Andreas Dräger (Bioinformatiker)
.jpg)
Andreas Dräger (geboren am 20. September 1980) ist ein deutscher Bioinformatiker, der die Forschungsgruppe für Datenanalytik und Bioinformatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg leitet.
Ausbildung
Im Gymnasium war Dräger von der Informatik sowie jüngsten Fortschritten in der Genetik und der Biotechnologie der späten 1990er Jahren fasziniert. Als er von einem neuen Studiengang erfuhr, der die Kombination dieser Technologien ermöglichte, definierte dies seine berufliche Ausrichtung. So studierte Dräger von 2000 bis 2006 Bioinformatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle (Saale). Er arbeitete als Praktikant für Genomsequenzierung am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin. Seine Diplomarbeit über Schwermetall-resistente Bakterien fertigte er am Institut für Mikrobiologie an der Universität von Illinois zu Chicago an. Dräger wurde am Zentrum für Bioinformatik Tübingen (ZBIT) promoviert mit Schwerpunkt auf dynamischer Simulation metabolischer Netzwerke der virtuellen Leber. Während dieser Zeit arbeitete er 2010 als Gastdoktorand für Software-Entwicklung an der Keiō-Universität in Yokohama. Nach seiner Rückkehr aus Japan zeichnete ihn die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen mit dem Dissertationspreis 2011 aus.[1]
Karriere
Anfang 2011 warb Dräger Mittel für ein unabhängiges Forschungsprojekt als Postdoktorand und Nachwuchsgruppenleiter ein. Im Jahr 2013 absolvierte er ein weiteres zweijähriges Postdoc-Programm als Marie-Curie-Forschungsstipendiat in La Jolla. Dort arbeitete er in der Systembiologie-Forschungsgruppe der UCSD (der Universität von Kalifornien, San Diego). Nach seiner Rückkehr nach Tübingen im Jahr 2015 gründete er dort eine unabhängige Forschungsgruppe. 2018 wurde er zum Juniorprofessor für Rechnergestützte Systembiologie der Infektionen und antimicrobiell-resistenten Krankheitserreger innerhalb des neu gegründeten Tübinger interfakultären Instituts für Bioinformatik und Medizininformatik (IBMI) berufen. Seine Forschungsgruppe gehörte zum Tübinger Exzellenzcluster „Kontrolle von Microben zur Bekämpfung von Infektionen“ (CMFI). Im Februar 2024 wurde Dräger zum Universitätsprofessor ernannt und hat seitdem den Lehrstuhl für Datenanalytik und Bioinformatik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg inne, gehörte aber noch bis Januar 2025 zum Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) der Universität Tübingen.
Forschung
Drägers Forschung konzentriert sich auf mathematische Modelle der Stoffwechselmechanismen, die Antibiotikaresistenzen zugrunde liegen. Den zentralen Aspekt seiner Forschungsgruppe bilden die menschlichen Microbioa des Atmungstraktes von der Nasenhöhle zur Lunge. Dräger zielt darauf ab, neue Behandlungsmöglichkeiten zu erschließen, um lebensbedrohliche bakterielle[2][3] und virale Infektionen zu bekämpfen.[4][5] Im Krankenhaus erworbene Infektionen der Atemwege bekommen dabei die höchste Priorität, weil es sich dabei häufig um multiresistente Keime handelt, bei denen Antibiotika nicht zuverlässig anschlagen. Zu den besonders schädlichen Bakterien dieses Lebensraums gehören Pseudomonas aeruginosa[6][3] und Staphylococcus aureus.[2] Ein weiterer Forschungsbereich betrifft Risikogruppen wie Mukoviszidose-Patienten. Die Anwendung der Stoffwechselmodellierung für dieses Vorhaben erfordert ein umfassendes Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse gegenseitiger Wechselwirkungen zwischen Pathogenen, kommensalen Bakterien und ihrem Wirt.[7][8]
Diese Arbeit erfordert auch die Entwicklung spezieller Software zur Erstellung, Analyse und gemeinsamer Nutzung von Computermodellen in der Systembiologie im Allgemeinen. Aus diesem Grund beteiligt sich seine Gruppe aktiv an verschiedenen Standardisierungsbemühungen[9] in der Systembiologie im Rahmen der sogenannten COMBINE-Initiative internationaler Forscher. Dräger sieht verbesserte Interoperabilität und Wiederverwendbarkeit entwickelter Computermodelle nach den FAIR-Prinzipien (auffindbar, allgemein zugänglich, interoperabel, und reproduzierbar/wiederverwendbar) als Voraussetzung für zuverlässige Erstellung aussagekräftiger Computersimulationen in der Biologie an.[10] Dazu entwickeln Dräger und seine Gruppe wissenschaftliche quelloffene Software, wie beispielsweise JSBML oder SBSCL.[11] Im Jahr 2015 wählte ihn die wissenschaftliche Gemeinschaft zum Editor für die Entwicklung des systembiologischen Dateiformats SBML und 2018 zum Editor für die graphische Modellierungssprache SBGN.[12] 2016 gehörte Dräger zu den Gründungsmitgliedern des jährlichen Treffens von Forschern mit besonderem Interesse an systembiologischer Modellierung (SysMod)[13] als Teil der Internationalen Gesellschaft für Rechnergestützte Biologie (ISCB), wo er von 2018 bis zu seinem vorübergehenden Ausscheiden 2022 als de facto Vorsitzender fungierte.[14]
Während der COVID-19-Pandemie erregte Drägers Arbeit zur computergestützten Modellierung von SARS-CoV-2 in menschlichen Zellen[15][16] internationales Interesse, denn es sagte potentiell nutzbare Zielstrukturen für die Arzneimittelentwicklung voraus.[17][18][19][20][21][22][23] Eines dieser Ziele ist das menschliche Enzym Guanylatkinase. Drägers laufende Arbeit zu diesem Thema konzentriert sich auf die Pandemievorsorge.[24]
Ehrenamt
Über drei Jahre lang bot er Kurse in Bioinformatik und Systembiologie für Oberstufenschüler am Otto-Hahn-Gymnasium in Nagold an, unter anderem als Mentor beim Wettbewerb Jugend forscht.[25]
Weblinks
- Andreas Drägers Publikationen auf Google Scholar
- Andreas Drägers Forschungsgruppe
- Software für Systembiologie
- Kanal von Andreas Dräger auf YouTube
Einzelnachweise
- ↑ Zentrale Promotionsfeier der Universität Tübingen In: Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2011: Termine und Veranstaltungen, Universität Tübingen, 16. Juli 2011
- ↑ a b Renz, Alina; Dräger, Andreas: Curating and Comparing 114 Strain-Specific Genome-Scale Metabolic Models of Staphylococcus aureus. 2021, doi:10.1038/s41540-021-00188-4, PMID 34188046, PMC 8241996 (freier Volltext) – (nature.com [PDF]).
- ↑ a b Payne, Dawson D.; Renz, Alina; Dunphy, Laura J.; Lewis, Taylor; Dräger, Andreas; Papin, Jason A.: An updated genome-scale metabolic network reconstruction of Pseudomonas aeruginosa PA14 to characterize mucin-driven shifts in bacterial metabolism. 2021, doi:10.1038/s41540-021-00198-2, PMID 34625561, PMC 8501023 (freier Volltext) – (nature.com [PDF]).
- ↑ Bernardes, Joana P.; Mishra, Neha; Tran, Florian; Bahmer, Thomas; Best, Lena; u. a.: Longitudinal multi-omics analyses identify responses of megakaryocytes, erythroid cells and plasmablasts as hallmarks of severe COVID-19 trajectories. 2020, doi:10.1016/j.immuni.2020.11.017, PMID 33296687, PMC 7689306 (freier Volltext).
- ↑ Ostaszewski, Marek; Niarakis, Anna; Mazein, Alexander; Kuperstein, Inna; Phair, Robert; u. a.: COVID19 Disease Map, a computational knowledge repository of virus–host interaction mechanisms. 2021, doi:10.15252/msb.202110387, PMID 33877794, PMC 8057481 (freier Volltext).
- ↑ Dahal, Sanjeev; Renz, Alina; Dräger, Andreas; Yang, Laurence: Genommaßstäbliches Modell des Pseudomonas aeruginosa-Stoffwechsels enthüllt Virulenz und Arzneimittelpotenzierung. In: Communications Biology. Band 6, Nr. 1, 2023, S. 165, doi:10.1038/s42003-023-04540-8, PMID 36765199, PMC 9918512 (freier Volltext) – (nature.com [PDF] Originaltitel: Genome-scale model of Pseudomonas aeruginosa metabolism unveils virulence and drug potentiation.).
- ↑ Renz, Alina; Widerspick, Lina; Dräger, Andreas: Erstes genommaßstäbliches Stoffwechselmodell von Dolosigranulum pigrum bestätigt mehrfache Auxotrophien. In: Metabolites. Band 11, Nr. 4, 2021, S. 232, doi:10.3390/metabo11040232, PMID 33918864, PMC 8069353 (freier Volltext) – (Originaltitel: First Genome-Scale Metabolic Model of Dolosigranulum pigrum Confirms Multiple Auxotrophies.).
- ↑ Brunk, Elizabeth; Sahoo, Swagatika; Zielinski, Daniel C.; Altunkaya, Ali; Dräger, Andreas; Mih, Nathan; Gatto, Francesco; Nilsson, Avlant; Preciat Gonzalez, German Andres; Aurich, Maike Kathrin; Prlić, Andreas; Sastry, Anand; Danielsdóttir, Anna D.; Heinken, Almut; Noronha, Alberto; Rose, Peter W.; Burley, Stephen K.; Fleming, Ronan M. T.; Nielsen, Jens; Thiele, Ines; Palsson, Bernhard O.: Recon3D ermöglicht eine dreidimensionale Darstellung der Genvariation im menschlichen Stoffwechsel. In: Nature Biotechnology. Band 36, Nr. 3, 2018, S. 272–281, doi:10.1038/nbt.4072, PMID 29457794, PMC 5840010 (freier Volltext) – (Originaltitel: Recon3D enables a three-dimensional view of gene variation in human metabolism.).
- ↑ Dräger, Andreas; Waltemath, Dagmar: Systemmedizin. 2021, ISBN 978-0-12-816078-7, Overview: Standards for Modeling in Systems Medicine, S. 345–353, doi:10.1016/B978-0-12-816077-0.00001-7 (Originaltitel: Systems Medicine.).
- ↑ Dräger, Andreas: Verstärkte der Zusammenarbeit durch Standardisierungsmaßnahmen in der Systembiologie. In: Frontiers in Bioengineering and Biotechnology. Band 2, Nr. 61, 2014, S. 61, doi:10.3389/fbioe.2014.00061, PMID 25538939, PMC 4259112 (freier Volltext) – (Originaltitel: Improving collaboration by standardization efforts in systems biology.).
- ↑ Panchiwala, Hemil; Shah, Shalin; Planatscher, Hannes; Zakharchuk, Mykola; König, Matthias; Dräger, Andreas: Die systembiologische Simulationskernbibliothek. In: Bioinformatics. Band 38, Nr. 3, 2022, S. 864–865, doi:10.1093/bioinformatics/btab669, PMID 34554191, PMC 8756180 (freier Volltext) – (Originaltitel: The Systems Biology Simulation Core Library.).
- ↑ Touré, Vasundra; Dräger, Andreas; Luna, Augustin; Dogrusoz, Ugur; Rougny, Adrien: Systemmedizin. 2021, ISBN 978-0-12-816078-7, The Systems Biology Graphical Notation: Current Status and Applications in Systems Medicine, S. 372–381, doi:10.1016/B978-0-12-801238-3.11515-6 (Originaltitel: Systems Medicine.).
- ↑ Dräger, Andreas; Helikar, Tomáš; Barberis, Matteo; Birtwistle, Marc; Calzone, Laurence; Chaouiya, Claudine; Hasenauer, Jan; Karr; Jonathan R.; Niarakis, Anna; Rodríguez Martínez, María; Saez-Rodriguez, Julio; Thakar, Juilee: SysMod: die ISCB-Gemeinschaft für datengetriebene, rechnerische Modellierung und Multiskalenanalyse biologischer Systeme. In: Bioinformatics. Band 37, Nr. 21, 2021, S. 3702–3706, doi:10.1093/bioinformatics/btab229, PMID 34179955, PMC 8570808 (freier Volltext) – (oup.com [PDF] Originaltitel: SysMod: the ISCB community for data-driven computational modelling and multi-scale analysis of biological systems.).
- ↑ Niarakis, Anna; Thakar, Juilee; Barberis, Matteo; Rodríguez Martínez, María; Helikar, Tomáš; Birtwistle, Marc; Chaouiya, Claudine; Calzone, Laurence; Dräger; Andreas: Rechnerische Modellierung von Gesundheit und Krankheit. Höhepunkte der 6. SysMod-Jahrestagung. In: Bioinformatics. Band 38, Nr. 21, 2022, S. 4990–4993, doi:10.1093/bioinformatics/btac609 (oup.com [PDF] Originaltitel: Computational modelling in health and disease. Highlights of the 6th annual SysMod meeting.).
- ↑ Renz, Alina; Widerspick, Lina; Dräger, Andreas: FBA ermittelt Guanylatkinase als potenzielle Zielstruktur für antivirale Therapien gegen SARS-CoV-2. In: Bioinformatics. Band 36, Suppl 2, 2020, S. i813–i821, doi:10.1093/bioinformatics/btaa813, PMID 33381848, PMC 7773487 (freier Volltext) – (oup.com [PDF] Originaltitel: FBA reveals guanylate kinase as a potential target for antiviral therapies against SARS-CoV-2.).
- ↑ Renz, Alina; Widerspick, Lina; Dräger, Andreas: Genommaßstäbliches Stoffwechselmodell der Infektion mit SARS-CoV-2-Mutanten bestätigt Guanylatkinase als robuste potenzielle antivirale Zielstruktur. In: Genes. Band 12, Nr. 6, 2021, S. 796, doi:10.3390/genes12060796, PMID 34073716, PMC 8225150 (freier Volltext) – (Originaltitel: Genome-Scale Metabolic Model of Infection with SARS-CoV-2 Mutants Confirms Guanylate Kinase as Robust Potential Antiviral Target.).
- ↑ Frank Wittig: Wo bleiben die Medikamente? (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven), SWR Fernsehen, 18. März 2021
- ↑ Birgit Augustin: Corona: Wie wirksam sind neue Medikamente gegen das Virus? (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven), Norddeutscher Rundfunk, 3. Februar 2021
- ↑ Tsvetelina Petrunova: Ексклузивно: Първа стъпка към откриването лекарство срещу COVID-19 (deutsch: Exklusiv: Erster Schritt zur Entdeckung eines Heilmittels für COVID-19), bTV (Bulgarien), 17. Januar 2021 (bulgarisch).
- ↑ Nikolay Beremliyski: СЛАБОТО МЯСТО НА COVID-19: Близо ли сме до победата над заразата? (deutsch: DER COVID-19 SCHWÄCHENPUNKT: Sind wir kurz davor, die Pest zu besiegen?), Nova TV (Bulgarien), 17. Januar 2021 (bulgarisch).
- ↑ Ученые РФ и ФРГ нашли способы уничтожать COVID-19 (deutsch: Wissenschaftler aus der Russischen Föderation und Deutschland haben Wege zur Zerstörung von COVID-19 gefunden) In: Смотрим, Russia-24, 1. November 2021 (russisch).
- ↑ Cornelia Hannemann: Entdeckung könnte Weg zu Corona-Medikament ebnen In: Wissen, n-tv, 10. Januar 2021
- ↑ Anna Priese: Neuer Ansatz für Corona-Therapie an Tübinger Uni (Seite nicht mehr abrufbar. Suche in Webarchiven) In: SWR Aktuell, SWR Fernsehen, 9. Januar 2021
- ↑ Leonidou, Nantia; Renz, Alina; Mostolizadeh, Reihaneh; Dräger; Andreas: Neuer Arbeitsablauf sagt Zielstrukturen für Medikamente gegen SARS-CoV-2 über metabolische Veränderungen in infizierten Zellen voraus. In: PLOS Computational Biology. Band 19, 2023, S. e1010903, doi:10.1371/journal.pcbi.1010903, PMID 36952396, PMC 10035753 (freier Volltext) – (amerikanisches Englisch: New workflow predicts drug targets against SARS-CoV-2 via metabolic changes in infected cells.).
- ↑ Mit Stolz präsentieren sie erste Ergebnisse In: Schwarzwälder Bote, Schwarzwälder Bote Mediengesellschaft mbH, 21. Juli 2021