Albert Gazier

Albert Gazier (* 16. Mai 1908 in Valenciennes, Département Nord; † 2. März 1997 in Vanves, Département Hauts-de-Seine) war ein französischer Gewerkschaftsfunktionär und Politiker der Section française de l’Internationale ouvrière (SFIO), der unter anderem Staatssekretär und Minister in zahlreichen Regierungen der Vierten Republik war.
Leben
Gewerkschaftsfunktionär, Zweiter Weltkrieg und Widerstandsbewegung
Albert Gazier, Sohn eines Literaturlehrers, wurde nach dessen Tode 1916 mit acht Jahren Halbwaise und besuchte mit einem staatlichen Stipendium des Lycée d’Orléans und das renommierte Lycée Condorcet. Er absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften, welches er mit einem Licence de droit beendete und arbeitete daneben beim Universitätsverlag Presses Universitaires de France (PUF) als Buchhändler. Er trat der Gewerkschaft der Sozialversicherungskassen (Union des Caisses d’Assurances sociales) bei und wurde Mitglied in Bois-Colombes Mitglied der Französischen Sektion der Arbeiter-Internationale SFIO (Section française de l’Internationale ouvrière), aus der 1969 die Sozialistische Partei PS (Parti socialiste) hervorging. Seine berufliche Laufbahn bei der Gewerkschaft begann er nach der Wiedervereinigung der 1921 gespaltenen Gewerkschaftsverbände Confédération générale du travail (CGT) und Confédération Générale du Travail Unitaire (CGTU) im März 1936 und war daraufhin zwischen 1936 und 1946 Generalsekretär der CGT der Region Paris. Daneben war er auch regelmäßiger Mitarbeiter des Höheren Instituts für Arbeiterbildung des Gewerkschaftsbundes (Institut supérieur d'éducation ouvrière de la CGT), für das er mehrere Broschüren verfasste.
Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er im September 1939 zum Militärdienst einberufen und nach dem Waffenstillstand von Compiègne am 22. Juli 1940 und der deutsche Besetzung Frankreichs demobilisiert. Anschließend spielte er während des Krieges eine sehr wichtige Rolle beim Wiederaufbau der Gewerkschaften und war neben Christian Pineau,[1] dem Generalsekretär des Bundes christlicher Arbeiter CFTC (Confédération française des travailleurs chrétiens) Gaston Tessier und Louis Saillant einer der zwölf Gewerkschaftsaktivisten, die im Herbst 1940 das Manifest des Widerstands (Manifeste des douze) gegen die Besatzung unterzeichneten, um das sich allmählich der gewerkschaftliche Widerstand formierte. Er blieb Generalsekretär der Gewerkschaft der Angestellten der Region Paris und beteiligte sich aktiv an der heimlichen Reorganisation der CGT und an der Führung der Bewegung Libération Nord innerhalb der Résistance. 1942 entging er der Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei und suchte 1943 Zuflucht im Jura, bevor er England erreichte. Von dort zog er nach Algier, wo er die CGT gegenüber den Freien französischen Streitkräften FFL Forces françaises libres General Charles de Gaulle[2] und anschließend in der Provisorischen Beratenden Versammlung (Assemblée consultative provisoire) vertrat, in der er auch Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten war.
Nach der Befreiung (La Libération) kehrte Gazier nach Frankreich zurück und nahm als Sekretär des CGT-Bundesbüros (Bureau confédéral de la Confédération générale du travail) neben Louis Saillant, Robert Bothereau und Léon Jouhaux eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau der Gewerkschaften ein. Im Februar 1945 schlug er auf der provisorischen Weltgewerkschaftskonferenz in London vergeblich den Ausschluss politischer und gewerkschaftlicher Mandate vor.
Abgeordneter, Staatssekretär und Minister
Darüber hinaus wurde er für das Département Seine am 21. Oktober 1945 für die SFIO zum Mitglied der Verfassunggebenden Versammlung (Assemblée constituante) gewählt und gehörte dieser beziehungsweise ab November 1946 der Nationalversammlung (Assemblée nationale) nach seinen Wiederwahlen am 2. Juni 1946, am 10. November 1946, am 17. Juni 1951 und am 2. Januar 1956 bis zum 5. Dezember 1958 an. Im provisorischen Kabinett Gouin bekleidete er vom 26. Januar bis zum 24. Juni 1946 das Amt des Unterstaatssekretärs im Minister für internationale Wirtschaft und Finanzen (Sous-secrétaire d’État à l’Économie nationale et aux Finances) und war damit Mitarbeiter von Minister André Philip.[3] Im Anschluss war er im provisorischen Kabinett Bidault I zwischen dem 24. Juni und dem 16. Dezember 1946 als Unterstaatssekretär im Ministerium für öffentliche Arbeiten und Verkehr (Sous-secrétaire d’État aux Travaux publics et aux Transports) Vertreter von Minister Jules Moch.[4] Im darauf folgenden provisorischen Kabinett Blum III bekleidete er vom 16. Dezember 1946 bis 22. Januar 1947 als Secrétaire d’État à la Présidence du Conseil das Amt des Staatssekretärs beim Premierminister Léon Blum.[5] Er gehörte des Weiteren von 1947 bis 1969 dem Exekutivkomitee der SFIO als Mitglied an.
Am 12. Juli 1950 wurde Albert Gazier als Informationsminister (Ministre de l’Information) in das Kabinett Pleven I berufen und bekleidete dieses Ministeramt im Anschluss zwischen dem 10. März und dem 11. August 1951 auch im Kabinett Queuille III.[6] Er wurde am 1. Februar 1956 als Sozialminister (Ministre des Affaires sociales) in das Kabinett Mollet berufen und behielt dieses Ministeramt vom 13. Juni bis zum 6. November 1957 auch im Kabinett Bourgès-Maunoury.[7] Zuletzt bekleidete er vom 17. Mai bis zum 1. Juni 1958 im Kabinett Pflimlin noch einmal den Posten des Informationsministers.
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Nach seinem Ausscheiden aus Regierung und Nationalversammlung widersetzte er sich der Rückkehr General de Gaulles an die Macht, schloss sich jedoch nicht seinen oppositionellen Genossen an, die um Édouard Depreux[8] 1958 die Autonome Sozialistische Partei PSA (Parti socialiste autonome) gründeten. 1971 unterstützte er François Mitterrand[9] auf dem Kongress von Épinay und wurde Mitglied des Exekutivkomitees der Sozialistischen Partei PS (Parti socialiste). 1971/72 war er aktiv an der Ausarbeitung des sozialistischen Programms beteiligt und fungierte zwischen 1973 und 1977 als Generaldelegierter des Expertenkomitees der Sozialistischen Partei. Zuletzt war er von 1983 bis 1988 Mitglied des Hohen Justizrates CSM (Conseil supérieur de la magistrature), ein Verfassungsorgan, dessen Aufgabe es ist, die Unabhängigkeit der Richter in der Justiz von der Exekutive zu gewährleisten. Nach seinem Tode wurde er auf dem Friedhof von Vanves beigesetzt.
Veröffentlichungen
- L’employé, ses droits, ses devoirs, Presses universitaires de France, Paris 1941
- Les socialistes et l’Europe, SFIO, Paris 1962
- Albert Gazier. Autour d’une vie de militant, Autobiografie (posthum), Harmattan, Paris 2006, ISBN 2-2960-0-5926
Weblinks
- Pierre Garet. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
Einzelnachweise
- ↑ Christian Pineau. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Gaulle, Charles (André Joseph Marie) de. rulers.org, abgerufen am 26. August 2025 (englisch).
- ↑ André, Louis Philip. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Jules Moch. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Léon, André Blum. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ France: Information Ministers. rulers.org, abgerufen am 26. August 2025 (englisch).
- ↑ France: Social Affairs Ministers. rulers.org, abgerufen am 26. August 2025 (englisch).
- ↑ Edouard, Gustave, Hector Depreux. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ François Mitterrand. Homepage der Nationalversammlung, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).