Aktivstall
Als Aktivstall (analog: Bewegungsstall) wird eine Haltungsform für Pferde bezeichnet, die 2000/2001 entwickelt wurde. Dabei leben mehrere Pferde in einer Herde zusammen und können sich auf einer eingezäunten Fläche frei bewegen (WAGENER-KETTLER 2016). Im Vergleich zur Einzelboxenhaltung gilt diese Haltungsform als deutlich geeigneter und gewinnt heutzutage immer mehr an Beliebtheit, da sie den Pferden ermöglicht, ihren Sozialkontakt und ihr natürliches Herdentierverhalten besser auszuleben als in reiner Boxenhaltung (FUCHS et al. 2012, KEIDEL 2021). Das Hauptkriterium eines Aktiv-/Bewegungsstalls ist zum einen die Trennung der Funktionsbereiche (Fressen, Ruhen, spielen etc.) und zum anderen der Einsatz von (Fütterungs-)technik, wie zum Beispiel zeitgesteuerte Raufen oder Stationen zur individuellen Fütterung von Kraft-, Mineral- und/oder Raufutter, oft kombiniert mit Selektionsmöglichkeiten. So können die Pferde aktiv zur Bewegung angeregt sowie individuell versorgt werden.
Gegebenheiten
Ein zentrales Merkmal eines Aktivstalls – im Gegensatz zum herkömmlichen Laufstall – ist die automatische Fütterung. Die Pferde tragen entweder ein Halsband mit Transponder oder ein Fußband am Vorderbein, das ebenfalls einen Transponder enthält. In speziellen Futterstationen werden sie durch einen Computer erkannt – je nach Position des Transponders entweder über eine Trog- oder eine Bodenantenne – und erhalten nach der Identifikation eine individuell zugeteilte Futtermenge.
Das Futter kann dabei in kleinen Portionen über den gesamten Tag verteilt werden. Dies entspricht dem natürlichen Fressverhalten der Pferde, die als Dauerfresser auf eine kontinuierliche Nahrungsaufnahme angewiesen sind (LELL et al. 2013). Trotz ihrer Körpergröße besitzen Pferde nur einen vergleichsweise kleinen Magen mit einem Fassungsvermögen von etwa 12 bis 15 Litern. Eine gleichmäßige, über den Tag verteilte Fütterung ist daher besonders magen- und gesundheitsfreundlich.
Zusätzlich wird durch dieses System die Bewegung der Tiere gefördert: Um zur Kraftfutterstation zu gelangen, müssen sie sich aktiv dorthin bewegen – idealerweise mehrmals am Tag. Der Rückweg zur Herde führt im besten Fall über einen eigens angelegten Trail, der bewusst länger gestaltet ist. So legen die Pferde regelmäßig Wege zurück, was sich positiv auf ihre körperliche Fitness, Verdauung und Gelenkgesundheit auswirkt (LAG e.V.).
Auch das Sozialverhalten profitiert: Die Pferde sind durch die regelmäßige Futteraufnahme, die Bewegung und die damit verbundene Struktur im Tagesablauf besser ausgelastet und beschäftigt. Das reduziert Stress, beugt Langeweile vor und kann das Konfliktpotenzial innerhalb der Herde deutlich senken.
Sowohl Kraftfutter als auch Raufutter können auf diese Weise bedarfsgerecht zugeteilt werden. Das Raufutter wird entweder über separate Futterstationen oder über große Heuraufen angeboten, die entweder ad libitum zugänglich sind oder durch zeitgesteuerte Schieber reguliert werden.
Zwecke
Werden die verschiedenen Funktionsbereiche im Aktivstall – also Liegeflächen, Kraftfutter- und Raufutterstationen – räumlich möglichst weit voneinander getrennt, fördert dies gezielt die Bewegung der Pferde. Um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen, müssen sie mehrmals täglich aktiv werden: Sie besuchen die Futterstationen und suchen den Liegebereich zum Ruhen auf. Diese Wege fordern regelmäßige Bewegung und machen die Pferde wortwörtlich „aktiv“ (ROMANAZZI 2011).
Eine wichtige Ausnahme stellt jedoch die Tränke dar: Sie sollte nicht als Bewegungselement dienen. Besonders ältere Pferde – ähnlich wie ältere Menschen – neigen ohnehin dazu, weniger zu trinken. Deshalb ist es entscheidend, dass die Tränken zentral und gut erreichbar angelegt werden. Je nach Tieranzahl im Bewegungsstall sollten zudem mehrere Tränkestellen zur Verfügung stehen, um Stress und Konkurrenz zu vermeiden (WAGENER-KETTLER 2016).
Zusätzlich zu den alltäglichen Wegen zwischen den Funktionsbereichen können gezielt angelegte Trails integriert werden, über die die Pferde nach dem Besuch einer Station zurück zur Gruppe gelangen. Diese durchdachte Streckenführung erhöht nicht nur die Bewegungsanreize, sondern auch die tatsächlich zurückgelegte Distanz pro Tag. Im Aktivstall legen Pferde auf diese Weise im Durchschnitt 8 bis 12 Kilometer täglich zurück – deutlich mehr als ein Pferd in herkömmlicher Boxenhaltung, das sich durchschnittlich nur etwa 170 Meter pro Tag bewegt (0,17 km) (ZEITLER-FEICHT 2001, WAGENER-KETTLER 2016).
Die gezielte Bewegungsförderung durch funktionale Raumgestaltung, ergänzt durch längere Trails, sowie die kleinteilige Futterzuteilung und das Prinzip der eigenständigen „Futterbeschaffung“, wirken sich insgesamt äußerst positiv auf die Gesundheit der Pferde aus (HOFFMANN 2008): Die Verdauungsorgane werden durch die kontinuierliche Futteraufnahme entlastet, Sehnen und Gelenke profitieren von der gleichmäßigen Beanspruchung, und auch die Psyche der Pferde wird durch Struktur, sinnvolle Beschäftigung und soziale Interaktion gestärkt. Zusätzlich werden Langeweile und Konflikte innerhalb der Herde reduziert.
Herausforderungen
Die Aktivstallhaltung bietet zahlreiche Vorteile für das Wohlbefinden von Pferden, bringt aber auch wichtige Anforderungen und Herausforderungen mit sich, die bei der Planung und Umsetzung berücksichtigt werden müssen.
Ein entscheidender Faktor für das harmonische Zusammenleben in Gruppen ist ausreichend Platz. Studien (AHLSWEDE et al. 2016; KRÜGER 2016) empfehlen eine Auslauffläche von mindestens 100 m² pro Pferd sowie etwa 10 m² strukturierte, trockene und weiche Liegefläche. Ein großzügiges Platzangebot ist essenziell, um Aggressionen und Verletzungsrisiken zu minimieren. KRÜGER (2016) zeigte, dass mit sinkendem Platzangebot nicht nur das aggressive Verhalten, sondern auch Verletzungen – vor allem durch Schlagen und Beißen – zunehmen. Ebenso ist die Stallgröße inklusive überdachter Flächen und Auslaufflächen entscheidend für ein stabiles Sozialverhalten.
Neben der reinen Fläche ist die Gestaltung der Infrastruktur von großer Bedeutung. Engstellen und Sackgassen müssen vermieden werden, damit Pferde Rückzugsmöglichkeiten haben. Fütterungseinrichtungen müssen so konzipiert sein, dass auch rangniedrige Tiere in Ruhe fressen können, um Futterneid und Konkurrenz zu reduzieren. Hier hat sich die Kombination aus automatisierter Transponderfütterung mit Ad-libitum-Grundfutter als besonders vorteilhaft erwiesen (KRÜGER 2016). Diese Technik ermöglicht kleine, häufige Mahlzeiten, die individuell auf jedes Pferd abgestimmt sind und so das agonistische Verhalten beim Fressen deutlich reduzieren.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Wasserversorgung: Pro maximal 15 Pferde sollte eine beheizbare Tränke mit ausreichendem Wasserzufluss vorhanden sein, die von den Tieren jederzeit selbstständig genutzt werden kann. Die gesamte Auslauffläche muss zudem so befestigt sein, dass alle Pferde jederzeit trockenen Hufes fressen, ruhen und trinken können (WAGENER-KETTLER 2016).
Moderne digitale Technik unterstützt sowohl die Wirtschaftlichkeit als auch das Tierwohl im Aktivstall. Automatisierte Fütterungssysteme verteilen die Rationen über den Tag, verhindern Futterneid und geben sofortige Hinweise, wenn ein Pferd seine Portion nicht annimmt. KI-gestützte Kamerasysteme ermöglichen eine 24/7-Verhaltens- und Gesundheitsüberwachung, was menschlichen Beobachtungen oft überlegen ist. Außerdem helfen Sensoren bei der optimalen Lagerung und Planung von Futtermitteln, was Ressourcen effizient einsetzt (STRUSS et al. 2025).
Die Haltung in sozialen Gruppen zeigt sich auch für Sportpferde als geeignet: Verschiedene Studien (GERKEN et al. 1996, LEHMANN 2000, ARNEMANN 2003) belegen, dass sich trotz hoher Besatzdichte Aggressionen meist in Grenzen halten und sich Verhaltensauffälligkeiten im Vergleich zur Einzelboxenhaltung deutlich reduzieren. Gerade Boxenpferde leiden oft unter fehlendem Sozialkontakt: Untersuchungen von CHRISTENSEN et al. (2002) zeigten, dass Pferde aus Einzelhaltung ihre Boxennachbarn nicht wiedererkannten und sogar eine erhöhte Aggressionsrate aufwiesen.
Planungsfehler wie Engpässe oder Möglichkeiten, Futterstationen zu monopolisieren, steigern das aggressive Verhalten mehr als das Platzangebot allein. Wichtig ist, dass keine Grundbedürfnisse der einzelnen Pferde vernachlässigt werden und ausreichend Rückzugsmöglichkeiten bestehen, um Konflikte zu reduzieren. Ebenfalls die soziale Dynamik in der Gruppe verlangt von den Betreibern viel Erfahrung und gutes Management.[1] Bei erfolgreicher Sozialisierung der einzelnen Pferde sollte die Gruppenhaltung keine Probleme aufweisen (ZECH 2018, Deutsche Reiterliche Vereinigung 2021).
Insgesamt zeigt sich, dass die Aktivstallhaltung – trotz der notwendigen Investitionen und des Mehraufwands in Technik und Management – eine sehr artgerechte und förderliche Umgebung für Pferde schafft. In der Schweiz stehen schon ca. 150 Aktivställe.[2] Die Kombination aus genügend Platz, durchdachter Infrastruktur und moderner Technik verbessert nachhaltig das Sozialverhalten, verringert Stress und Verletzungsrisiken und unterstützt Gesundheit sowie Wohlbefinden der Tiere. So gewinnt der Aktivstall gegenüber herkömmlichen Haltungssystemen klar an Bedeutung und bietet eine zukunftsfähige Lösung für Pferdehaltung, die sowohl den Bedürfnissen der Tiere als auch den Anforderungen der Betreiber gerecht wird.
Literatur
- AHLSWEDE L, DOHN H, ENSE H, FINK G, GÖDEKE F, HARING H, HERTSCH B, MÜLLER C, SALDERN F, SCHNITZER U, SCHOCKEMÖHLE W, SCHULZE-NIEHUES L, ZEEB K. 2016. Ställe, Nebenräume und Bewegungsflächen. In: Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN), Hrsg. Grundwissen zur Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht. 17. Aufl. Warendorf: FN Verlag Deutsche Reiterliche Vereinigung GmbH, 162–196.
- ARNEMANN, S. (2003): Haltung von Sportpferden unter besonderer Berücksichtigung der Leistung. Dissertation Tierärztliche Hochschule Hannover.
- CHRISTENSEN, J.W., LADEWIG, J., SONDERGAARD, E. und MALMKVIST, J. (2002): Effects of individual versus group stabling on social behaviour in domestic stallions. Applied Animal Behaviour Science 75, S. 233–248.
- Einzelhaltung und Gruppenhaltung von Pferden. In: pferd-aktuell.de. DEUTSCHE REITERLICHE VEREINIGUNG, 2021, abgerufen am 18. März 2021.
- GERKEN, M., KIENE, M., KREIMEIER, P. und BOCKISCH, F.-J. (1996): Verhalten von Trabrennpferden in Gruppenauslaufhaltung und in Einzelhaltung. KTBLSchrift 376:132-143 GROGAN und MCDONNELL 2005
- Monika Krämer: Siege werden im Stall errungen. Fn-Verlag, 2005, ISBN 3-88542-392-8
- FUCHS C, STEINMETZ A, SCHULDT A, VAN DEN WEGHE H, GARLIPP F, LANG C. 2012. Haltungsverfahren. In: KTBL, Hrsg. Pferdehaltung Planen und kalkulieren. Erste Aufl. Darmstadt: KTBL Verlag, 70–85.
- HOFFMANN, G. (2008): Bewegungsaktivität und Stressbelastung bei Pferden in Auslaufhaltungssystemen mit verschiedenen Bewegungsangeboten. Dissertation Universität Giessen. LEBELT 1998
- KEIDEL C.: Offenstallhaltung – Pferdehaltung im Offenstall. In: reiterfragen.de. 2021, abgerufen am 18. März 2021.
- KRÜGER, K. et al. (2016): Aggressionslevel und Platzangebot bei Pferden. Leipziger Blaue Hefte Bad 2, S. 144.
- LAG e.V.: Bewegung – Laufstall-Arbeits-Gemeinschaft für artgerechte Pferdehaltung e.V. (2025)
- LEHMANN, K. (2000): Einfluss des Trainingszustandes auf die soziale Rangordnung von Pferden. Dissertation Tierärztliche Hochschule Hannover. SEIDENSTICKER 1999
- LELL, R., CZURDA, C., & GOLBIK, T. (2013). Das Pferdebuch:-Natürlich anders. BoD–Books on Demand.
- ROMANAZZI T.: Offenstallwissen. In: offenstallkonzepte.com. 2011, abgerufen am 11. April 2021.
- STRUSS, I., MICHELS, M., MUSSHOFF, O. und SCHADE, W. (2025): Pferdebetrieb, 06–07/2025, Seite 30–38.
- ZECH K. 2018. Tiergerechte Pferdehaltung. In: Deutsche Reiterliche Vereinigung e.V. (FN), Hrsg. FN-Praxishandbuch für Pferdehalter. Erste Aufl. Warendorf: FN Verlag der Deutschen Reiterlichen Vereinigung GmbH, 83–98.
- ZEITLER-FEICHT, M. H. (2001): Handbuch Pferdeverhalten. Eugen Ulmer Verlag: Stuttgart.
- WAGENER-KETTLER, A. (2016): Bewertungskriterien artgerechter Ställe für Pferde in Gruppenhaltung. Leipziger Blaue Heft Band 2, S. 133 ff.
Weblinks
Belege
- ↑ Dr. Iris Bachmann: Haltungsmanagement. In: Agroscope – Schweizerisches Nationalgestüt (SNG), Avenches. Kavallo, 1. Februar 2015, abgerufen am 1. Mai 2025.
- ↑ Aktivstall Verzeichnis Schweiz. Pferdestall24, abgerufen am 1. Februar 2025.