André Morice

André Émile Simon Morice (* 10. Oktober 1900 in Nantes; † 17. Januar 1990 im 16. Arrondissement (Arrondissement de Passy), Paris) war ein französischer Politiker der Parti radical (PR) und danach des Centre républicain (CR), der Staatssekretär und Minister in mehreren Regierungen der Vierten Französischen Republik sowie von 1965 bis 1977 Bürgermeister von Nantes war.
Leben
Unternehmer, Kommunalpolitiker und Zweiter Weltkrieg
André Émile Simon Morice war ein Sohn von Émile Morice, der als Mechaniker bei der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCF arbeitete und für die Republikanische, Radikale und Radikal-Sozialistische Partei PRRRS (Parti républicain, radical et radical-socialiste; Französische Staatsbahn) und von 1912 bis zu dessen Tode 1931 Stadtrat von Nantes war. Nach dem Besuch des Lycée de Nantes begann er ein Studium der Rechtswissenschaften, welches er mit einem Licence en droit beendete. Er engagierte sich wie sein Vater in der Freimaurerei und der Laizistischen und Republikanischen Jugend (Jeunesses laïques et républicaines), deren Vorsitzender er von 1930 bis 1932 war, wobei er in dieser Funktion Bekanntschaft mit Persönlichkeiten wie Jean Zay[1] und Léon Martinaud-Déplat[2] kennenlernte. Gleichzeitig gründete er am 24. September 1931 beruflich zusammen mit Théophile Padiou das Entreprise nantaise des travaux publics et paysagers, ein Bau- und Landschaftsbauunternehmen mit Sitz in Nantes, das er – mit einer Unterbrechung während des Krieges – bis 1968 leitete. 1934 wurde er Generalkommissar des Nationalen Radikal-Sozialistischen Kongresses und stieg mit Unterstützung des früheren Bürgermeisters von Nantes, Gaston Veil, zu einem der Führer der PRRRS im Département Loire-Atlantique auf. Unter dem Bürgermeister Auguste Pageot[3] wurde er 1935 einer von drei Stadträten von Nantes. Dieser Aktivismus wurde im November 1938 mit der Gründung der Radikalsozialistischen Föderation der Bretagne belohnt, die sechs Departements umfasste, woraufhin er selbst Vizepräsident dieser Föderation wurde.
Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges meldete er sich im September 1939 als Freiwilliger für den Kriegsdienst und nahm als Hauptmann einer Divisions-Pionierkompanie an Kriegseinsätzen teil. Am 28. Mai 1940 geriet er in der Nähe von Lille in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde im Offizierslager Elsterhorst (Oflag IV D) interniert. Nach einem kurzen Aufenthalt im Militärhospital Val-de-Grâce wurde er im Oktober 1943 aus medizinischen Gründen entlassen und am 9. Februar 1944 demobilisiert, woraufhin er seine Tätigkeit als Co-Geschäftsführer der umbenannten Société nantaise des travaux publics et paysagers (SNTPP) wieder aufnahm.
Abgeordneter, Staatssekretär und Minister
Am 21. Oktober 1945 wurde er für das Département Loire-Inférieure zum Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung (Assemblée constituante) gewählt und gehörte dieser beziehungsweise ab November 1946 der Nationalversammlung (Assemblée nationale) nach seinen Wiederwahlen am 2. Juni 1946, am 10. November 1946, am 17. Juni 1951 und am 2. Januar 1956 bis zum 5. Dezember 1958 an, wobei er sich der Radikalsozialistischen Fraktion RRRS (Républicain radical et radical-socialiste) anschloss. Im Kabinett Schuman I wurde er am 26. November 1947 Staatssekretär für technische Ausbildung beim Premierminister (Secrétaire d’État à la Présidence du Conseil et à l’Enseignement technique) und behielt diese Funktion zwischen dem 26. Juli und dem 5. September 1948 auch im Kabinett Marie. Am 11. September 1948 wurde er im Kabinett Queuille I Staatssekretär für technische Bildung, Jugend und Sport (Secrétaire d’État à l’Enseignement technique, à la Jeunesse et aux Sports) und behielt diesen Posten im Anschluss vom 28. Oktober 1949 bis zum 7. Februar 1950 weiterhin im Kabinett Bidault II. Im Kabinett Queuille II übernahm er am 2. Juli 1950 das Amt als Minister für Nationale Bildung (Ministre de l’Éducation nationale) und bekleidete dieses Ministeramt zehn Tage lang bis zum 12. Juli 1950.[4] Daraufhin wurde er am 12. Juli 1950 im Kabinett Pleven I erneut Staatssekretär für technische Bildung, Jugend und Sport und verblieb in dieser Funktion zwischen dem 10. März und dem 11. August 1951 auch im darauf folgenden Kabinett Queuille III.
Am 11. August 1951 wurde Morice als Minister für die Handelsmarine (Ministre de la Marine marchande) in das Kabinett Pleven II berufen und hatte dieses Ministeramt vom 20. Januar bis zum 8. März 1952 ebenfalls im Kabinett Faure I inne.[5] Im darauf folgenden Kabinett Pinay erfolgte am 8. März 1952 seine Ernennung zum Minister für öffentliche Arbeiten, Verkehr und Tourismus (Ministre des Travaux publics, des Transports et du Tourisme) und er bekleidete dieses Amt im Anschluss zwischen dem 8. Januar und dem 28. Juni 1953 weiterhin im Kabinett Mayer.[6][7]
Im Kabinett Faure II übernahm er zwischen dem 23. Februar 1955 und dem 1. Februar 1956 den Posten des Ministers für Industrie und Handel (Ministre de l’Industrie et du Commerce).[8][9] Zuletzt wurde er am 13. Juni 1957 als Minister für nationale Verteidigung und Streitkräfte (Ministre de la Défense nationale et des Forces armées) in das Kabinett Bourgès-Maunoury berufen und bekleidete dieses Ministeramt bis zum 6. November 1957.[10] Mitte 1957 begann die französische Seite während des Algerienkrieges auf sein Betreiben als Verteidigungsminister eine Reihe von Grenzbefestigungen aufzubauen. Diese umfasste die dünn besiedelten Wüstengebiete und setzte großflächig elektrische Zäune und Selbstschussanlagen ein.[11]
Bürgermeister von Nantes und Senator

Als Nachfolger von Henry Orrion[12] wurde André Morice am 21. März 1965 zum Bürgermeister von Nantes gewählt und bekleidete dieses Amt nach seiner Wiederwahl am 14. März 1971 fast zwölf Jahre lang bis zum 20. März 1977, woraufhin Alain Chénard[13] neuer Bürgermeister wurde.[14] Während seiner Amtszeit als Bürgermeister wurde 1971 das Orchestre national des Pays de la Loire gegründet, ein professionelles Symphonieorchester, das je zur Hälfte in Nantes und Angers spielt. Ferner wurde auf seinen Wunsch hin vom Architekten Claude Devorsine der Bretagne-Turm (Tour Bretagne)entworfen, der zwischen 1971 und 1976 gebaut wurde und mit einer Höhe von 144 Metern der vierthöchste Büroturm der Region ist.
Daneben wurde er am 26. September 1965 für das Département Loire-Atlantique Mitglied des Senats (Sénat) und gehörte diesem nach seiner Wiederwahl am 22. September 1974 als Mitglied der Fraktion der Demokratischen Linke GD (Gauche démocratique) bis zum 25. September 1983 an.
Bewertung seiner Haltung im Zweiten Weltkrieg
Seine Haltung während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg war Gegenstand wiederkehrender lokaler und nationaler Kontroversen, die durch die Veröffentlichung des Buches von Franck Liaigre im Jahr 2002 im Verlag „Editions de l'Atelier“ mit dem Titel „L’Étrange ascension d’un maire de Nantes, André Morice de la Collaboration à la Résistance“ neu entfacht wurden. Während seiner Gefangenschaft beteiligte er sich an der Kapitalerhöhung seiner Firma, die seit Sommer 1940 für die Deutschen gearbeitet hatte, und erhielt daher nach seiner Rückkehr ein gutes Gehalt. Nach der Befreiung wurde die Firma vom Komitee zur Einziehung unrechtmäßig erworbener Gewinne (Comité de confiscation des profits illicites) unter anderem in Bezug auf die Frage untersucht, ob sie der Organisation Todt diente. Die Kommission verhängte eine hohe Geldstrafe gegen die Firma, doch im Berufungsverfahren entschied das Oberste Komitee für unrechtmäßige Gewinne, dass André Morice während der Besatzung nicht an der Geschäftsführung seiner Firma beteiligt gewesen sei, und erließ ihm die Geldstrafe. Von den wirtschaftlichen Säuberungen verschont, erlebte er jedoch, wie diese Affäre in seinem politischen Leben immer wieder auftauchte, da Dokumente zu dem Fall 1946 und 1949 in der Lokalpresse und im Oktober 1957 in der überregionalen Presse veröffentlicht wurden.[15]
Hintergrundliteratur
Franck Liaigre: L’Étrange ascension d’un maire de Nantes. André Morice, la Collaboration et la Résistance, Éditions Ouvrières, 2002, ISBN 2-7082-3607-5
Weblinks
- André Morice. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- MORICE André. Homepage des Senats (5. Republik), abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- Morice, André (Émile Simon). rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
Einzelnachweise
- ↑ Jean Zay. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ Léon, Jean Martinaud-Déplat. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ Auguste Pageot. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ France: National Education Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Merchant Marine Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Transports Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Tourism Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Industry Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Commerce Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Defense Ministers. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ Benjamin Stora: Histoire de la guerre d’Algérie 1954–1962, Paris, 1993, 2004, S. 29
- ↑ Henry Orrion. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ Alain Chénard. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ France major cities: Nantes Mayors. rulers.org, abgerufen am 27. August 2025 (englisch).
- ↑ Franck Liaigre: L’Étrange ascension d’un maire de Nantes. André Morice, la Collaboration et la Résistance, Éditions Ouvrières, 2002