Anise Postel-Vinay

Anise Postel-Vinay, geborene Denise Angèle Girard, (* 12. Juni 1922 im 16. Arrondissement[1] von Paris; † 24. Mai 2020 in Paris[2]) war eine französische Résistance-Kämpferin.

Leben

Denise Angèle Girard, mit Rufnamen Anise, zusammengezogen aus den beiden Vornamen, war die Tochter des Hals-Nasen-Ohren-Arztes Louis-Lucien Girard, der bereits im Ersten Weltkrieg als Arzt gearbeitet hatte, und der Germaine Riss[2]. Anise Girard gehörte der nicht-konfessionellen, „neutralen“ Sektion der Pfadfinderinnen-Organisation Fédération française des éclaireuses[3] an. Sie absolvierte ihr Baccalaureat im Lycée Molière[4] in Paris und studierte anschließend Germanistik an der Sorbonne[2].

Mit 19 Jahren wurde sie in das Réseau Gloria des Secret Intelligence Service[2][5] aufgenommen. Ihre Aufgabe war es insbesondere, die Positionen deutscher Bunker in der Umgebung von Paris auszukundschaften[6]. Die Informationen wurden ins Englische übersetzt, fotografiert, miniaturisiert und in Streichholzschachteln[2] nach London gesandt. Anise Girard erfuhr später, dass „dieser Kamerad, der so gut Englisch sprach, der übersetzte und die Dokumente dem Fotografen übermittelte, Samuel Beckett war“[3].

Am 15. August 1942 wurde Anise Girard im Alter von 20 Jahren wegen ihrer Widerstandsaktivitäten verhaftet[6] und zum Pariser Sitz der Gestapo in die Rue des Saussaies 11 gebracht. Anschließend wurde sie im Gefängnis La Santé inhaftiert und später in das Gefängnis Fresnes[2] überstellt, wo sie ein Jahr lang einsaß, bevor sie mit dem am 21. und 28. Oktober 1943 von Paris abgehenden Transport I.146 über Aachen in das KZ Ravensbrück deportiert wurde[7]. Sie erhielt die Häftlingsnummer 24562[7]. Im Deportationszug lernte sie die Ethnologin Germaine Tillion[8] kennen sowie im Lager Geneviève de Gaulle[2] und blieb mit beiden in Verbindung. Beschäftigt wurde sie in der „Pelzwerkstatt“, wo sie die Pelzfutter von den Mänteln von Deportierten zu trennen hatte, um eventuell eingenähte Wertgegenstände aufzufinden[2].

Am 23. April 1945 wurde Anise Girard vom Schwedischen Roten Kreuz[2] befreit. Bei ihrer Rückkehr nach Paris erfuhr sie vom Tod ihrer Schwester Claire Girard. Ihr Bruder hatte das KZ Buchenwald überlebt, ihr Vater das KZ Mittelbau-Dora.

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Anise Girard heiratete am 6. Juni 1946 den hohen Beamten André Postel-Vinay, der ebenfalls Widerstandskämpfer gewesen war und als Compagnon de la Libération ausgezeichnet wurde[9]. Sie bekamen zusammen vier Kinder: den Journalisten Olivier Postel-Vinay, Daniel Postel-Vinay, die Historikerin Claire Andrieu und Cyril Postel-Vinay[10]. Anise führte nun den Namen ihres Mannes.

Sie nahm an Aktivitäten der Organisationen ehemaliger Deportierter teil, vor allem des ADIR, dessen Generalsekretärin sie wurde[11]. Außerdem beteiligte sie sich an drei Publikationen Germaine Tillions über das KZ Ravensbrück, insbesondere Ravensbrück und Une opérette à Ravensbrück[12]. Mit anderen gründete sie die Vereinigung Germaine Tillion und war deren erste Generalsekretärin. Sie betätigte sich für die Vereinigung zur Untersuchung der Morde durch Gas unter dem nationalsozialistischen Regime (Association pour l’étude des assassinats par gaz sous le régime national-socialiste [ASSAG]).

Anise Postel-Vinay nahm an den Staatsakten zur Beisetzung von Germaine Tillion, Geneviève de Gaulle-Anthonioz, Pierre Brossolette und Jean Zay am 27. Mai 2015 im Panthéon teil. François Hollande erwähnte sie zu diesem Anlass in seiner Rede[13] und nannte sie eine „femme sublime“ und Schwester im Leiden und in der Hoffnung („sœur de souffrance et d’espérance“) der beiden im Panthéon beigesetzten Widerstandskämpfer[2].

2015 veröffentlichte Postel-Vinay einen autobiographischen Bericht, der die Erlebnisse ihrer Deportation schildert, unter dem Titel Vivre in Zusammenarbeit mit Laure Adler[2].

Publication

Auszeichnungen

  • Anise Postel-Vinay wurde als « Déportée résistante » ausgezeichnet[14].
  • Médaille de la Résistance française (décret du 25 avril 1946)[15]

Hommage

Ausstellung

Anise Postel-Vinay gehört zu den 16 Frauen, deren Weg im Rahmen der von den Archives nationales organisierten Ausstellung « Déportées à Ravensbrück, 1942–1945 » vom 3. Februar bis zum 16. Juni 2023 in Pierrefitte-sur-Seine dargestellt wurde.[16]

Literatur

  • Dominique Missika: Résistantes 1940–1944. 2021, ISBN 978-2-07-294029-3, S. 55–56 (269 S.).

Einzelnachweise

  1. Germaine Tillion,  » Verfügbar » à Ravensbrück. Abgerufen am 1. Mai 2015.
  2. a b c d e f g h i j k Antoine Flandrin: La résistante Anise Postel-Vinay est morte. In: Le Monde. 27. Mai 2020 (französisch, lemonde.fr [abgerufen am 2. Juni 2020]).
  3. a b Vivre, Anise Postel-Vinay, Laure Adler, Grasset, 2015
  4. Bulletin 2021 de l’Association amicale des anciens et anciennes élèves du lycée Molière, 2021, S. 18–19
  5. Titres, homologations et services pour faits de résistance - Mémoire des hommes. Abgerufen am 25. September 2023.
  6. a b Dominique Missika, Résistantes 1940–1944, 2021, 269 S. ISBN 978-2-07-294029-3, S. 55–56
  7. a b Fondation pour la mémoire de la déportation: Liste du convoi I.246 parti de Paris les 21 et 28/10/1943 via Aix-la-Chapelle. Abgerufen am 25. September 2023.
  8. Alicia Paulet: Anise Postel-Vinay : «Germaine Tillion était une personne généreuse». In: Le Figaro. 27. Mai 2015 (lefigaro.fr [abgerufen am 2. Juni 2020]).
  9. Laurent Douzou: André Postel-Vinay. In: Le Monde. 20. Februar 2007 (lemonde.fr [abgerufen am 2. Juni 2020])..
  10. Biographie André Postel-vinay Inspecteur général des finances honoraire. Abgerufen am 30. Mai 2020.
  11. Anne-Marie Pavillard: Les archives de l'Association nationale des déportées et internées de la Résistance (ADIR) à la BDIC. In: Histoire@Politique. 5. Jahrgang, Nr. 2, 2008, S. 10 (cairn.info [abgerufen am 2. Juni 2020])..
  12. Cathrine Viollet: Germaine Tillion, Le Verfügbar aux Enfers. Une opérette à Ravensbrück, 2005. In: Genesis (Manuscrits-Recherche-Invention). 27. Jahrgang, 2006, S. 185–187 (persee.fr [abgerufen am 2. Juni 2020])..
  13. 27 mai 2015 : le discours de François Hollande au Panthéon. 28. Mai 2015, abgerufen am 30. Mai 2020 (französisch).
  14. Base des déportés-résistants - Mémoire des hommes. In: www.memoiredeshommes.sga.defense.gouv.fr. Abgerufen am 25. September 2023.
  15. Ordre de la Libération: Base Médaillés de la Résistance française - fiche Anise Postel-vinay. Abgerufen am 4. Januar 2023.
  16. Archives nationales: Expositions. Abgerufen am 15. Januar 2023.