Azraqiten

Die Azraqiten (arabisch أزارقة, DMG Azāriqa) waren eine extreme charidschitische Sekte, die sich in den 680er Jahren in Basra herausbildete und später mit großer Brutalität gegen andersgläubige Muslime im Irak und im südlichen Iran vorging. Sie konnte erst 698 vernichtet werden.

Geschichte

Abū Rāschid Nāfiʿ ibn Azraq, nach dem die Sekte benannt ist, gehörte zu denjenigen Charidschiten, die 683 zunächst ʿAbdallāh ibn az-Zubair unterstützten und zu ihm nach Mekka zogen, sich dann aber von ihm lossagten, als sie erkannten, dass er ihre politischen Auffassungen nicht teilte. Als Ibn Zubair noch im gleichen Jahr einen Gouverneur in Basra einsetzen wollte, entschlossen sich Ibn al-Azraq und seine Anhänger zum Kampf. Sie zogen sich nach al-Ahwāz zurück und brachten diese Stadt und ihr Hinterland unter ihre Kontrolle, darunter auch die Provinzen Fars und Kerman, wobei sie Ibn az-Zubairs dortige Gouverneure töteten.[1]

Ibn al-Azraq wurde zwar schon 685 im Kampf getötet,[2] doch weigerten sich seine Anhänger, den Kampf aufzugeben, und zogen sich mit einer großen Anzahl nach Osten, in die Provinz Chusistan, zurück. Von dort aus zogen sie plündernd und brandschatzend durch das Hinterland von Basra Muslime, die in ihren Ansichten von ihnen abwichen oder die sich weigerten, ihnen zu folgen, wurden einschließlich ihrer Kinder und Frauen getötet. Diese Praxis wurde Istiʿrāḍ genannt. Nur diejenigen wurden verschont, die die Azraqiten aktiv unterstützten.

Der südarabische Heerführer Al-Muhallab ibn Abī Sufra, den Musʿab ibn az-Zubair 686 für das mekkanische Kalifat gewonnen hatte, konnte zwar die Umgebung von Basra von den Azraqiten befreien, doch zogen sich diese in den Iran zurück und setzten dort ihre Umtriebe fort. Als sie 687 Isfahan belagerten, konnte sie der dortige zubairidische Gouverneur ʿAttāb ibn Warqā' durch einen überraschenden Ausfall in die Flucht schlagen. Ihr neuer Anführer wurde Qatarī ibn al-Fudschāʿa, ein Krieger aus Luristan, der sich von ihnen als „Befehlshaber der Gläubigen“ (amīr al-muʾminīn) titulieren ließ.[3] Durch eine Kombination aus wilder Energie und außergewöhnlichem Talent als Redner und Dichter konnte er die Begeisterung der Azraqiten neu entfachen und ihre Reihen neu organisieren.[2] So zogen die Azraqiten schon bald wieder gegen den Irak. Die Lage änderte sich erst, nachdem die Umayyaden 691 die Herrschaft im Irak übernommen hatten. Der neue Statthalter des Irak al-Haddschādsch ibn Yūsuf bestätigte Muhallab in seinem Amt und beauftragte ihn erneut mit der Bekämpfung der Azraqiten. Er konnte die Sekte 698 vernichtend schlagen, als sie durch innere Spaltungen bereits geschwächt war.[4]

Lehren

Die wichtigsten Lehren, durch die sich Nāfiʿ ibn Azraq und seine Anhänger auszeichneten, waren nach asch-Schahrastānī acht:

  1. Sie lehrten, dass ʿAlī ibn Abī Tālib, ʿUthmān ibn ʿAffān, Talha ibn ʿUbaidallāh, az-Zubair ibn al-ʿAuwām, ʿĀ'ischa bint Abī Bakr, ʿAbdallāh ibn ʿAbbās und die übrigen Gläubigen, die bei ihnen waren, Ungläubige gewesen seien und ewig in der Hölle bleiben würden.
  2. Sie erklärten die „Sitzenbleiber“ (qaʿada), also diejenigen Charidschiten, die nicht kämpfen und nicht die Hidschra zu ihnen vollziehen wollten, zu Ungläubigen und übten ihnen gegenüber Barā'a, obwohl sie mit ihnen religiös übereinstimmten.
  3. Sie erklärten das Töten der Kinder und Frauen andersdenkender Muslime für erlaubt.
  4. Sie schafften die Steinigung als Bestrafung für Zinā und die Hadd-Strafe für denjenigen, der einen ehrbaren Mann fälschlich des Zinā beschuldigte, ab, mit dem Argument, dass diese Strafen nicht im Koran erwähnt sind, hielten aber an der Strafe für denjenigen, der eine ehrbare Frau in solcher Weise beschuldigte, fest.
  5. Sie urteilten, dass die Kinder der Beigeseller zusammen mit ihren Eltern in die Hölle kommen
  6. Sie meinten, dass die Taqīya in Wort und Tat unzulässig ist.
  7. Sie hielten es für möglich, dass Gott einen Propheten sendet, von dem er weiß, dass er zwangsläufig gottlos werden wird oder der es schon vor seiner Sendung war
  8. Sie waren der Meinung, dass derjenige, der eine schwere Sünden begehe, zum Ungläubigen wird, so dass er aus dem Islam herausfällt und mit den Ungläubigen auf ewig in die Hölle kommt.[5]

Literatur

Arabische Quellen

  • Abū l-Ḥasan al-Ašʿarī (gest. ca. 935): Kitāb Maqālāt al-islāmīyīn wa-ḫtilāf al-muṣallīn. Ed. Hellmut Ritter. 2. Aufl. Franz Steiner, Wiesbaden 1963. S. 86–89. Digitalisat
  • aš-Šahrastānī (gest. 1153): al-Milal wa-n-niḥal. Ed. William Cureton. Society for the Publication of Oriental Texts, London 1842. Bd. I, S. 89–91. Digitalisat. – Deutsche Übersetzung von Theodor Haarbrücker unter dem Titel Religionspartheien und Philosophen-Schulen. Halle 1850–1851. Bd. I, S. 133–136. Digitalisat

Sekundärliteratur

Belege

  1. aš-Šahrastānī: al-Milal wa-n-niḥal. 1842, Bd. I, S. 89. – Deutsche Übersetzung Haarbrücker Bd. I, S. 133.
  2. a b Rubinacci: “Azāriḳa”. 1960, S. 810b.
  3. aš-Šahrastānī: al-Milal wa-n-niḥal. 1842, Bd. I, S. 90. – Deutsche Übersetzung Haarbrücker Bd. I, S. 134.
  4. Rubinacci: “Azāriḳa”. 1960, S. 810f.
  5. aš-Šahrastānī: al-Milal wa-n-niḥal. 1842, Bd. I, S. 90f. – Deutsche Übersetzung Haarbrücker Bd. I, S. 134–136.