verfügen über ein breites Spektrum an Einsatzmöglichkeiten. Typische Einsatzgebiete von Wirtschaftspsychologen liegen im Personalmanagement, in Marktforschung und Marketing, in Personal- und Unternehmensberatungen oder als selbständiger Berater, Trainer oder Coach.

Zu den Aufgabengebieten des Wirtschaftspsychologen zählen u. a.:

Anforderungen

Von Wirtschaftspsychologen wird ein breites Spektrum an Kompetenzen erwartet. Neben fundiertem psychologischem Fachwissen in allgemeiner, sozialer und Persönlichkeitspsychologie sind solide Kenntnisse in Methodenlehre und Statistik erforderlich. Gleichzeitig ist ein wirtschaftliches Grundverständnis von Bedeutung, insbesondere in den Bereichen Marketing, Human Resources oder Organisationsentwicklung. Darüber hinaus spielt die Fähigkeit zur klaren Kommunikation und zur Beratung eine zentrale Rolle, da Wirtschaftspsychologen oft zwischen verschiedenen Hierarchieebenen vermitteln. Auch analytisches Denken sowie der sichere Umgang mit quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden sind entscheidend. Flexibilität und Kreativität gelten als wichtige Eigenschaften, um den unterschiedlichen Anforderungen in Marktforschung, Change Management oder Coaching gerecht zu werden.[6]

Aufgabenbereiche

Die Aufgabenfelder in der Wirtschaftspsychologie sind vielfältig. Im Personalmanagement beschäftigen sich Wirtschaftspsychologen mit der Personalauswahl, der Entwicklung von Mitarbeiter sowie mit Coaching, Training und Weiterbildungsmaßnahmen. Auch die Begleitung von Organisationsentwicklungsprozessen und Change-Management-Initiativen gehört zu ihrem Tätigkeitsprofil. Im Marketing und in der Marktforschung analysieren sie das Verhalten von Konsument:innen, entwickeln Strategien zur Markenführung oder prüfen die Wirksamkeit von Werbemaßnahmen. In der Beratung übernehmen sie die Rolle von Unternehmensberatern, Coaches oder Trainern und unterstützen sowohl Einzelpersonen als auch ganze Organisationen dabei, effektiver und effizienter zu arbeiten.[7]

Studienangebote

Wirtschaftspsychologie ist ein Teilgebiet der angewandten Psychologie und kann an vielen Hochschulen studiert werden. Dabei gibt es entweder die Möglichkeit, Wirtschaftspsychologie als Schwerpunkt im Rahmen eines Psychologie-Studiums zu wählen oder Wirtschaftspsychologie an Fachhochschulen als eigenständigen Master/Bachelor-Studiengang zu belegen. Sowohl öffentliche als auch private Hochschulen bieten ein solches Studium in Vollzeit oder verschiedenen Formen des berufsbegleitenden Studiums an.[8]

Wirtschaftspsychologie wird, neben einer Vielzahl an Fachhochschulen, an den folgenden forschungsorientierten Universitäten angeboten:

Die Ausbildung in akkreditierten Hochschulen für Wirtschaftspsychologie umfasst eine fundierte Grundlagenausbildung in allgemeiner Psychologie, Sozial- und Persönlichkeitspsychologie sowie Methodenlehre und Statistik. Teilweise werden in wirtschaftspsychologischen Studiengängen zu gleichen Anteilen betriebswirtschaftliche und psychologische Inhalte gelehrt.

Angesichts großer Nachfrage an Akademikern mit psychologischer Zusatzausbildung werden auch Weiterbildungsstudiengänge zum Wirtschaftspsychologen angeboten. Diese reichen von einzelnen Seminaren über zertifizierte Curricula bis zu berufsbegleitenden Weiterbildungsstudiengängen auf Master-Niveau[15]. Sie bieten Menschen aus anderen Berufen wie Juristen, Wirtschaftswissenschaftlern, Informatikern oder Naturwissenschaftlern die Möglichkeit einer psychologischen Zusatzausbildung. In der Schweiz besteht unter bestimmten Bedingungen auch die Möglichkeit, dass Berufstätige ohne ersten akademischen Abschluss eine Hochschulweiterbildung zum Master of Advanced Studies absolvieren.

Im angelsächsischen Sprachraum (insbesondere den Vereinigten Staaten) werden Wirtschaftspsychologen meist als Wirtschaftswissenschaftler mit psychologischer Zusatzqualifikation ausgebildet.

Teilgebiete

Zu den großen Teilgebieten der Wirtschaftspsychologie zählen:

Eine eher volkswirtschaftlich orientierte Sichtweise ist die Psychologie gesamtwirtschaftlicher Prozesse.[25]

Siehe auch

Literatur

  • C. Fichter (Hrsg.): Wirtschaftspsychologie für Bachelor. Springer, Berlin 2018, ISBN 978-3-662-54944-5.
  • Lorenz Fischer (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie. Pabst Science Publishers, Lengerich ISSN 1615-7729.
  • P. Mehlich, T. Brandenburg, M. T. Thielsch (Hrsg.): Praxis der Wirtschaftspsychologie. Band III: Themen und Fallbeispiele für Studium und Praxis. Monsenstein und Vannerdat, Münster 2014, ISBN 978-3-95645-289-5.
  • E. M. Kirchler: Wirtschaftspsychologie. 3. Auflage. Göttingen 2003, ISBN 3-8017-1252-4.
  • B. Klauk, T. Stäudel (Hrsg.): Studienführer Wirtschaftspsychologie (Business Psychology). Pabst Science Publishers, Lengerich 2007, ISBN 978-3-89967-346-3.
  • K. Moser: Wirtschaftspsychologie. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-71636-5.
  • L. Pelzmann: Wirtschaftspsychologie. 4. Auflage. Wien u. a. 2006.
  • H. O. Schenk: Psychologie im Handel. 2. Auflage. München/ Wien 2007, ISBN 978-3-486-58379-3.
  • T. Stäudel, U. Günther: Die FH-Studiengänge Wirtschaftspsychologie haben sich bewährt. In: Wirtschaftspsychologie aktuell. 4, 2004, S. 60–65.
  • L. von Rosenstiel, F. W. Nerdinger: Grundlagen der Organisationspsychologie. 7. Auflage. Stuttgart 2011.
  • G. Wiswede: Einführung in die Wirtschaftspsychologie. 4. Auflage. München/ Basel 2007, ISBN 978-3-8252-8090-1.

Einzelnachweise

  1. Gebietsüberblick Wirtschaftspsychologie (Memento vom 7. Januar 2016 im Internet Archive) In: DORSCH Lexikon der Psychologie.
  2. Dorsch, 1994.
  3. G. Wiswede: Wirtschaftspsychologie. 4. Auflage. Stuttgart 2007, S. 15.
  4. C. Graf Hoyos et al. 1987.
  5. T. Melles: Tätigkeitsfelder von Psychologen in der institutionellen Marktforschung. In: T. Brandenburg, M. T. Thielsch (Hrsg.): Praxis der Wirtschaftspsychologie: Themen und Fallbeispiele für Studium und Praxis. Monsenstein und Vannerdat, Münster 2009, S. 27–42. (PDF (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive))
  6. Karriere mit Wirtschaftspsychologie? – Studieninhalte & Berufe. Abgerufen am 7. September 2025 (deutsch).
  7. Was macht ein Wirtschaftspsychologe? Abgerufen am 7. September 2025.
  8. www.wirtschaftspsychologie.com Abschnitt Studienformen, zuletzt gesehen am 7. November 2016
  9. Wirtschaftspsychologie (Master) - Universität Bremen. Abgerufen am 7. September 2025 (deutsch).
  10. Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie, Master 1-Fach. Abgerufen am 7. September 2025.
  11. M.Sc. Psychologie - Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft. Abgerufen am 7. September 2025.
  12. Katholische Universität Eichstätt- Ingolstadt: Business & Psychology MSc. Abgerufen am 7. September 2025.
  13. Sozialökonomik. 8. August 2023, abgerufen am 7. September 2025.
  14. Minor Wirtschaftspsychologie. Abgerufen am 7. September 2025.
  15. Wirtschaftspsychologie-Studium: Lukratives Geschäft für die Privathochschulen. In: WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE. 19. November 2020, abgerufen am 3. Dezember 2020 (deutsch).
  16. H. Schuler (Hrsg.): Lehrbuch der Personalpsychologie. Hogrefe, Göttingen 2006.
  17. A. B. Weinert: Organisations- und Personalpsychologie. 5. Auflage. Beltz, Weinheim/ Basel 2004.
  18. G. Felser: Werbe- und Konsumentenpsychologie. Spektrum, Heidelberg 2001.
  19. Journal of Economic Psychology. (elsevier.com [abgerufen am 12. November 2018]).
  20. K. Moser: Wirtschaftspsychologie. Berlin 2007.
  21. G. Wiswede: Wirtschaftspsychologie. 4. Auflage. München/ Basel 2007, S. 267.
  22. Liebel 1978.
  23. O. Neuberger: Führen und führen lassen. UTB, Stuttgart 2002.
  24. D. Frey, L. von Rosenstiel, C. G. Hoyos (Hrsg.): Wirtschaftspsychologie. Beltz PVU, Weinheim 2005.
  25. Kirchler 1995.