Abkommen von Taif

Das Abkommen von Taif vom 22. Oktober 1989 beendete den seit 1975 andauernden libanesischen Bürgerkrieg. Es war das zweite Abkommen, das in der saudi-arabischen Stadt Ta'if geschlossen wurde. Das erste Abkommen von Taif beendete im Jahr 1934 den Saudischen Krieg.

Der Weg zum Abkommen

Zu Beginn der 1980er Jahre, als der libanesische Bürgerkrieg eskalierte, kam es zu mehreren Initiativen, einen Frieden zwischen den Konfliktparteien auszuhandeln. Im Jahr 1985 wurde zunächst das sogenannte Tripartite Agreement in Damaskus geschlossen. Dies wurde von den drei zu diesem Zeitpunkt einflussreichsten Milizenführern, Elie Hobeika (von den christlichen Forces Libanaises), dem Drusenführer Walid Dschumblat (PSP) und dem Anführer der schiitischen Amal, Nabih Berri, unter syrischem Patronat ausgehandelt, scheiterte jedoch an der fehlenden Legitimation der Milizenführer in den Augen der von ihnen vertretenen Bevölkerungsgruppen. Insbesondere unter den Maroniten, der größten christlichen Gruppe im Libanon, stieß das Abkommen auf vehementen Widerstand.

Nach dem Scheitern des Tripartite Agreements folgten weitere Initiativen, denen kaum öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwurde.

Im Jahr 1989 verschlechterte sich die politische Lage im Libanon dramatisch. Für den amtierenden Staatspräsidenten, Amin Gemayel, konnte kein Nachfolger gefunden werden, der von allen Bevölkerungsgruppen akzeptiert wurde. Das Amt des Präsidenten wurde daher erstmals vakant. In seiner letzten Amtshandlung setzte Gemayel den Maroniten Michel Aoun zum Premierminister ein, obwohl diese Position nach dem Nationalpakt von 1943 einem sunnitischen Muslim vorbehalten sein sollte (nur einmal hatte es schon zuvor für kurze Zeit einen maronitischen Premierminister gegeben). Die Vorgängerregierung unter Selim al-Hoss erkannte die Neubesetzung des Ministerpräsidenten nicht an und blieb im Amt, sodass es nun faktisch zwei Regierungen im Libanon gab.

Ausgelöst durch den sogenannten Krieg der Nationalen Befreiung, den Michel Aoun ausgerufen hatte und dessen erklärtes Ziel es war, Syrien aus dem Libanon zu vertreiben, verschlechterte sich die humanitäre Lage. Eine erneute internationale Intervention schien in Aussicht, wurde jedoch von der Annäherung Syriens und der USA vor dem Hintergrund des heraufziehenden Golfkrieges verhindert.

Angesichts des Scheiterns der Konfliktlösung sowohl durch militärische Mittel wie auch durch einen Frieden zwischen den wichtigsten Milizenführern startete die Arabische Liga eine Initiative, deren Ziel es war, die Abgeordneten des libanesischen Parlaments an einem neutralen Ort zu versammeln, damit sie dort „in Ruhe“ einen Vertrag aushandeln konnten. Dies stieß bei fast allen Seiten auf Zustimmung. Schließlich trat das Parlament, das letztmals 1972 gewählt worden war, in der saudi-arabischen Stadt Ta'if zusammen. Es war noch nach dem alten Konfessionsproporz von sechs Christen zu fünf Muslimen besetzt. Von den 1972 gewählten Abgeordneten waren 1989 noch 78 am Leben. Der 1975 ausgebrochene Bürgerkrieg hatte Neu- oder Nachwahlen immer wieder verhindert.

Der Weg zum Frieden

Die Verhandlungen in Ta'if zogen sich erheblich länger hin als erwartet. Da die Rolle Syriens im Libanon besonders umstritten war, wurde dieses Thema von den übrigen Verhandlungen entkoppelt und die innerstaatlichen Reformen als erstes diskutiert, jedoch unter dem Vorbehalt, dass die dort erzielte Einigung nur gelten solle, wenn am Ende auch über die Beziehungen zu Syrien Einigkeit erreicht würde. Die umstrittensten Verfassungsänderungen lagen auf drei Gebieten: der Rolle des Präsidenten, der Funktion des Parlamentssprechers und einer grundlegenden Reform des konfessionell gegliederten politischen Systems.

Das Amt des Präsidenten

Seit dem Nationalpakt von 1943 war das Amt des Präsidenten einem maronitischen Christen vorbehalten. Der Ministerpräsident sollte dafür immer ein sunnitischer Muslim sein, und das Amt des Parlamentssprechers sollte von einem schiitischen Muslim bekleidet werden. Die Kompetenzen des Präsidenten wurden in Ta'if stark beschnitten. Dennoch wurden ihm nicht nur repräsentative Funktionen belassen, sondern er blieb u. a. auch oberster Befehlshaber der Streitkräfte des Libanon. Des Weiteren erhielt er weitreichende Soft Powers, und obgleich er nicht mehr per Dekret regieren kann, stehen ihm verschiedene Mittel zur Verfügung, lenkend in den politischen Prozess einzugreifen. Seine exekutiven Funktionen wurden weitgehend auf das Kabinett übertragen. In der Praxis jedoch nahm diese Aufgaben zumeist der Ministerpräsident wahr.

Der Parlamentspräsident

Äußerst umstritten war die Stärkung des Amtes des Parlamentspräsidenten. Hussein al-Husseini, der zu der Zeit dieses Amt ausübte, konnte sich hier auf voller Linie durchsetzen. Das Mandat wurde auf vier Jahre verlängert, seine Kompetenzen und Mitwirkungsbefugnisse wurden erheblich ausgeweitet.

Reform des konfessionell gegliederten politischen Systems

Das libanesische politische System beruht auf der Aufteilung der Macht unter den verschiedenen konfessionellen Gruppen des Landes. Ein erklärtes Ziel einiger Bürgerkriegsparteien, u. a. der PSP war die komplette Säkularisierung des politischen Systems. Andere forderten gar die komplette Laïzisierung (also auch im gesellschaftlichen Bereich). Jedoch konnten sich diese Stimmen nicht durchsetzen. Und so wurde in das Abkommen von Taif lediglich ein programmatisches Bekenntnis aufgenommen, nachdem es das grundlegende Ziel aller sei, das konfessionelle System zu überwinden.

Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht äußert sich das Abkommen von Taif nicht zu der Frage der konfessionsbezogenen Ämterverteilung. Doch wurde die 6:5-Formel im Verhältnis von Christen und Muslimen in Bezug auf ihre Repräsentanz im Parlament aufgehoben und durch die Formel 50 zu 50 % ersetzt. Inwieweit dies den tatsächlichen Bevölkerungsproporz abbildet, ist zweifelhaft. Exakte Statistiken liegen nicht vor.

Die überwiegend konfessionell gebundenen Bürgerkriegsmilizen sollten entwaffnet und aufgelöst bzw. in reguläre Parteien umgewandelt werden, und anstelle der von Aoun geführten Streitkräfte sollte mit syrischer Hilfe eine neue libanesische Armee aufgebaut werden.

Das Verhältnis zu Syrien

Außenpolitisch wurden „besondere Beziehungen“ zwischen Libanon und Syrien vereinbart. Dadurch wurde der Spielraum libanesischer Entscheidungen und damit die Souveränität des Libanon eingeschränkt. Das Abkommen sah den Abzug der syrischen Truppen vor, zuerst auf die Bekaa-Ebene und danach gemäß beidseitigem Einvernehmen. Syriens Argument gegen einen Abzug war, dass dieser erst im Rahmen einer umfassenderen Friedenslösung im Nahen Osten möglich sei, also erst nach der Rückgabe der seit 1967 von Israel besetzten Golan-Höhen an Syrien und nach einer Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern. Der Libanon wurde somit zum Faustpfand in einem größeren, von ihm selbst kaum beeinflussbaren Machtgefüge. So erfolgte der Abzug der syrischen Truppen erst 2005 auf internationalen Druck nach dem Attentat auf den Fahrzeugkonvoi des früheren libanesischen Premierministers Rafik al-Hariri. Syrien wurde von den USA indirekt und von der antisyrischen libanesischen Opposition offen der Ermordung al-Hariris bezichtigt.

Varia

Dem libanesischen Ökonomen und Journalisten Marwan Iskandar zufolge hat der am 14. Februar 2005 ermordete Ex-Premierminister Rafik Hariri zusammen mit Nasri Maalouf, einem libanesischen Politiker, einem Juristen und Linguisten, den Entwurf des Abkommens verfasst, bevor es durch Anmerkungen von libanesischen Politikern und Gruppierungen seine definitive Form erhielt.

Literatur

  • Theodor Hanf: Koexistenz im Krieg. Staatszerfall und Entstehen einer Nation im Libanon. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden 1990, ISBN 3-7890-1972-0.
  • Marwan Iskandar: Rafiq Hariri and the Fate of Lebanon. Saqi Books, London u. a. 2006, ISBN 0-86356-370-8.
  • Samir Khalaf: Civil and Uncivil Violence in Lebanon. A History of the Internationalization of communal Conflict. Columbia University Press, New York NY 2002, ISBN 0-231-12476-7.