Alec Rasizade

Alec Rasizade (2000 Reisepass)

Alec Rasizade (aserbaidschanisch Əli Şamil oğlu Rasizadə; * 21. Mai 1947 in Naxçıvan) ist ein amerikanischer Professor für Zeitgeschichte und Politikwissenschaft, der sich auf Sowjetologie spezialisiert hat. Vor allem bekannt ist er für das typologische Modell (oder „Algorithmus“ in seinen eigenen Worten), das die Auswirkungen eines Rückgangs der Öleinnahmen auf den Prozess des Niedergangs der Rentierstaaten nach Phasen und Zyklen ihres allgemeinen sozioökonomischen Niedergangs nach dem Ende eines Ölbooms beschreibt. Zudem verfasste er mehr als 200 Studien zur Geschichte der internationalen Beziehungen, der Perestroika-Reform und des Zerfalls der Sowjetunion, der Öldiplomatie und der zeitgenössischen Politik in den postsowjetischen Staaten und Autonomien Russlands, Zentralasiens und des Kaukasus.[1]

Wissenschaftliche Aktivitäten

Alek Rasizade absolvierte 1969 die Geschichtsabteilung der Staatlichen Universität Baku. Dann promovierte er 1974 an der Moskauer Staatlichen Universität in Geschichte mit einer Dissertation über die Truman-Doktrin,[2] und anschließend nochmals zum Doktor-Studium der Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der UdSSR im Jahr 1990 mit einer Dissertation über die Türkei im NATO-System.[3] Anschließend war er von 1974 bis 1980 als Professor für Geschichte an der Staatlichen Universität Baku und von 1981 bis 1990 als leitender Wissenschaftler an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Aserbaidschans tätig.[4]

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR im Jahr 1991 emigrierte Rasizade als Gastprofessor für Geschichte an die University of South Florida in Tampa in die USA.[5] Darüber hinaus lehrte er als Fulbright-Programm-Professor in den 1990er Jahren sowjetische Geschichte an der Stanford University, der University of California, der Harvard University, der Paul H. Nitze School of Advanced International Studies (SAIS) und anderen Universitäten.[6][7] Nachdem er 1995 an der Columbia University in Geschichte promoviert hatte, arbeitete er am Harriman Institute der gleichen Universität.[8] Im Jahr 2000 wurde Rasizade nach Washington, D.C. eingeladen, um am Center for Strategic and International Studies zu arbeiten,[9] woraufhin er 2004 an das neu gegründete Historical Research Center der National Academy of Sciences wechselte,[10] wo er bis zu dessen Schließung 2013 seine bedeutendsten Werke schrieb.[11]

Er nimmt gelegentlich als Experte für postsowjetische Angelegenheiten an akademischen, pädagogischen, sozialen, analytischen und gesetzgeberischen Veranstaltungen, Diskussionen, Panels, Peer Reviews, Interviews, Sendungen und Anhörungen teil. Er ist auch beratendes oder redaktionelles Beiratsmitglied in einer Reihe der weltweit führenden akademischen Zeitschriften auf seinem Gebiet der Regionalstudien und emeritierter Honorarprofessor der Staatlichen Universität Baku.[12]

Bedeutende Studien

Der akademische Beitrag von Alec Rasizade zur Sowjetologie kann in vier allgemeine Kategorien unterteilt werden: Kaspischer Ölboom, Russland, Aserbaidschan und Zentralasien. Seine Ideen und Schlussfolgerungen für jede dieser großen Studien sind in den folgenden Thesen zusammengefasst:

1) Mit Insiderwissen über die kaspischen Ölreserven berechnete und prognostizierte Rasizade in seinen Schriften das genaue Ende des zweiten Baku-Ölbooms von 2005 bis 2014, ungeachtet der geopolitischen Euphorie der 1990er Jahre in den westlichen Hauptstädten auf der Grundlage übertriebener Schätzungen der amerikanischen Wissenschaft, der aserbaidschanischen Regierung und des kaspischen Ölkonsortiums.[13]

2) Zu Russland schrieb er, Putins Bonapartismus sei eine natürliche Folge der Unruhen der 1990er Jahre, als sich die Gesellschaft als Ganzes und die Neureichen im Besonderen nach einem starken Mann sehnten, der Ordnung, Stabilität und Legitimität auch für den illegal erworbenen Reichtum herstellte, auf Kosten der Einschränkung von Bürgerrechten. Darüber hinaus argumentiert Rasizade, dass der Untergang der UdSSR nur die erste Stufe im Prozess der eigenen Auflösung der Russischen Föderation war oder, wie er es unverblümt ausdrückt, Russland wie alle multinationalen Imperien in der Geschichte zum Zerfall verurteilt sei.[14]

3) Aserbaidschan ist seiner Ansicht nach ein klassischer Nahost-Petrostaat, der mit dem Ende des Ölbooms schließlich seinen legitimen Platz unter den verarmten muslimischen Nationen einnehmen wird, was durch seine Kultur, endemische Korruption und fehlende industrielle Ausstattung vorbestimmt ist. Er behauptet, dass der Ölboom nur eine Abweichung auf Aserbaidschans natürlichem Weg vom Kommunismus in die Dritte Welt war.[15]

4) Was Zentralasien anbelangt, ist sein Hauptargument die Vergeblichkeit der US-amerikanischen Bemühungen, dort die demokratischen Werte der europäischen Zivilisation durchzusetzen, da die Demokratie in muslimischen Ländern unweigerlich zur Wahl und Verankerung des Islamfaschismus führe. Anstelle einer direkten westlichen Intervention in der Region empfiehlt er die Unterstützung der lokalen Despoten, die mit brutal wirksamen Methoden des gleichen Islam den Frieden in der Region und die Ordnung in ihren Ländern aufrechterhalten können.[16]

Rasizades Algorithmus

Alec Rasizade im Jahre 2022

Die herausragendste Arbeit von Alec Rasizade, die internationale Anerkennung fand, war der gleichnamige Algorithmus der Niedergangstheorie, der in seinem Artikel von 2008 auf dem Höhepunkt der Ölpreise beschrieben wurde, als nichts ihren steilen Fall und den darauffolgenden Ausbruch der Weltfinanzkrise 2007–2008 vorhersagte, mit irreversiblen Folgen für ölexportierende Nationen.[17] Zuvor wurde die Wirkung steigender Ölpreise, die als Folge des Ölbooms die nationalen Währungen stärkten und die Wirtschaft der Rentierstaaten beeinflussten, nur durch die 1977 erstmals eingeführte Theorie der „Holländischen Krankheit“ beschrieben.[18] Jedoch konnte diese Theorie den weiteren Verlauf nach einem Ölpreisverfall auf dem Weltmarkt nicht vorhersagen: Was wäre aus den ölabhängigen Ländern nach dem Ende ihres Ölbooms geworden? Und genau das geschah 2008, als der Ölpreis von 147 Dollar pro Barrel Mitte des Jahres auf 32 Dollar zum Jahresende einbrach, also um 75 Prozent. Genau in diesem Moment erschien der oben erwähnte Artikel, in dem Rasizade die Kettenreaktion einer unvermeidlichen Abfolge von Ereignissen im Prozess der Verarmung, Degradierung und des Niedergangs des Lebensstandards von Nationen erläuterte, deren Wohlergehen vom Export natürlicher Ressourcen abhängt, wenn eine Veränderung unweigerlich eine andere nach sich zieht. Das Erscheinen des Artikels war so aktuell, dass der beschriebene, sich in Echtzeit entfaltende Algorithmus unter dem Namen seines Autors als typologisches Modell in die wissenschaftliche Literatur aufgenommen wurde.[19]

Rasizades Algorithmus kann kurz und bündig als folgende Kettenreaktion (Dominoeffekt) beschrieben werden: Ein Rückgang der Ölförderung oder ein Rückgang des Ölpreises führt zu einem gleichzeitigen Rückgang des Zuflusses von Petrodollars, was zum Zusammenbruch der Einnahmen und Ausgaben des Finanzministeriums führt. Die Folge ist eine Abwertung der lokalen Währung, die (in einem freien Markt) zu einem Preisverfall von Waren, Dienstleistungen und Immobilien in Dollar führt, was die Steuerbasis drückt, wodurch der Abbau staatlicher Bürokratie, landesweite Entlassungen und Insolvenzen im privaten Bereich resultieren. Dieses schmälert die Steuerbasis weiter, was zu Kürzungen von Löhnen und Sozialleistungen führt, und bewirkt eine Verarmung der Bevölkerung, was eine wachsende Unzufriedenheit der Machtelite auslöst, was einen Regimewechsel mit Umverteilung von Reichtum und Eigentum hervorrufen kann. Dann wiederholt sich der ganze Zyklus auf einem niedrigeren Niveau der Einnahmen und des Lebensstandards bis zum endgültigen Absturz dieses Landes in seinen historisch legitimen und wirtschaftlich stabilen Platz unter den Nationen der Dritten Welt. Dies ist die letzte Stufe des Algorithmus, nach der eine industrielle Entwicklung in einem bestimmten Zustand beginnen kann (oder auch nicht, wie die Erfahrung rückständiger Länder zeigt) – eine solche Vorhersage eignet sich weder für politische noch für wirtschaftliche Berechnungen und hängt von der Mentalität ab und Traditionen jeder einzelnen Nation. Daher können diese Nationen, nachdem sie sich an neue Lebensstandards angepasst haben, auf unbestimmte Zeit im Zustand der Entropie existieren.[20]

Werke (Auswahl)

Eines seiner Bücher (London 2004)
Commons: Alek Rasizade – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Querverweise zu den Werken von A. Rasizade (Google Scholar).
  2. А.Ш.Расизаде. Установление военно-политического союза США и Турции в 1947-1952 годах (автореферат кандидатской диссертации). Издательство МГУ, Москва, 1974, 24 стр.
  3. А.Ш.Расизаде. Турция в системе НАТО (докторская диссертация). Издательство Наука (АН СССР), Москва, 1990, 389 стр.
  4. А.Ш.Расизаде. Школа американистики в Азербайджане. = Учёные записки АГУ (Баку), 1978, номер 4, стр.70-98.
  5. Alec Rasizade. Perestroika and breakup of the USSR (PhD dissertation). USF dissertation series: University of South Florida Press, Tampa, 1995, 257 pages.
  6. Lectures of prof. Rasizade at the University of California (Berkeley) in 1997.
  7. Lectures of prof. Rasizade at the University of California (Berkeley) in 2002. (PDF; 1,6 MB)
  8. Central Asia in transition to the Third World. (Working papers of the Harriman Central Asia program). Columbia University Press. New York, 1999, 725 pages.
  9. Alek Rasizade am Foreign Policy Research Institute (Philadelphia).
  10. Alek Rasizade vom Kennan Institute (Washington).
  11. Siehe Abstracts und Zitate dieser Studien unter Research Gate.
  12. Alek Rasizade im Beirat einer von Routledge veröffentlichten Zeitschrift (London).
  13. A.Rasizade. Azerbaijan and the oil trade: prospects and pitfalls. = The Brown Journal of World Affairs (Brown University Press), Summer-Fall 1997, volume 4, number 2, pages 277—294; A. Rasizade. Azerbaijan, the US and oil prospects on the Caspian Sea. = Journal of Third World Studies (Association of Third World Studies), Spring 1999, volume 16, number 1, pages 29-48; A.Rasizade. Mythology of the munificent Caspian bonanza and its concomitant pipeline geopolitics. = Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East (Duke University Press), 2000 double issue, volume 20, numbers 1–2, pages 138—152; A. Rasizade. The great game of Caspian energy: ambitions and the reality. = Journal of Southern Europe and the Balkans (London: Taylor & Francis), April 2005, volume 7, number 1, pages 1–17.
  14. A.Rasizade. Perestroika and breakup of the USSR (USF dissertation series). University of South Florida Press, Tampa, 1995, 257 pages; A. Rasizade. Putin’s mission in the Russian Thermidor. = World Affairs (Delhi), Winter 2007, volume 11, number 4, pages 142–176; A. Rasizade. Putin’s mission in the Russian Thermidor. = Communist and Post-Communist Studies (Amsterdam: Elsevier publishers for the University of California), March 2008, volume 41, number 1, pages 1–25; A. Rasizade. Putin’s place in Russian history. = International Politics (London: Palgrave-Macmillan), September 2008, volume 45, number 5, pages 531-553; A.Rasizade. A propos of the Georgian war: reflections on Russia's revanchism in its near abroad. = Journal of Balkan and Near Eastern Studies (London: Taylor & Francis), March 2009, volume 11, number 1, pages 9–27.
  15. A.Rasizade. Azerbaijan descending into the Third World after a decade of independence. = Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East (Duke University Press), 2002 double issue, volume 22, numbers 1–2, pages 127–139; A. Rasizade. Azerbaijan after a decade of independence: less oil, more graft and poverty. = Central Asian Survey (London: Taylor & Francis), December 2002, volume 21, number 4, pages 349–370; A. Rasizade. Azerbaijan in transition to the "new age of democracy." = Communist and Post-Communist Studies (Los Angeles: Pergamon Press for the University of California), September 2003, volume 36, number 3, pages 345–372; A. Rasizade. Azerbaijan after Heydar Aliev. = Nationalities Papers (London: Taylor & Francis), March 2004, volume 32, number 1, pages 137–164; A. Rasizade. L'imbroglio du Karabakh: une perspective azérie (translated into French by B.Eisenbaum). = Les Cahiers de l'Orient (Paris), Hiver 2011, numéro 101, pages 83–95.
  16. A.Rasizade. Dictators, Islamists, big powers and ordinary people: the new 'great game' in Central Asia. = Internationale Politik und Gesellschaft (Bonn: F.Ebert Stiftung), July 2002, number 3, pages 90–106; A. Rasizade. Na Afghanistan het nieuwe Grote Spel in Centraal-Azië (translated into Dutch by G. J. Telkamp). = Internationale Spectator (The Hague: Netherlands Institute of International Relations), October 2002, volume 56, number 10, pages 494–500; A. Rasizade. Entering the old 'great game' in Central Asia. = Orbis (Philadelphia: Pergamon Press for Foreign Policy Research Institute), Winter 2003, volume 47, number 1, pages 41–58; A. Rasizade. The new 'great game' in Central Asia after Afghanistan. = September 11 and World Politics (edited by G. Bacik & B. Aras). Fatih University Press, Istanbul, 2004, chapter 8: pages 127–143.
  17. A.Rasizade. The end of cheap oil. = Contemporary Review (Oxford), Autumn 2008, volume 290, number 1690, pages 273—284.
  18. The Dutch disease. = The Economist (London), 26.XI.1977, pages 82–83.
  19. Siehe beispielsweise: K.M.Morrison. Oil, nontax revenue and the redistributional foundations of regime stability. = International Organization (Cambridge University Press), January 2009, volume 63, number 1, pages 107-138; O.J.Blanchard & J.Galí. The macroeconomic effects of oil price shocks. = International Dimensions of Monetary Policy (University of Chicago Press), Summer 2009, pages 182-203; J.D.Hamilton. Causes and consequences of the oil shock of 2007-2008. = University of California at San Diego, 2009, 69 pages; R.Torvik. Why do some resource-abundant countries succeed while others do not? = Oxford Review of Economic Policy, July 2009, volume 25, issue 2, pages 241–256.
  20. Die vollständige Beschreibung dieser Theorie findet sich unter: Algorithm of Rasizade (basic principles). = The Russian Question, 15.VII.2022.