Amerikaschleiereule

Amerikaschleiereule

Amerikaschleiereule (Tyto furcata)

Systematik
Unterstamm: Wirbeltiere (Vertebrata)
Klasse: Vögel (Aves)
Ordnung: Eulen (Strigiformes)
Familie: Schleiereulen (Tytonidae)
Gattung: Schleiereulen (Tyto)
Art: Amerikaschleiereule
Wissenschaftlicher Name
Tyto furcata
(Temminck, 1827)

Die Amerikaschleiereule (Tyto furcata) ist eine Art aus der Gattung der Schleiereulen, die in fünf Unterarten in Nord- und Südamerika sowie in der Karibik vorkommt. Sie galt lange als eine Unterart der Schleiereule, wird aber in jüngerer Literatur auf Basis neuerer genetischer Erkenntnisse als eigenständige Art angesehen.[1]

Merkmale

Flugbild von T. f. pratincola, Südkalifornien

Die Amerikaschleiereule weist sehr viele Gemeinsamkeiten mit der auch in Mitteleuropa vorkommenden Schleiereule auf. Sie ist eine verhältnismäßig große Art. Die Nominatform erreicht eine Körperlänge von 38 Zentimetern und wiegt zwischen 387 und 500 Gramm.[2] Die Weibchen sind etwas größer als die Männchen. Ansonsten besteht kein auffälliger Geschlechtsdimorphismus.

In ihrem Verbreitungsgebiet kommen mehrere weitere Arten der Schleiereulen vor. Die Hispaniolaschleiereule unterscheidet sich von der Amerikaschleiereule unter anderem durch den aschgrauen Gesichtsschleier. Die Kleine Antillen-Schleiereule ist ebenso wie die Hispaniolaschleiereule auffallend kleiner und hat ein dunkleres Gefieder mit einer bräunlichen Unterseite. Die Curaçao-Schleiereule dagegen ist goldbraun auf der Körperoberseite und weiß auf der Unterseite.

Verbreitung und Lebensweise

Verbreitungsgebiet der Amerikaschleiereule (lila)

Das Verbreitungsgebiet der Amerikaschleiereule reicht von British Columbia bis nach Mexiko, Zentralamerika, Kuba, Jamaika, Bahamas, Bermuda und Hispaniola. In Südamerika reicht das Verbreitungsgebiet von Kolumbien und Venezuela bis nach Tierra del Fuego. Es handelt sich überwiegend um Standvögel, selbst die nördlichen Populationen bleiben während der kalten Jahreszeit in ihren Brutarealen.[3] Strenge Winter führen hier dazu, dass die Bestände immer wieder stark zurückgehen. Auch darin gleicht die Amerikaschleiereule der Schleiereule der Alten Welt.

Unterarten

Die folgenden Unterarten werden zur Amerikaschleiereule gerechnet:

Unterart Verbreitungsgebiet Unterscheidungsmerkmale der einzelnen Unterarten
Tyto furcata furcata

(Temminck, 1827)[4]

Kuba, Isla de la Juventud, Caymaninseln, Jamaika siehe Beschreibung oben
T. f. pratincola

(Bonaparte, 1838)[5]

Nord- und Zentralamerika. Die südliche Verbreitungsgrenze verläuft im Osten Guatemalas und Nicaraguas. Verbreitungsschwerpunkt ist der Süden der USA und der Norden Mexikos. Mit einer Flügellänge von bis zu 370 Millimetern und einer Gesamtlänge von fast 430 Millimetern handelt es sich um eine sehr große Schleiereule. Die Oberseite der Tiere ist hell- bis dunkelorange, manchmal mit grauen Beimischungen, die Unterseite ist schwachorange bis weiß und mit markanten braunen Spitzen gezeichnet.
T. f. tuidara

(J.E. Gray, 1829)[6]

Brasilien und Argentinien vom Amazonasgebiet bis zur Südspitze Patagoniens Unterart ähnelt in ihrem Aussehen der Mitteleuropäischen Schleiereule, hat allerdings längere Beine.
T. f. hellmayri

Griscom & Greenway, 1937[7]

Surinam, Französisch-Guayana und Guyana sowie der Norden Brasiliens Die Oberseite dieser Form ist dunkelgrau bis -braun mit blassgrauen Flecken. Die Unterseite ist schwach rostbraun mit unregelmäßigen braunen kreuzförmigen Flecken. Auch der Schleier ist blassbraun.
T. f. contempta

(Hartert, E, 1898)[8]

Peru, Ecuador, Venezuela und Kolumbien Die Unterart ist hell gefärbt und unterseits weiß mit schwarzen Sprenkeln, manche Individuen sind allerdings auch rostgelb auf der Bauchseite. Ansonsten ähnelt sie der Brasilianischen Schleiereule in der Zeichnung.
T. f. guatemalae

(Ridgway, 1874)[9]

westliche Guatemala bis Panama und das nördliche Kolumbien Ähnlich wie die dunklere T. f. pratincola, aber die OPberseite gleichmäßiger und die Unterseite gröber gesprenkelt.
T. f. bondi

Parkes & Phillips, AR, 1978[10]

Bay Island nördlich von Honduras Anscheinend kleiner und blasser als die T. f. pratincola
T. f. niveicauda

Parkes & Phillips, AR, 1978[11]

Isla de la Juventud Sehr variabel, tendiert aber oben zu blassem Orange-Gelbbraun mit graubraunen Flecken, unten zu Weiß mit wenigen Flankenflecken. Die weißlichen Armschwingen bilden einen blassen Bereich auf dem geschlossenen Flügel.
T. f. bargei

(Hartert, E, 1892)[12]

Niederländische Antillen Ähnlich wie Nominatform, aber kleiner und mit kürzeren Flügeln.
T. f. punctatissima

(Gould & Gray, GR, 1838)[13]

Galapagosinseln Auf der Oberseite klein, mattbraun mit einigen verstreuten dunkelweißen Flecken. Die Unterseite ist goldgelb bis weiß mit bräunlichen Wellenlinien oder feinen dichten Flecken.

Tyto perlatus lucayanus Riley, 1913[14] wird heute als Synonym zu T. f. pratincola betrachtet. Tyto alba subandeana Kelso, L, 1938[15] als Synonym zu T. f. guatemalae, Tyto alba zottae Kelso, L, 1938[15] und Tyto alba hauchecornei Kleinschmidt, 1940[16] zu T. f. tuidara sowie Strix stictica Madarász, 1904 zu T. f. contempta.

Etymologie und Forschungsgeschichte

Die Erstbeschreibung der Amerikaschleiereule erfolgte 1827 durch Coenraad Jacob Temminck unter dem wissenschaftlichen Namen Strix furcata. Als Verbreitungsgebiet gab er Mexiko, die Antillen und Kuba an. Das Typusexemplar hatte Eduard Friedrich Poeppig gesammelt.[4][A 1] 1828 führte Gustaf Johan Billberg die Gattung Tyto ein, da Strix Savigny, 1809 für die Amerikaschleiereule[17] bereits durch Strix Linnaeus, 1758[18] belegt war.[19] Der Begriff leitet sich von τυτω, τυτους tytō, tytous, deutsch ‚Eule‘ ab.[20] Der Artname »furcata« hat seinen Ursprung in lateinisch furcatus, furca, ferre ‚gegabelt, zweizinkige Gabel, neigen‘.[21] Hellmayri ist Carl Eduard Hellmayr (1878–1944)[7] gewidmet, bondi James Bond (1900–1989)[10], bargei Charles Augustinus Henry Barge (1844–1919)[12], zottae Ángel Rafael Zotta (????–1951)[15] und hauchecornei Friedrich Franz Ernst Adolf Hauchecorne (1894–1938).[16] Guatemalae bezieht sich auf Guatemala[9], lucayanus auf Lucaya[14] und subandeana auf den Fuss der Anden.[15] Pratincola hat seinen Ursprung in lateinisch pratum, prati ‚Wiese‘ und lateinisch incola, incolere ‚bewohnend, bewohnen‘[22], tuidara in der Tupi-Sprache Suindára, Tuindára für ein nicht essenden Vogel[23], contempta in lateinisch contemptus, contemnere ‚verachtet, verachten‘[24], niveicauda in lateinisch niveus, nix, nivis ‚schneeweiß, Schnee‘ und lateinisch cauda ‚Schwanz‘[25], punctatissima in lateinisch punctatissimusm, punctatus, punctum, pungere ‚sehr fleckig, stark fleckig, gefleckt, Fleck, durchstechen‘[26] und stictica in lateinisch sticticus ‚gefleckt, gesprenkelt‘ bzw. στικτος, στιζω stiktos, stizō, deutsch ‚gefleckt, tätowiert, Tattoo‘.[27] Alfred Laubmann hatte für sein Werk Die Vögel von Paraguay keinen Balg zur Verfügung. In der Literatur betrachtete er Aves nocturnas de rapiña de la lechuza von Félix de Azara[28] als möglichen Nachweis für das Land. Außerdem sah er in Puerto Pinasco im Departamento Presidente Hayes durch Alexander Wetmore[29] und im Departamento Alto Paraná durch Arnaldo de Winkelried Bertoni[30] gültige Nachweise. Laubmann nannte die Unterart T. f. tuidara für Paraguay.[31]

Amerikaschleiereule als Neozoon

Auf Hawaii wurden Amerikaschleiereule ab 1958 von hawaiianischen Landwirtschaftsministerium zur Bekämpfung von Ratten, welche in Zuckerrohrfeldern Schäden anrichteten, freigelassen. Zunächst nur auf den Inseln Hawaii, Kauaʻi und Oʻahu, breiteten sie sich dann auf die anderen größeren Inseln aus. Ab 1980 stellte man fest, dass der Neozoon Seevögel fängt. Hauptsächlich wurden von der Amerikaschleiereule Weißkappennoddis und Bulwersturmvögel gefangen. Unter den weiteren sechs Arten waren auch die sehr seltenen Newellsturmtaucher und Hawaiisturmvögel. Ab 2015 startete man mit Erlaubnis von US Fish and Wildlife Service ein Bekämpfungsprogramm. Die Bekämpfung der Amerikaschleiereule wird als wichtiger Baustein zum Schutz der Seevögel auf Hawaii angesehen.[32]

Literatur

  • Félix de Azara: Apuntamientos para la historia natural de los páxaros del Paragüay y Rio de la Plata. Band 1. Impr. de la viuda de Ibarra, Madrid 1802, S. 210–214 (google.de).
  • Peter H. Barthel, Christine Barthel, Einhard Bezzel, Pascal Eckhoff, Renate van den Elzen, Christoph Hinkelmann, Frank Dieter Steinheimer: Die Vögel der Erde – Arten, Unterarten, Verbreitung und deutsche Namen. 3. Auflage. Deutsche Ornithologen-Gesellschaft, Radolfzell 2022 (do-g.de [PDF]).
  • Gustaf Johan Billberg: Synopsis faunae Scandinaviae. Band 1, 2 (Aves). Carole Deleem, Stockholm 1828 (biodiversitylibrary.org).
  • Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte: A geographical and comparative list of the birds of Europe and North America. Van Voorst, London 1838 (biodiversitylibrary.org).
  • Edward Clive Dickinson: Systematic notes on Asian birds. 9. The "Nouveau recueil de planches coloriees" of Temminck & Laugier (1820–1839). In: Zoologische verhandelingen uitgegeven door het Rijksmuseum van Natuurlijke Historie te Leiden. Nr. 335, 2001, S. 7–56 (naturalis.nl [PDF; 2,4 MB]).
  • John Gould, George Robert Gray in Charles Darwin: The zoology of the voyage of H.M.S. Beagle, under the command of Captain Fitzroy, R.N., during the years 1832–1836. Published with the Approval of The Lords Commissioners of her Majesty’s Treasury. Band 3, Lieferung 9. Smith, Elder & Co, London 1838 (biodiversitylibrary.org).
  • John Edward Gray in Edward Griffith: The Animal Kingdom. Arranged in conformity with its organization, by the Baron Cuvier, member of the Institute of France &c. &c. &c. with additional descriptions of all the species hitherto named, and of many not before noticed,. Band 6. Printed for Wittaker, Traecher, nad Co, London 1829 (biodiversitylibrary.org).
  • Ludlow Griscom, James Cowan Greenway: Critical notes on new Neotropical Birds. In: Bulletin of the Museum of Comparative Zoology at Harvard College. Band 81, Nr. 2, 1937, S. 417–437 (biodiversitylibrary.org).
  • Ernst Hartert: Mr. Hartert described the following Species as new to science. In: Bulletin of the British Ornithologists' Club. Band 1, Nr. 3, 1893, S. XII-XIII (biodiversitylibrary.org).
  • Ernst Hartert: On a Collection of Birds from North-Western Ecuador (Plates II., III.). In: Novitates zoologicae - A journal of zoology in connection with the Tring Museum. Band 5, 1898, S. 477–505 (biodiversitylibrary.org).
  • Leon Hugh Kelso: Two new owls from South America. In: Biological Leaflet. Nr. 9, 21. April 1938, S. 1–2.
  • Otto Kleinschmidt: Tyto alba hauchecorni. In: Falco: unregelmässig im Anschluss an das Werk „Berajah, Zoographia infinita“ erscheinende Zeitschrift. Band 36, 1940, S. 60.
  • Claus König, Friedhelm Weick: Owls of the World. Christopher Helm, London 2008, ISBN 978-0-7136-6548-2, S. 158–159 und 350–351.
  • Alfred Laubmann: Die Vögel von Paraguay. Band 1. Strecker und Schröder, Stuttgart 1939, S. 232 (google.de).
  • Carl von Linné: Systema Naturae per Regna Tria Naturae, Secundum Classes, Ordines, Genera, Species, Cum Characteribus, Differentiis, Synonymis, Locis. 10. Auflage. Band 1. Imprensis Direct Laurentii Salvii, Stockholm 1758 (biodiversitylibrary.org).
  • Gyula Madarász: Über neue Vogelarten aus Venezuela. In: Annales historico-naturales Musei nationalis hungarici. Band 2, 1904, S. 115–116 (nhmus.hu [PDF; 381 kB]).
  • Kenneth Carroll Parkes, Allan Robert Phillips: Two new Caribbean subspecies of barn owl (Tyfo alba) with remarks on variation in other populations. In: Annals of the Carnegie Museum. Band 47, 1978, S. 479–492 (biodiversitylibrary.org).
  • Robert Ridgway, Spencer Fullerton Baird: On some new forms of American birds. In: Bulletin of the Essex Institute. Band 5, Nr. 12, 1874, S. 197–201 (biodiversitylibrary.org – 1874 (1873)).
  • Joseph Harvey Riley: The Bahama bam owl. In: Proceedings of the Biological Society of Washington. Band 26, 1913, S. 153–154 (biodiversitylibrary.org).
  • Marie Jules César le Lorgne de Savigny: Description de l’Égypte ou recueil des observations et des recherches qui on été faites en l’Égypte pendant l’expedition de l’armée francaise (= Histoire Naturelle: Planches, 62 Tafeln, Säugetiere (Jacques Barraband, Jean-Baptiste Marie Huet, Nicolas Maréchal, Léon de Wailly, Huet & Prêtre), Vögel (Jacques Barraband, Barraband & Henri-Joseph Redouté, Prêtre), Reptilien (Jean-Baptiste Marie Huet, Jacques Barraband), Fische (Henri Joseph Redouté, Nicolas Maréchal nach Design von Redouté, Léon de Wailly, Jean-Baptiste Marie Huet nach Design von Redouté). Band 1). Imprimerie Royal, Paris 1809, S. 113 (biodiversitylibrary.org).
  • Coenraad Jacob Temminck: Nouveau recueil de planches coloriées d'oiseaux: pour servir de suite et de complément aux planches enluminées de Buffon (Tafel 146 & Text). Band 2, Lieferung 73. Legras Imbert et Comp., Straßburg 1827 (biodiversitylibrary.org).
  • Alexander Wetmore: Observations on the birds of Argentina, Paraguay, Uruguay, and Chile. In: Bulletin of the United States National Museum. Nr. 133, 1926, S. 1–448 (biodiversitylibrary.org).
Commons: Amerikaschleiereule – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Belege

  1. König et al., S. 209
  2. König, S. 212
  3. König et al., S. 211
  4. a b Coenraad Jacob Temminck (1827), Tafel 432 & Text.
  5. Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte (1838), S. 7.
  6. John Edward Gray (1829), S. 75.
  7. a b Ludlow Griscom (1937) u. a., S. 421.
  8. Ernst Hartert (1898), S. 500.
  9. a b Robert Ridgway (1874), S. 200
  10. a b Kenneth Carroll Parkes u. a. (1978), S. 486
  11. Kenneth Carroll Parkes u. a. (1978), S. 483
  12. a b Ernst Hartert (1898), S. XIII.
  13. John Gould (1838) u. a., S. 34 Tafel 4.
  14. a b Joseph Harvey Riley (1913), S. 153–154
  15. a b c d Leon Hugh Kelso (1938), S. 1–2
  16. a b Otto Kleinschmidt (1940), S. 60
  17. Marie Jules César le Lorgne de Savigny (1809), S. 113.
  18. Carl von Linné (1758), S. 92
  19. Gustaf Johan Billberg (1828), Tabelle A
  20. Tyto The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  21. furcata The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  22. pratincola The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  23. tuidara The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  24. contempta The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  25. niveicauda The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  26. punctatissima The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  27. stictica The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
  28. Félix de Azara (1802), S. 210–214.
  29. Alexander Wetmore (1926), S. 199.
  30. Arnaldo de Winkelried Bertoni (1914), S. 44.
  31. Alfred Laubmann (1939), S. 232
  32. Eike Hartwig: Eingeführte Eule geht auf falsche Nahrung. Seevögel 41, 2020, H. 2: 24–25.

Anmerkungen

  1. Zum Publikationsdatum siehe Edward Clive Dickinson (2001).